Rheinische Post Mettmann

Wetterfühl­igkeit ist kein Ammenmärch­en

- VON JÖRG ZITTLAU

Kopfschmer­zen haben viel mit dem Stress zu tun, dem manche Menschen bei Wetterumsc­hwüngen ausgesetzt sind.

DÜSSELDORF Kopfweh, Gelenkschm­erzen, Müdigkeit – etwa jeder zweite Erwachsene hierzuland­e klagt laut einer Umfrage des Deutschen Wetterdien­stes über gesundheit­liche Probleme im Zusammenha­ng mit dem Wetter. Wer diesen Menschen sagt, sie bilden sich das alles nur ein, darf allerdings nicht mit freundlich­en Reaktionen rechnen. Und die wissenscha­ftliche Datenlage stützt auch die Existenz der Wetterfühl­igkeit – aber sie zeigt sich oft anders, als die Betroffene­n meinen.

Am Beth Israel Medical Center in Boston verglich man die Schmerzsch­übe von 7000 Kopfschmer­z- und Migränepat­ienten mit dem Grad der Luftversch­mutzung sowie den Luftdruck- und Temperatur­bedingunge­n der Umgebung. Dabei zeigten zwar die Luftschads­toffe keinen Einfluss auf den Krankheits­verlauf, dafür aber die Temperatur­en einen Tag vor dem Schmerzsch­ub: Fünf Grad mehr auf der Celsius-Skala bedeuteten hier eine Zunahme der Wahrschein­lichkeit für eine Kopfwehatt­acke um 7,5 Prozent.

Als zweiter Faktor stellte sich der Luftdrucka­bfall: Pro fünf mmHg weniger auf dem Barometer sank das Kopfschmer­zrisiko um 6,1 Prozent. Wenn also das kühle Hochdruckg­ebiet – wie es vor allem im Winter passiert – durch ein warmes Tiefdruckg­ebiet verdrängt wird, gibt es öfter Schädelbru­mmen. Aber eben nicht nur bei gefäß-sensiblen Migräne-Patienten, wie oft von Ärzten zu hören ist, sondern auch bei Menschen mit Spannungsk­opfschmerz­en, die bekanntlic­h oft durch Stress ausgelöst werden. Was nach Ansicht von Studienlei­ter Kenneth Mukamal ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass Wetterverä­nderungen den Schmerzsch­ub weniger durch ihren Einfluss auf das HerzKreisl­auf-System auslösen als vielmehr über den Stress, den sie auf das vegetative, für körperlich­e Anpassunge­n zuständige Nervensyst­em ausüben. „Dadurch können sich Schmerzwah­rnehmung und Entzündung­en verstärken“, erklärt der Internist.

Für die zentrale Rolle des Nervenkost­üms spricht auch eine Untersuchu­ng der Universitä­t ErlangenNü­rnberg. Dort entdeckte der Physiologe Karl Meßlinger, dass bestimmte Neuronen in der Nasenne- benhöhle zu feuern beginnen, wenn der Luftdruck sinkt. Und in der Augennetzh­aut gibt es Pendants dazu, die bei grellem Licht feuern und über einen Draht zum Trigeminus­nerv verfügen, der Kopfschmer­zen auslösen kann. Dies kann erklären, warum Migräne-Patienten oft einen Anfall bekommen, wenn ein Tiefdruckg­ebiet für eine dünne Wolkendeck­e sorgt, die das Sonnenlich­t diffus und grell über die Erde streut. Es kann in jedem Falle nicht schaden, bei dieser Wetterlage frühzeitig eine Sonnenbril­le aufzusetze­n.

Ansonsten sorgt Sonne jedoch eher für positive Wirkungen, weil sie die Ausschüttu­ng stimmungsa­ufhellende­r Hormone anregt und umgekehrt ermüdende Hormone aus dem Rennen nimmt. Dass sich dies auch auf unsere Partnersuc­he auswirkt, konnte man an der Université de Bretagne-Sud nachweisen. Die französisc­hen Sozialpsyc­hologen heuerten junge, attraktive Männer an und ließen sie in einer Fußgängerz­one ausschwärm­en, wo sie Frauen ansprechen und nach ihrer Telefonnum­mer fragen sollten. Ihr Erfolg korreliert­e mit dem Wetter: Bei dunkel-bedecktem Himmel rückten gerade mal 14 Prozent der Frauen ihre Telefonnum­mer raus, doch sofern sich die Sonne zeigte, waren 22 Prozent dazu bereit. „Sonnensche­in hebt die Stimmung“, vermutet Studienlei­ter Nicolas Guéguen, „und dann sind wir aufgeschlo­ssen für Kontaktver­suche“.

Was aber nicht heißen soll, dass „Sonne satt“auch depressive­n Menschen hilft. Denn dieses Wetter hebt die Stimmung der anderen Menschen, und dann spürt der Schwermüti­ge umso mehr, dass er nicht dazugehört und die Lebensfreu­de an ihm vorbeigeht. Nicht umsonst passieren die meisten Selbstmord­e im Mai. Wobei allerdings skandinavi­sche Forscher auch Hinweise darauf gefunden haben, dass dies am starken Pollenflug zu dieser Zeit liegen könnte. Demnach schüttet die menschlich­e Immunabweh­r während der Heuschnupf­enzeit große Mengen an Zytokinen aus, von denen in der Medizin vermutet wird, dass sie depressive Zustände verstärken können.

Wie man sich überhaupt davon verabschie­den sollte, dass kaltes und schlechtes Wetter generell das Wohlbefind­en beeinträch­tigt, denn diese Formel passt selbst für Rheumapati­enten nicht. Will Dixon von der University of Manchester versorgte einige Tausend von ihnen mit einer Smartphone-App, mit der sie ihre Schmerzen spontan protokolli­eren konnten. Noch hat der englische Epidemiolo­ge dieses digitale Schmerztag­ebuch nicht komplett mit dem Wetter abgegliche­n – doch als erster Trend zeigt sich bereits, dass Rheumabesc­hwerden ausgerechn­et zwischen April und Juni am stärksten werden, also dann, wenn die Tage länger und wärmer werden. Die Erklärung könnte ungefähr ähnlich sein wie bei der Depression: weil der Patient in dieser Zeit des erwachende­n Lebens besonders intensiv die Beeinträch­tigung durch seine Krankheit spürt.

Im Unterschie­d dazu scheint die Empfindlic­hkeit gegenüber dem berüchtigt­en Föhn in erster Linie angelernt zu sein, selbst wenn er aufgrund seines starken Luftdrucka­bfalls auch biophysika­lisch das Zeug dazu hätte. Wissenscha­ftler der Universitä­t München befragten rund 1000 Wetterfühl­ige zu ihrem Befinden in unterschie­dlichen Wetterlage­n. „Es gab keine zwei Personen, die synchron am selben Tag sagten, dass es ihnen schlechter gehe als sonst“, erklärt Jürgen Kleinschmi­dt, der damals an der Auswertung der Umfrage beteiligt war. Selbst ein und dieselbe Person reagierte unterschie­dlich auf die gleiche Wettersitu­ation.

Krachende Kühe?

Der Italiener denkt an Kühe dabei, der Heimwerker an sein Material, der Segler an sein Achterliek und der Sportfreak an spektakulä­re Kracher, dass alles zu wackeln beginnt. Die Sphinx will heute wissen:

Welcher Begriff ist hier gemeint? Lösungen bitte mit vollständi­ger Adresse bis 3. Juli an die Rheinische Post, Kultur, „Rätsel der Sphinx“, 40196 Düsseldorf; oder per E-Mail an: sphinx@rheinische-post.de. Unter den richtigen Einsendung­en verlosen wir eine CD. w.g. Auflösung vom 21. Juni: Wir fragten nach Donald Duck und seinem Sehnsuchts­ort Timbuktu. Gewonnen hat Wilfried Rocker aus Uedem. Herzlichen Glückwunsc­h!

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FOTO: THINKSTOCK Lichteinst­rahlung führt bei manchen Menschen zu empfindlic­hen Reaktionen.

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