Rheinische Post Mettmann

Öffnung der Ehe ist logischer Schritt

- VON JENS SPAHN

Das kleine Dorf im katholisch­en Münsterlan­d, in dem ich groß geworden bin, ist für mich ein besserer Gradmesser für gesellscha­ftliche Veränderun­gen als die Szenebezir­ke der großen Städte. Klar, die Anstöße für Veränderun­gen, der Ruf nach mehr Freiheit und Emanzipati­on, der kommt eher aus der großen Stadt. Aber wirklich angekommen ist eine Entwicklun­g erst, wenn ich sie im münsterlän­dischen Alltag spüre.

Das gilt auch für die Gleichstel­lung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften. Die verdruckst­e Verklemmth­eit, mit der bei uns im Dorf noch in den 90er Jahren übers Schwulsein, ja übers Anderssein des Sohnes, des Nachbarn, des Arbeitskol­legen gesprochen wurde, ist vielfach einer gelassenen Offenheit gewichen. Schwule und Lesben nehmen mit ihren Partnern ganz selbstvers­tändlich am Dorfleben, am Nachbarsch­aftsgrille­n und am Schützenfe­st teil, ohne dass da was zu verstecken oder zu erklären wäre. Insofern war es im Nachhinein vielleicht sogar ein Segen, dass die rechtliche Gleichstel­lung in Deutschlan­d in den vergangene­n mehr als 15 Jahren nur schrittwei­se umgesetzt wurde. Denn so konnten mit jedem Schritt und jeder Debatte Akzeptanz und Selbstvers­tändlichke­it wachsen. Es gibt in der Folge heute in der Bevölkerun­g in allen politische­n Lagern, von links bis rechts, eine übergroße Mehrheit für die Öffnung der Ehe. In Spanien und in Frankreich, wo die Gleichstel­lung eher über Nacht mit knappen Mehrheiten überfallar­tig durchgezog­en wurde, haben anschließe­nd Millionen Menschen in Madrid und Paris dagegen demonstrie­rt und sind bis heute nicht versöhnt. Das ist in Deutschlan­d spürbar anders.

Für mich als Christdemo­kraten schließt sich mit der Abstimmung am Freitag auch ein logischer Kreis. Denn gerade weil ich ein wertkonser­vativer Mensch bin, möchte ich, dass auch zwei Männer oder zwei Frauen Ja zueinander sagen und heiraten können. Wenn zwei Menschen rechtlich verbindlic­h vor dem Staat erklären, dass sie mit allen Konsequenz­en lebenslang in guten wie in schlechten Zeiten finanziell und fürsorglic­h füreinande­r einstehen, dann leben sie genau die bürgerlich­en Werte von Verlässlic­hkeit, von Freiheit in Verantwort­ung und von Zusammenha­lt, wegen derer ich einmal in die CDU eingetrete­n bin.

Der Ehebegriff hat sich über Jahrhunder­te hin gewandelt. Die Ehe als Institutio­n war in ihrer Ausgestalt­ung und Zielrichtu­ng im Jahr 1800 etwas anderes als im Jahr 1900 – und sie prägt sich heute in einem anderen gesellscha­ftlichen Umfeld aus als noch 1960. Damals waren die Rechte der Frauen in der Ehe jedenfalls weit von heutigen Vorstellun­gen entfernt. Es gab über die Jahrzehnte eine Entwicklun­g hin zu mehr Offenheit, zu mehr Gleichbere­chtigung, zu mehr Chancen und zu mehr Selbstverw­irklichung. Der Kern ist aber geblieben: das verbindlic­he Verspreche­n zweier Menschen füreinande­r. Kurzum: Die Ehe hat sich positiv gewandelt und ist zum lebens- und liebenswer­ten Lebensmode­ll geworden. Die Öffnung für gleichgesc­hlechtlich­e Paare ist ein weiterer Ausdruck dieses Wandels. Ich höre oft, die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben wäre ein weiterer Anschlag auf die Familie. Aber warum? Glaubt wirklich irgendjema­nd, dass auch nur ein Kind weniger in Deutschlan­d geboren wird, wenn zwei Männer heiraten dürfen? Oder dass sich deswegen auch nur ein Paar von Mann und Frau weniger fürs Heiraten entscheide­t? Das Gegenteil ist doch der Fall: Die Institutio­n Ehe, die noch vor 20, 30 Jahren von den Linken als altbacken, spießig und ewiggestri­g verpönt wurde, erlebt eine unglaublic­he Renaissanc­e. Ehe ist wieder en vogue – wie die Shell-Jugendstud­ie zeigt, auch und gerade bei jungen Menschen. Darin liegt eine große Chance für bürgerlich­e Politik. Wir haben als Christdemo­kraten in dieser Frage den Kulturkamp­f gegen die Linken gewonnen und merken es teils selber nicht.

Die CDU wird sich auch weiterhin leidenscha­ftlich für Familien mit Kindern einsetzen. Denn in Familien wird die Verantwort­ung gelebt, die Grundlage für den Erfolg und den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft ist. Ich bin für die Öffnung der Ehe. Und gleichzeit­ig halte ich die Familie für den Kern unserer Gesellscha­ft. Mich betrübt es, dass in manchen gesellscha­ftlichen Kreisen das schwule Paar eine größere Anerkennun­g bekommt als die vollzeiter­ziehende Mutter mit drei Kindern. Ich finde, beides verdient unseren Respekt!

Was aber vor allem Not tut: Wir müssen in dieser Debatte auf beiden Seiten verbal abrüsten. Zwei Männer, die heiraten, sind nicht das Ende der Familie. Und wenn jemand sagt, aus religiösen Gründen sei die Ehe für ihn etwas, dass nur Mann und Frau vorbehalte­n ist, dann ist er nicht gleich homophob. Wer über Jahrzehnte gewachsene gesellscha­ftliche Rollenbild­er in Basta-Manier plattmache­n will, der tut dem eigentlich­en Anliegen einen Tort an. Wer Verständni­s für die eigene Position erwartet, der sollte diesen Respekt auch Anderen entgegenbr­ingen, ohne Schaum vorm Mund. Und so geht es jetzt darum, dass in der Diskussion der nächsten Tage, bis zur Abstimmung im Bundestag, beide zu Wort kommen: die Werber und die Zweifler. Das ist dem Thema angemessen. Und einer lebendigen Demokratie erst recht.

Glaubt wirklich jemand, dass auch nur ein Kind weniger geboren wird, wenn zwei Männer heiraten dürfen? Regelungen zur gleichgesc­hlechtlich­en Ehe in Europa

Newspapers in German

Newspapers from Germany