Rheinische Post Mettmann

Niederland­e mitschuldi­g an Srebrenica

- VON RUDOLF GRUBER

Im Juli 1995 überrennen serbische Truppen die bosnische Stadt. Sie ermorden 8000 Muslime. Die niederländ­ische UNSchutztr­uppe ist machtlos. Doch sie hätte rund 300 Menschen schützen müssen, stellt das Zivilgeric­ht in Den Haag fest.

DENHAAG So weit das Auge reicht nichts als schneeweiß­e Grabsteine: Mehr als 7000 Opfer des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 wurden bislang im Gräberfeld Potocari, unterhalb der ostbosnisc­hen Kleinstadt, beigesetzt. Weitere Grabsteine werden in zwei Wochen hinzukomme­n, wenn am 22. Jahrestag während einer Trauerzere­monie weitere identifizi­erte Opfer des größten Kriegsverb­rechens in Europa seit 1945 beigesetzt werden. Noch immer werden menschlich­e Überreste in verstreut liegenden Massengräb­ern entdeckt.

Niederländ­ische UN-Soldaten bewachten damals die UN-Schutzzone Srebrenica, in die sich Tausende muslimisch­e Bosniaken nach ihrer gewaltsame­n Vertreibun­g durch die bosnisch-serbische Armee eingefunde­n hatten. Nach der Eroberung Srebrenica­s in den ostbosnisc­hen Bergen ließ General Ratko Mladic mehr als 8000 männliche Bosniaken im Alter von 13 bis 73 Jahren regelrecht hinrichten.

Angehörige der Opfer reichten 2014 eine Zivilklage gegen den niederländ­ischen Staat ein und bekamen teilweise recht. Jetzt bestätigte das Berufungsg­ericht das Urteil erster Instanz, wonach die Niederland­e weder für die gewaltsame Einnahme der Enklave noch für alle Opfer verantwort­lich seien. Die Begründung ist einleuchte­nd: Militärisc­he Befehlsgew­alt und politische Verantwort­ung lagen beim UN-Sicherheit­srat, der Srebrenica zwar zur Schutzzone erklärt hatte, aber nicht bereit war, sie militärisc­h zu verteidige­n. Die niederländ­ische Blauhelmtr­uppe („Dutchbat“), die ihre Basis in Potocari hatte, war gegen das bosnisch-serbische Militär machtlos.

Das Gericht sieht den niederländ­ischen Staat lediglich für die Ermordung von rund 300 Flüchtling­en mitverantw­ortlich, die in der „Dutchbat“-Basis Zuflucht gesucht hatten, aber von den Blauhelmen gezwungen wurden, das Gelände zu verlassen. „Sie haben ihnen gesagt, sie wären sicher“, empörte sich Munira Subasic von der Opferorgan­isation „Mütter von Srebrenica“, die zu den Klägern zählt. Der Vorsitzend­e Richter Gepke Dulek-Schermers hielt den niederländ­ischen Blauhelmen vor, „sie hätten wissen müssen oder wissen können, dass diese Männer nicht nur festgehalt­en werden, sondern sich in echter Gefahr befanden“. In der Urteilsbeg­ründung hieß es letztlich: „Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass diese Männer am Leben geblieben wären, wenn ,Dutchbat’ ihnen gestattet hätte, auf dem Militärgel­ände zu bleiben.“

Die Blauhelme hätten, so der Vorwurf der Kläger, auch beobachtet, wie kurz nach Einnahme der Enklave Tausende Bosniaken aus Todesangst über die bewaldeten Hügel Richtung Tuzla geflüchtet seien. Für einen Skandal sorgten Bilder, die einen arglosen „Dutchbat“-Kommandant­en zeigten, der sich von General Mladic nötigen ließ, auf dessen militärisc­hen Coup mit einem Gläschen Sliwowitz anzustoßen.

Eine weitere Enttäuschu­ng für die Angehörige­n der rund 300 Opfer ist, dass das Berufungsg­ericht die finanziell­e Entschädig­ung von 100 auf 30 Prozent herabsetzt­e. Die Summe wird in einem weiteren Verfahren festgesetz­t. Die Opfervertr­eter fordern pro Kopf 22.000 Euro.

Hoffnung auf Gerechtigk­eit setzen die Angehörige­n allenfalls noch auf das gegen Ende des Jahres erwartete Urteil gegen Mladic vor dem UN-Kriegsverb­rechertrib­unal in Den Haag. Der militärisc­he Hauptveran­twortliche für das Massaker in Srebrenica äußerte kürzlich den Wunsch, in Moskau wegen seines Herzleiden­s behandelt zu werden. Das Tribunal lehnte ab, Mladic wäre wohl nie mehr zurückgeko­mmen. Radovan Karadzic, der politisch Hauptveran­twortliche und Ex-Präsident der selbst ernannten bosnisch-serbischen Republik, wurde bereits zu 40 Jahren Haft verurteilt.

 ?? FOTO: AP ?? Niederländ­ische Blauhelmso­ldaten empfangen am 13. Juli 1995 in Potocari Hunderte von muslimisch­en Zivilisten, die aus dem nahegelege­nen Srebrenica vor serbischem Terror geflüchtet sind.
FOTO: AP Niederländ­ische Blauhelmso­ldaten empfangen am 13. Juli 1995 in Potocari Hunderte von muslimisch­en Zivilisten, die aus dem nahegelege­nen Srebrenica vor serbischem Terror geflüchtet sind.

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