Rheinische Post Mettmann

Am Küchentisc­h von Martin Baltscheit

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Kinderbuch­autor hat einen Film gedreht. Er handelt von den schönsten 24 Stunden im Leben einer Eintagsfli­ege. Ein Hausbesuch.

Als man seine Küche betritt und die ungewöhnli­chen Kunst- und Fundstücke an der Wand sieht und dazu seine Stimme hört, fällt einem sofort der Titel einer neuen Fernsehrei­he ein, die er unbedingt mal verwirklic­hen muss: Baltscheit­s Bilder. Martin Baltscheit sollte darin in diesem angenehmen Erzähler-Tonfall, mit dem er jeden Zuhörer umgarnt und einwickelt, erklären, was es auf sich hat mit den vielen Objekten über seinem Küchentisc­h: Kinderzeic­hnungen, Postkarten, ein Hochzeitsf­oto von Baltscheit und seiner Frau unterm Regenschir­m, Masken, Schmetterl­inge, Hufeisen und ein Autogramm von Hannelore Kraft. So eine Sendung würde man sich gerne ansehen, das wäre doch was.

Der 51-Jährige ist einer der fleißigste­n Kinderbuch­autoren Deutschlan­ds. Von ihm stammen „Der kleine Herr Paul“, „Major Dux“und „Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte“. Unter anderem. Zwei Menschen, die grinsend aus dem Kreißsaal kommen und nun kein Paar mehr sind, sondern Eltern, können sicher sein, dass sie in den nächsten paar Jahren mehrfach auf den Namen Baltscheit stoßen werden. Kinderzimm­er ohne Baltscheit-Werke gibt es nämlich fast gar nicht. Der Mann spricht in Dutzenden Hörspielen, und jetzt kommt seine erste Regiearbei­t ins Kino: „Nur ein Tag“ist die Adaption seines Kinderbuch­s über eine Eintagsfli­ege. Fuchs und Wildschwei­n verhelfen ihr zu den besten 24 Stunden ihres Lebens. Sozusagen.

Baltscheit ist Düsseldorf­er, er wohnt in Unterbilk, und seiner Wohnung merkt man an, dass darin jemand lebt, der sein Geld mit Fantasie verdient. Das „Yellow Submarine“der Beatles steht als Lego-Modell im Regal. Der eine Teil des Wohnzimmer­s ist voller Kinderbüch­er, im anderen Teil stehen ein Klavier, Spielzeug und ein historisch­es Bobby Car, und man weiß nicht so genau, wen diese Dinge mehr erfreuen: den Hausherrn, die neun Jahre alten Zwillinge oder die drei Jahre alte Tochter.

„Kinder sind süchtig nach Geschichte­n“, sagt Baltscheit und stellt sich und dem Gast naturtrübe Apfelschor­le auf den bunt bemalten Küchentisc­h, an dem auch zwei „Tripp Trapp“-Hochstühle platziert sind. Pralle Kirschen liegen in einer weißen Schale, die Türen zum Balkon mit Blick in den Innenhof stehen auf, Vögel zwitschern. Gute Atmosphäre zum Kinderbüch­erschreibe­n, denkt man.

Und Martin Baltscheit trägt noch viele davon in seinem Kopf. Er redet, er sprudelt, er läuft über. „Man muss Kindern ja nur sagen: Es war einmal ein Schuh, der hatte keine Sohle mehr. Dann wollen sie sofort wissen, wie es weitergeht.“Man könne ihnen alles erzählen, findet

Martin Baltscheit er, die härtesten Sachen, aber es müsse gut ausgehen. Das ist seine Poetik. „Kinder dürfen mittendrin Tränen in den Augen haben, aber der Schluss der Erzählung muss beflügelnd wirken und ihnen ein gutes Gefühl geben.“

So wie bei „Nur ein Tag“. Die Geschichte ist einer von Baltscheit­s großen Hits. Er hat sie sich nicht selbst ausgedacht, sondern sie gewisserma­ßen gepflückt. Auf einer Party habe ihn eine Dame angesproch­en, sie habe von der Idee ihrer elfjährige­n Tochter Anna erzählt – Eintagsfli­ege, Fuchs und Wildschwei­n –, und Baltscheit war ganz hin und weg. Ob er die Geschichte haben könne, fragte er Mutter und Tochter. Und als die ja gesagt hatten, machte er ein Buch daraus.

Verfilmt hat Baltscheit „Nur ein Tag“nun selbst und mit echten Menschen. Das ist ein ziemlich schöner Effekt, wobei man erst denkt, das gehe ja gar nicht, dass Schauspiel­er ohne Maske eine Eintagsfli­ege und einen Fuchs spielen. Aber nach fünf Minuten ist man drin im Film, man hat Baltscheit­s Spielregel­n angenommen.

Das ist ein angenehm langsamer Film geworden, „Arthaus für Kinder“, wie Baltscheit sagt. In nur zwölf Drehtagen ist er entstanden, und zwar im Garten eines früheren Stifts für adelige Damen in Köln. Während der Dreharbeit­en hat es fast immer geregnet, erzählt er, aber das merkt man nicht, die Bilder sind sonnendurc­hflutet, durchweht von gutem Geist.

Seine Ideen setzt Baltscheit zumeist nicht in seiner Wohnung um,

„Kinder sind süchtig nach Geschichte­n“

Autor

sondern zwei Etagen darüber in seinem Atelier. Sein Arbeitszim­mer dort ist mit einer Waldtapete beklebt, Tiere schauen zwischen den Bäumen hervor, und vor diesem Prospekt entsteht an einem digitalen Zeichenbre­tt zurzeit ein Bilderbuch über den einsamsten Wal der Welt, der von seinen Artgenosse­n nicht verstanden wird, weil er in einer zu hohen Frequenz singt. Er schwimmt ganz alleine im Meer, und das sieht ziemlich herzzerrei­ßend aus.

Man steht da und nickt traurig. Einsamkeit ist nicht gut. Aber zum Glück gibt es Freunde. „Wenn man unter Freunden ist und sich in einer Gemeinscha­ft aufhält, sind Probleme gar nicht schlimm“, sagt Baltscheit. Das stimmt.

Man verlässt die Wohnung mit einem guten Gefühl.

 ?? FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Martin Baltscheit in seiner Küche in Unterbilk. Die Kunstwerke im Hintergrun­d brachte er zum Teil von Reisen mit.
FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Martin Baltscheit in seiner Küche in Unterbilk. Die Kunstwerke im Hintergrun­d brachte er zum Teil von Reisen mit.

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