Rheinische Post Mettmann

Auf den Spuren eines Romans im morbiden Barcelona

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Wen will es verwundern, dass ein Buch und die Geschichte seines Autors das Leben eines Zehnjährig­en verändern, wenn dieses Buch das einzige ist, das sich dieser Zehnjährig­e in einer geheimnisv­ollen Bibliothek mit dem Namen „Friedhof der vergessene­n Bücher“aussuchen darf? Der Junge heißt Daniel Sempere, und er ist die Hauptfigur in Carlos Ruiz Zafóns Roman „Der Schatten des Windes“– einem Roman, der ein Krimi ist, aber noch so viel mehr. Und dieses „so viel mehr“ist es, womit Zafón seinen Leser in den Bann zieht.

Die Handlung spielt in Barcelona, einem von Zafón bildhaft beschriebe­nen, morbiden Barcelona in der Zeit zwischen 1945 und 1966. Eine Zeitspanne, die im Roman Verbrechen aus der Zeit des spanischen Bürgerkrie­gs nach 1936 mit dem Alltag der Franco-Diktatur und Erinnerung­en an ungesühnte Verbrechen vom Beginn des 20. Jahrhunder­ts verwebt. Das klingt nach komplizier­tem Stoff, und in der Tat verlangt Zafón seinen Lesern verschiede­ne Zeitebenen, viele Namen und Ereignisse ab, aber sie alle verbinden sich harmonisch und spannend zu einer schlüssige­n Geschichte.

Eine Sucht, wie sie „Der Schatten des Windes“beim Lesen erzeugt, befällt auch Daniel Sempere, als er anfängt, die Lebensgesc­hichte vom Autor Julián Carax zu rekonstrui­eren. Was er aufdeckt, ist eine mysteriöse Liebes- und Familienge­schichte, eine Geschichte über Verrat, Intrigen und die Liebe zu Büchern. Und es ist eine Geschichte, die Parallelen zu Semperes eigenem Leben schreibt und dieses damit mit Carax so verbindet, wie es der Besuch im Friedhof der vergessene­n Bücher prognostiz­iert hat.

Záfon gelingt es meisterhaf­t, seinen Roman als Teil der spanischen Erinnerung­sdebatte über die Jahre der Militärdik­tatur anzulegen, aber die sozialkrit­ische Geschichts­stunde als fesselndes Krimi-Vergnügen feilzubiet­en. Welchen Erfolg Záfon mit diesem Konzept hat, beweist die Tatsache, dass es inzwischen schon drei Nachfolge-Romane zu „Der Schatten des Windes“gibt – allesamt Bestseller.

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