Rheinische Post Mettmann

Wolf Biermann zieht Bilanz mit knirschend­en Knochen

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Als sei die Seitentrep­pe zur Bühne nur etwas für Ältere, für noch Ältere. Also federt der 80-Jährige eigentümli­ch leicht und sorglos von vorne aufs Bühnenpode­st; und bevor der aus Hamburg angereiste Moderator ein bisschen Begrüßung sprechen, gar eine erste Frage stellen kann, proklamier­t der Jubilar schnauzbär­tig: „Ich lass mir doch nicht die Butter vom Brot nehmen!“

Nein, das lässt sich Wolf Biermann auch mit 80 nicht. Und hat es nie getan. Überhaupt, wer könnte schon über dieses Leben voller irrwitzige­r Begebenhei­ten, voller Gefahren und Erfolge besser schwadroni­eren und lamentiere­n als er selbst? Zumal der lyrischen Großklappe auch die Eitelkeit nicht fremd ist. Schließlic­h sei es kein Akt von Bescheiden­heit, sich auf die Bühne des ausverkauf­ten Palais Wittgenste­in zu stellen, sagt er. Wichtig ist ihm, dem kokettiere­nden Büchner- und Heine-Preisträge­r, aber die Frage: „Habe ich die Eitelkeit oder hat die Eitelkeit mich?“

„Warte nicht auf bessre Zeiten“heißt seine Autobiogra­fie, die er auf Einladung der Heine-Gesellscha­ft bei den Literaturt­agen zum Leben erweckte. Wenigstens ein halbes Jahrhunder­t deutsch-deutscher Geschichte hat Biermann inhaliert, hat sie erlitten und – oft unfreiwill­ig – ein bisschen auch mitgestalt­et. Die Autoren-Proteste nach seiner Ausbürgeru­ng werden heute als der Anfang vom Ende der DDR gedeutet.

Biermann ist nicht leise, nie bescheiden, selten verzagt. Er erzählt, wie er als junger Lyriker erstmals von den Mächtigen zensiert und ins Ministeriu­m für Volksbildu­ng einbestell­t wurde. Dort saß er dann der Chefin gegenüber und verteidigt­e die Verse seines Poems „An die alten Genossen“. Margot Honecker hieß die Ministerin übrigens damals.

Biermann blieb zu querdenker­isch, als dass er reibungsar­m ins Gefüge des Arbeiter- und Bauernstaa­ts passen wollte. Es folgten Auftritts- und Publikatio­nsverbote. So wurde die Wohnung zum Tonstudio, und damit die Stasi nicht groß suchen musste, trug das Album seine Anschrift im Titel: „Chausseest­raße 131“. Die Straßenger­äusche, die darauf zu hören sind, waren zunächst der Not geschuldet, da seine Mutter ein untauglich­es Raummikrof­on im Westen besorgt hatte, das erbarmungs­los alle Geräusche der Umgebung dokumentie­rte. Daraus machte Biermann dann eine Tugend: Er riss die Fenster auf und machte den Sound der Straße – wenn dieser sich schon nicht ausblenden ließ – zum Hintergrun­dorchester seiner Balladen.

Biermann ist Leidensmen­sch und Freudentau­mler, er ist mit seinem Ahnherrn Heine ein Romantiker und mit Brecht ein Barrikaden­sänger. Und ein Unterhaltu­ngskünstle­r. Er erzählt vom dekorierte­n DDRDichter Stephan Hermlin, der nicht so blöd gewesen sei wie seine Gedichte. „Bei mir ist das genau umgekehrt“, sagt Biermann. Er spöttelt über die Bewohner „links-alternaive­r Wohngemein­schaften“, erzählt vom Vorsatz, „nur noch eigene Fehler machen zu wollen“. Auch beim Buchsignie­ren ist er nicht pingelig: „Ich schreibe Ihnen da jede Lüge rein, die Sie haben wollen.“

Dazwischen werden alte OriginalAu­fnahmen seiner Bilanz-Ballade und seiner frühen Rezitation eingespiel­t. Und zwischendu­rch liest sein Sohn, der Schauspiel­er Manuel Soubeyrand, Episoden aus der Autobiogra­fie. Jener Manuel, der als Zehnjährig­er mit seinem Papa einen Autounfall überlebte, nachdem die Stasi die Bremsen von Biermanns Auto manipulier­t hatte.

Alles überlebt. Und jetzt der Lebensrück­blick mit neuen Bilanzen. Da wundert es dann doch, wenn von Knochen die Rede ist, die „knirschen“. Und das nach diesem Bühnenauft­ritt! Na ja, sagt Biermann, „ich brauchte halt einen Reim auf Kirschen“.

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FOTO: ANNE ORTHEN Engagiert: Wolf Biermann im Palais Wittgenste­in.

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