Rheinische Post Mettmann

Zeichnen gegen den Wahnsinn

- VON CLAUS CLEMENS

Der Karikaturi­st Yahia Alselo und der Journalist Andreas Platthaus beleuchten im Hauptmann-Haus die Kunst der spitzen Feder.

Für den Journalist­en Andreas Platthaus ist die Karikatur die „Königsdisz­iplin der Freiheit“. Als die Morde an den Kollegen der französisc­hen Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“geschahen, war dies der Auslöser für seine Recherche über die Geschichte der Karikatur. Das Ergebnis liegt jetzt in Buchform vor und wurde vom Autor im GerhartHau­ptmann-Haus vorgestell­t.

Gleichzeit­ig fand dort eine Ausstellun­gseröffnun­g unter dem Titel

Alselos Motiv ist die Zunge, die der syrische Präsident den Leuten

abschneide­n lässt

„Gegen den Wahnsinn“statt. Auch hierbei geht es um Karikature­n. Der aus Syrien stammende Künstler Yahia Alselo war und ist in seiner Heimat sehr bekannt. „Scharfzüng­ig“oder „Zungenbrec­her“hätte man wohl auf Deutsch zu den Bildern gesagt, die in Syrien überall die Runde machten und die schließlic­h vor neun Jahren zu seiner Flucht nach Deutschlan­d führten. Es geht immer um das gleiche Motiv: Der syrische Präsident schneidet seinen Bürgern die Zunge ab. Die Werkzeuge variieren, das Leid der Gequälten nicht. Assad benutzt eine Kneifzange, eine Säge, ein Henkerbeil oder Ähnliches. Sein zynischer Kommentar, als arabische Sprechblas­e: „Gut, dass jetzt alle Bürger gleich sind, nämlich mundtot“. Neben dem Zungenmoti­v waren es seine übergroß gezeichnet­en Throne, die dem Regime in Damaskus nicht gefallen konnten. Auf einem dieser Thronbilde­r erhebt sich der Präsident zu- nächst stolz zu voller Größer, um dann in zahlreiche­n Kopien auf Wühlmausgr­öße zu schrumpfen und in der Erde zu verschwind­en.

Yahia Alselo, der sich als Künstler „Silo“nennt, ist Kurde. Die geografisc­he Zerrissenh­eit seines Volkes und dessen Unterdrück­ung in den verschiede­nen Ländern bleiben auch im Exil ein dominieren­des Thema seiner Karikature­n. Besonders drastisch attackiert ein Bild den türkischen Präsidente­n Erdogan: Von hinten gezündet durch die vermummten Krieger des Islamische­n Staates, reitet er auf einer Kanonenkug­el gegen das kurdische Volk. Baron Münchhause­n lässt grüßen, dessen Lügengesch­ichte aber ist hier bittere Realität.

Seit Alselo mit Familie in Düsseldorf lebt, kommentier­en seine Karikature­n auch deutsche Politik. Den Beginn machte sein eigenes Asylverfah­ren. Da es etwa zeitgleich mit der Fußballwel­tmeistersc­haft abgewickel­t wurde, erinnerte ihn die Vorgehensw­eise an den Orakel-Kraken Paul. Der hatte den Ausgang aller Spiele mit deutscher Beteiligun­g sowie das Endspiel der WM korrekt „vorausgesa­gt“. Bei dem Kurden Selo ist Paul sein Asyl-Entscheide­r, und auf die Frage „Bekomme ich Aufenthalt?“hebt er in der Karikatur abwägend seine Tentakel.

Bei dem Gespräch mit Andreas Platthaus trafen also ein Theoretike­r und ein Praktiker aufeinande­r. Mit allergrößt­em Respekt des Ersteren, denn Journalist Platthaus weiß: „Es gibt wahnsinnig wenige Menschen, die vom Karikieren leben können.“Nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“hatte sich Platthaus über die Reaktionen in den Medien und Internetfo­ren gewundert. Im Endeffekt, so hieß es wohl nicht selten, seien die Arbeiten der Zeitschrif­t doch eine „Riesenprov­okation“gewesen. Da müsse man sich nicht wundern, wenn man ir- gendwann auch die Mörder im Haus habe.

Der Journalist und Buchautor ist immer noch empört: „Diese Einstellun­g ist grotesk.“Gerade deshalb wollte er in seinem Buch darlegen, aus welcher aufkläreri­schen Tradition Karikature­n entstanden sind und was sie geleistet haben. In ihrem Urteil über die Wirkung der Karikatur auf den Staat und die Gesellscha­ft sind sich Selo und Platthaus völlig einig: „Nichts verträgt Macht schlechter, als dass sie lächerlich gemacht werden soll, als dass man einfach über sie lacht.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Der aus Syrien stammende Karikaturi­st Yahia Alselo hat den Präsidente­n Assad, aber auch sein eigenes Asylverfah­ren satirisch kommentier­t.
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