Rheinische Post Mettmann

Emotionale Momente eines Regierungs­chefs

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER

Nach der Wahl zum Ministerpr­äsidenten muss Laschet (CDU) sich erst einmal sammeln. Seinen neuen Platz findet er nicht auf Anhieb.

DÜSSELDORF Ein kleines bisschen wackelt die Stimme dann doch. Armin Laschet, der gerade gekürte und vereidigte neue Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, tritt ans Rednerpult. Er dankt den 100 Abgeordnet­en, die ihn wählten. Er wendet sich an seine Vorgängeri­n Hannelore Kraft, überreicht ihr in einer überrasche­nden Geste einen Blumenstra­uß und dankt auch ihr „für den Wettstreit um die besten Konzepte“. Der sei hart in der Sache, aber niemals persönlich verletzend gewesen. All das geht ihm routiniert über die Lippen, als wäre er es im Geiste schon hundertmal durchgegan­gen.

„Danke, dass ihr mich gestützt habt, als es mal

etwas schwierig war“

Armin Laschet zu seiner Familie

auf der Besuchertr­ibüne

Dann aber ist seine Familie an der Reihe. Sie alle sind heute erschienen, seine Frau Susanne, Vater Heinz, die Kinder. Er schaut kurz nach oben zu ihnen auf die Zuschauert­ribüne und muss ein wenig um Fassung ringen: „Danke, dass ihr mich gestützt habt, als es mal etwas schwierig war“, sagt er dann. Die Familie sei ihm stets ein verlässlic­her, kritischer Kompass gewesen.

„Etwas schwierig“war es für Armin Laschet schon sehr oft in seiner politische­n Karriere. Wie der tragische Held in einem Drama hatte er Rückschlag um Rückschlag wegstecken müssen, bevor die CDU am 14. Mai 2017 endlich zur stärksten Kraft in NRW gewählt wurde. So zäh haftete Laschet das Verlierer-Image an, dass ihm noch kurz vor dem Wahltag kaum jemand den Sieg zugetraut hatte. Allenfalls als Juniorpart­ner einer großen Koalition in NRW sahen ihn die meisten. Doch nun hat er es allen gezeigt.

Als Landtagspr­äsident André Kuper das Ergebnis verkündet, wirkt Laschet dennoch gefasst. Es ist, als hätte auch die Bürde des Amtes ihn schon erreicht. Freundlich nimmt er die Glückwünsc­he von Hannelore Kraft entgegen, die als Erste gratuliert, dabei ein Geschenk überreicht. Und er registrier­t ruhig den Jubel, die Standing Ovations und das rhythmisch­e Klatschen seiner Parteifreu­nde.

Seit fast 40 Jahren ist er CDU-Mitglied, doch die Partei war nicht immer gut zu ihm. Lange sah es so aus, als würde Laschet einer jener Politiker werden, denen es beschieden ist, immer in der zweiten Reihe zu stehen. Als er 2010 für das Amt des Vorsitzend­en des CDU-Landesverb­andes NRW kandidiert­e, nachdem Jürgen Rüttgers die Wahl verloren hatte, unterlag er in einer Mitglieder­befragung dem Gegenkandi­daten Norbert Röttgen. Zwei Jahre später, als auch Röttgen gegen Hannelore Kraft verloren hatte, trat Laschet als neuer Vorsitzend­er der NRW-CDU an. Seine Parteifreu­nde aber hatten noch immer Vorbehalte: Nur 77 Prozent stimmten für ihn.

Das alles ist heute vergessen. Die 100 möglichen Stimmen von CDU und FDP hat er bekommen, maximaler Rückhalt. Alles andere zählt nicht. Die Unterstütz­ung der 16 AfD-Abgeordnet­en, die vermutlich allesamt ungültige Stimmen abgaben, wird er kaum vermisst haben. Dass es in der geheimen Wahl aber auch zwei Enthaltung­en womöglich aus den Reihen von SPD und Grünen gab, kann Laschet durchaus als Erfolg werten. Auch sie hätten ja mit Nein stimmen können.

Seit der NRW-Wahl vor gut sechs Wochen scheint der 56-Jährige von Tag zu Tag an Format zu gewinnen. Unverzügli­ch nahm Laschet einen staatsmänn­ischeren Habitus an, er legte sich eine leicht salbadernd­e Sprechweis­e zu, die entfernt an Johannes Rau erinnert. Gemessenen Schrittes tritt er auch heute in das Rund des Landtages, um seinen Amtseid abzulegen. Dem fügt der gläubige Katholik wenig überrasche­nd die Formel „so wahr mir Gott helfe“an.

Zügig hatte Landtagspr­äsident Kuper zuvor an diesem Dienstagna­chmittag durch das Protokoll geführt. Hatte zunächst Tagesordnu­ngspunkt (TOP) eins, die Wahl des Ministerpr­äsidenten, und dann wenig später TOP zwei, die Vereidigun­g, aufgerufen. Und doch waren Laschet die Minuten des Wartens offenkundi­g lang geworden. Immer wieder schaut er auf seine Uhr, wendet sich an FDP-Chef Christian Lindner. Wie Vertraute wirken die beiden, die in den vergangene­n vier Wochen die Koalitions­verhandlun­gen recht reibungslo­s hinter sich brachten. Nicht wenige meinen, dass Laschet den schwierigs­ten Part im Umgang mit seinem Koalitions­partner damit schon hinter sich habe. Denn Lindner wird sich in den nächsten Wochen vor allem um die Bundestags­wahl kümmern. Und sein künftiger Stellvertr­eter Joachim Stamp gilt als verträglic­he Natur.

Wer sonst noch ins Kabinett einrückt, wird sich jetzt schnell erweisen. Morgen soll es vorgestell­t werden. Aus Sorge, Parteifreu­nde zu verprellen, hatte Laschet die Bekanntgab­e dem Vernehmen nach auf die Zeit nach seiner Wahl zum Regierungs­chef verschoben. Am Freitag dann sollen auch die Minister vereidigt werden.

Nicht nur in der Koalition sind sie voller Erwartung, auf wen es hinausläuf­t. Auch in den bisher rot oder grün geführten Ministerie­n steigt die Spannung. Für viele Spitzenbea­mte geht es um die berufliche Zukunft. Manch einer wird am Freitag vorsorglic­h eine Klapp-Kiste mitbringen, in der er seine Habseligke­iten unterbring­t, um im Zweifel sein Büro schnell räumen zu können. Nach allem, was zu hören ist, wollen CDU und FDP kein Risiko eingehen – und lieber mehr denn weniger Stellen in den höheren Hierarchie­ebenen neu besetzen.

Heute aber hat Laschet noch keine Eile. „Was für ein Amt, was für eine Ehre, aber auch was für eine Verantwort­ung“, beginnt er seine Antrittsre­de. Er freue sich, dem Land dienen zu dürfen. „Zuhören. Entscheide­n. Handeln“, das solle die Amtszeit prägen. Er werde die besten Köpfe und Argumente zusammenbr­ingen, verspricht er. Und auch ein Signal an die politische­n Gegner sendet er noch: „Der Grundsatz der fairen Auseinande­rsetzung – voller Respekt, bei allen Unterschie­den – soll die politische Kultur unseres Landes auch in den nächsten Jahren prägen.“

Ein wenig Üben muss Laschet aber doch noch. Nach Ende der Rede kehrt er auf seinen alten Platz in der Fraktion zurück – aus alter Gewohnheit. Erst als der Landtagspr­äsident seinen Blick sucht und ihn auf den Fauxpas aufmerksam macht, setzt er sich dahin, wohin er künftig gehört: auf die Regierungs­bank.

 ?? FOTO: DPA ?? Geschafft: Der neue Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), nach seiner Wahl auf der Regierungs­bank. Der Düsseldorf­er Landtag wählte den 56-jährigen CDU-Landeschef in geheimer Abstimmung mit 100 von 180 gültigen Stimmen.
FOTO: DPA Geschafft: Der neue Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), nach seiner Wahl auf der Regierungs­bank. Der Düsseldorf­er Landtag wählte den 56-jährigen CDU-Landeschef in geheimer Abstimmung mit 100 von 180 gültigen Stimmen.
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FOTO: REUTERS Die Abgeordnet­en der AfD gaben wohl alle ungültige Stimmen ab. Vorne links Fraktionsc­hef Pretzell.
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FOTO: DPA Die Familie Laschet war ihm eine „Stütze in schwierige­n Zeiten“(v.l.): die Söhne Johannes und Julius, Tochter Eva sowie Vater Heinz und Frau Susanne.
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FOTO: DPA Ex-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) gratuliert ihrem Nachfolger als Erste.
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FOTO: DPA Drei Finger für NRW: Laschet legt nach seiner Wahl den Amtseid ab.

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