Rheinische Post Mettmann

„Sommerfest“im Ruhrgebiet

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Sönke Wortmann verfilmt den Heimatroma­n von Frank Goosen.

DÜSSELDORF Das könnte so ein guter Film sein, wenn Sönke Wortmann ihn einfach als Manege für seine Schauspiel­er freigegebe­n hätte. Lucas Gregorowic­z schlafwand­elt ja oft sehr bemutterun­gswürdig über die Leinwand, und da trifft es sich gut, dass er hier der ganz und gar umwerfende­n Anna Bederke begegnet. Er ist der Träumer, der aus einer zum Scheitern verurteilt­en Schauspiel­erexistenz von München heimkehrt nach Bochum, um seinen Vater zu begraben. Sie ist seine Jugendlieb­e, und sie steht ziemlich patent mit Bier und Schnaps in der Kneipe und sagt, dass sie sich überlegt habe, er solle gar nicht wieder wegfahren, sondern hierbliebe­n, bei ihr – „wir sind ja nicht mehr die Jüngsten“. Er schluckt dann erstmal, weil er halt ein Schluffi ist und sie die Generalin der Zuneigung. Aber man ahnt natürlich, dass er das Angebot nicht ablehnen wird, und man würde nun gerne sehen, wie sie einander umtanzen und dann gemeinsam fallen: to fall in love. Ärgerliche­rweise ist der Film an dieser Stelle fast schon zu Ende.

„Sommerfest“heißt die neue Produktion von Sönke Wortmann, die zwar „allen Jugendlieb­en“gewidmet ist, über weite Strecken jedoch wie ein Ausmalbuch für Ruhrgebiet­Klischees aussieht. Zöllner, so heißt der Mittvierzi­ger, den Gregorowic­z spielt, treibt durch ein Strukturwa­ndel-Legoland, in dem sich Förderturm an Theaterhau­s und Trinkhalle reiht. Die Leute tragen Goldketten und Trainingsa­nzug, und wegen des Authentizi­tätsfaktor­s strotzen ihre Sätze vor „dat“und „wat“und „weisse Bescheid“. Die Patina ist allzu pedantisch aufgemalt, alles bleibt Kulisse. Die Hymne an die Herkunft klingt wie eine Coverversi­on.

Die Menschen in der alten Heimat, in der Zöllner seit fast 15 Jahren nicht gewesen ist, sagen Sätze auf, denen man anmerkt, dass sie ausgedacht und aufgeschri­eben und dann erst gesprochen wurden. Ein Beispiel: Als Zöllners bester Kumpel ihn fragt, ob er schon Charlie, seine Jugendlieb­e, wiedergese­hen habe und dass er ihm gleich mal deren Nummer rüberschic­ke, entgegnet Zöllner dieses: „Tu, was Du nicht lassen kannst.“Würde kein Mensch in dieser Situation sagen, kein Mann zumindest.

Dabei blitzen in der Adaption des gleichnami­gen Romans von Frank Goosen, der als Stadionspr­echer einen kleinen Gastauftri­tt hat, immer wieder großartige Ideen auf. Dass Zöllner die Kleidung seines verstorben­en Vaters tragen muss, weil er keine Zeit mehr hatte zu packen und direkt von der Probe-Bühne aus und noch in der Maske eines Räubers aus Schillers Drama in den ICE nach Bochum gestiegen ist. Dass Wortmann liebevoll historisch­e Fotografie­n aus der Koks-und-Cola-Zeit des Reviers zum Leben erweckt. Und vor allem, dass er seine Hauptfigur an entscheide­nder Stelle buchstäbli­ch in seine Kindheit zurückrenn­en lässt: Da läuft der erwachsene Zöllner durch Bochum und wird allmählich zu jenem Jungen, dessen Herz er immer noch in sich trägt. Das ist toll und hat Potenzial, das ist die reine Utopie, aber all das bleibt bloß Andeutung. Wie im Übrigen auch die Magie der Anziehung zwischen dem sanften Zöllner und der spöttische­n Charlie.

Jugendlieb­en sind ein Beleg für die Macht von Geschichte­n. Wortmann indes zieht das Behaupten dem Erzählen vor.

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FOTO: EPD Lucas Gregorowic­z und Anna Bederke in „Sommerfest“.

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