Rheinische Post Mettmann

Jedes dritte Kind fühlt sich vernachläs­sigt

-

Eine Studie zeigt, dass sich viele Kinder und Jugendlich­e mehr Beachtung von ihren Eltern wünschen.

DÜSSELDORF (ubg) Als das Grundschul­kind gefragt wird, was es mit seinen Eltern unternimmt, antwortet es: „Wir gucken Fernsehen, aber sonst machen wir eigentlich nichts zusammen“, und ein anderes ergänzt: „Sie wollen wissen, wo ich bin. Aber was ich mache, das interessie­rt sie nicht.“

Etwa jedes dritte Kind fühlt sich von seinen Eltern zu wenig beachtet. Das ist das Hauptergeb­nis einer Untersuchu­ng der Universitä­t Bielefeld im Auftrag der BepanthenK­inderförde­rung. Rund 1000 Kinder und Jugendlich­e zwischen sechs und 16 Jahren aus Berlin, Leipzig und Köln wurden dafür befragt. Ein Drittel der Kinder gab an, Sicherheit und Geborgenhe­it zu vermissen. Unter den Jugendlich­en ist es fast die Hälfte. Zwar würden die materielle­n Bedürfniss­e oft erfüllt, nicht aber die emotionale­n. Für den Sozialpäda­gogen und Studienlei­ter Holger Ziegler sei das fatal.

„Nicht vorhandene Achtsamkei­t ist für die Entwicklun­g von Kindern so gravierend wie ein Leben in Armut“, sagt Ziegler. Daraus könnten etwa Defizite im Selbstbewu­sstsein und Vertrauen entstehen. Und der Sozialpäda­goge zieht aus den Ergebnisse­n ein weiteres Fazit: „Rund zehn Prozent der Familien sind im sozialen Sinn gar keine, sie sind wie Zweckgemei­nschaften, in denen zwei Generation­en zusammenle­ben.“Das Phänomen ist Reinert Hanswille, Leiter des Instituts für systemisch­e Familienth­erapie in Essen, bekannt. An der Studie war er nicht beteiligt. „In erster Linie ist es eine Frage der inneren Haltung“, sagt der Familienth­erapeut. Zwar haben sich auch die Familienve­rhältnisse gewandelt, meistens sind beide Eltern berufstäti­g und vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt. „Es ist aber kein rein quantitati­ves Problem“, sagt Hanswille, „oft verbringt die Familie viel Zeit in der Wohnung oder gar im selben Raum – ohne, dass ein Austausch stattfinde­t.“Die Frage sei also vielmehr, wie viel Interesse die Eltern für ihre Kinder aufbringen und wie sie es ihnen letztlich auch zeigen. In der Befragung gaben 72 Prozent der Kinder, die sich zu wenig wahrgenomm­en fühlen, an, dass sich ihre Eltern nicht für sie interessie­ren. Das sind rund 30 Prozent aller befragten Kinder – zehn Prozent von ihnen fühlten sich überhaupt nicht beachtet. „Kinder nehmen schnell wahr, ob sich die Eltern wirklich für sie interessie­ren“, so Hanswille. Für qualitativ verbrachte Familienze­it müsse kein großer Auf-

Holger Ziegler wand betrieben werden. Im Gegenteil: Freizeitpa­rk- und Kinobesuch­e sind zwar unterhalts­am, doch gebe es dort keinen Austausch. Interesse können Eltern auch beim gemeinsame­n Mittagesse­n zeigen, „wenn Gespräche über den reinen Informatio­nsaustausc­h hinausgehe­n“, sagt Hanswille.

Die Studie zeigt aber auch, dass die große Mehrheit der befragten Mädchen und Jungen mit der Beachtung durch ihre Eltern zufrieden ist. Das sagten 69 Prozent der Kinder und 83 Prozent der Jugendlich­en. Auffällig für Forscher Ziegler war, dass das Wohlfühlen in der Familie weder vom Bildungsgr­ad der Eltern noch von der sozialen Lage abhing. Auch ausländisc­he Wurzeln spielten keine Rolle, sagt der Wissenscha­ftler. Kinder von Alleinerzi­ehenden waren sogar noch zufriedene­r als Altersgeno­ssen, die mit Mutter und Vater aufwachsen – 80 Prozent gegenüber 71 Prozent.

„Rund zehn Prozent der

Familien sind im sozialen Sinn gar keine“

Studienlei­ter

Newspapers in German

Newspapers from Germany