„Ein Wendepunkt in unserem Leben“
Im März ist Steffen Seidel gestorben. Der 16-Jährige litt an einer schweren genetischen Erkrankung. Seine Eltern meisterten das Leben mit ihrem Sohn durch die Unterstützung des Kinder- und Jugendhospizes Regenbogenland.
Wenn Iris Seidel ihren Sohn auf eine Decke im Garten legte, war Steffen kaum zu halten. „Steffen war ein DraußenKind“, sagt sie. Auf der Wolldecke lag er nicht lange. Viel lieber hat er sich lachend aufgemacht, um das Gras und die Erde zu fühlen. „Das hatte was von einer gewissen Normalität.“Dabei war Steffens Leben nicht normal. Er litt an einer schweren genetischen Erkrankung. Im März ist er gestorben.
Als Steffen Seidel am 22. November 2000 zur Welt kam, sah alles ganz normal aus. Die Eltern Iris und Klaus Seidel freuten sich mit Tochter Alina über den Nachwuchs. „Mein Mann wollte ihn schon beim FC Büderich anmelden“, erinnert sich Iris Seidel. Bald aber stellten die Ärzte fest, dass Steffens Hirn schwer geschädigt war. „Das änderte unsere Leben rapide“, sagt sein Vater.
Medikamente geben, Körperpflege, Schleim absaugen: Steffen brauchte eine ständige Betreuung. Ein nach großem Aufwand genehmigter Pflegedienst half immerhin 30 Stunden pro Woche. Seine Mutter war aber gezwungen, ihre Arbeit als Sozialpädagogin aufzugeben. Klaus Seidel nahm zu seiner Vollzeitstelle als technischer Fachkaufmann eine Nebenbeschäftigung an. Zudem musste das Erdgeschoss des kleinen Hauses in Meerbusch behindertengerecht umgebaut werden. Viele weitere Hürden und Herausforderungen bewältigte das Ehepaar mit großem Einsatz. Ziel der Familie war, dem schwerbehinderten Sohn ein schönes Leben zu ermöglichen. „Steffens Zeit auf der Erde sollte für ihn so lebenswert wie möglich sein“, sagt Klaus Seidel.
Im Jahr 2004 gerieten die Seidels an einen großen Tiefpunkt. „Wir waren körperlich wie seelisch völlig fertig“, sagt seine Mutter. Die Eltern waren durch ihr zeitaufwendiges Engagement für Steffen in eine soziale Isolation geraten, in der Ehe kriselte es. Ein großer Glücksfall war, dass in dieser Zeit das Kinderhospiz Regenbogenland eröffnete und den Seidels in dieser schweren Zeit helfen konnte. „Steffen war erst das zweite Kind, das im Hospiz aufgenommen wurde“, erzählt Iris Seidel. Ihr fiel es schwer, ihren Sohn zunächst einmal für eine Woche in die Obhut des Hospiz’ zu geben. „Aber die Mitarbeiter waren gut vorbereitet und pflegten aufmerksam.“Das Ehepaar nutzte diese erste Urlaubswoche nach vier Jahren für eine Reise. Endlich Zeit zu haben, miteinander zu sprechen, Händchen zu halten und ei- nander anzusehen: „Das Regenbogenland hat durch seine Unterstützung auch unsere Ehe gerettet“– da sind sich die Seidels sicher.
Von nun an nahm das Regenbogenland den Jungen bis zu 28 Tage pro Jahr auf, zeitweise sogar die ganze Familie. „Diese Zeiten waren wie Rettungsinseln. Durch die großartige pflegerische Betreuung konnten wir unser Leben meistern“, berichtet Iris Seidel. Die Eheleute nutzten die psychische Hilfe der Fachleute. „Wir lernten, die Wut auf Menschen zu bewältigen, die der Meinung waren, der Tod sei besser für Steffen.“
Durch die gute Zusammenarbeit mit dem Regenbogenland konnten die Seidels manche für Steffen lebensbedrohliche Krise meistern. Ihr Sohn kam mit Unterstützung eines Pflegedienstes in einen Kindergarten und in die Schule.
Völlig unerwartet ist Steffen am 5. März 2017 gestorben. Die ganze Familie wurde während der folgenden schweren Tage nach Steffens Tod intensiv vom Regenbogenland unterstützt. So konnte die Mutter ihren Sohn bis zur Trauerfeier begleiten, ihn waschen, anziehen und ihn selbst einsargen. Auch der Abschied von Steffen fand im Regenbogenland statt. „Steffen mochte es laut, bunt und unkonventionell – und so verabschiedeten wir ihn auch“, sagt Iris Seidel. Kuchen habe es gegeben, Steffens Cousin hat zur Gitarre gesungen, der Sarg wurde mit Handabdrücken der Gäste bunt bedruckt, und Luftballons stiegen in den Himmel. Mehr als 70 Freunde, Verwandte und Pflegekräfte waren da.
Nun, vier Monate nach Steffens Tod, hat die Familie Seidel etwas Abstand gewonnen. Ziel der Eheleute ist es, ihr Leben neu aufzustellen. Iris Seidel ist auf der Suche nach einem Job als Sozialpädagogin, damit ihr Mann seinen Nebenjob kündigen kann. An Steffen erinnern seine Spielsachen ebenso wie zahlreiche Fotos im Haus. „Wir sind noch immer unendlich traurig“, sagen die Seidels. „Aber auch dankbar, dass Steffen so lange bei uns war.“