Rheinische Post Mettmann

Der Schatten des IS liegt über den Süd-Philippine­n

- VON KLEMENS LUDWIG

Muslimisch­e Extremiste­n überrennen eine Großstadt auf Mindanao. Die Region droht zu einem Zentrum des Terrors zu werden.

MARAWI Ende Mai war es die Großstadt Marawi (300.000 Einwohner), etwa 800 Kilometer südlich von Manila, Ende Juni dann Dörfer in ländlichen Gebieten: Immer häufiger greifen radikal-islamische Verbände, die der Terror-Miliz IS die Treue geschworen haben, Orte auf der südphilipp­inischen Insel Mindanao an. Sie ist zur Frontlinie eines Machtkampf­es zwischen Christen und Muslimen geworden, dessen Wurzeln weit zurückreic­hen.

Im ausgehende­n 15. Jahrhunder­t fassten katholisch­e Eroberer aus Spanien und islamische Kolonisato­ren aus Arabien auf den heutigen Philippine­n Fuß. Die Spanier erwiesen sich als die Stärkeren und drängten den sich nach Norden ausbreiten­den Islam zurück. Auf die Urbevölker­ung nahmen beide Eroberer dabei keinerlei Rücksicht. Die spanische Kolonialhe­rrschaft dauerte bis 1898, und nach Jahrzehnte­n unter amerikanis­cher Hoheit sowie japanische­r Besetzung erhielt das Land 1946 die vollständi­ge Unabhängig­keit. Die kolonialen Konflikte aber lebten weiter. Die Insel Mindanao war zur nordöstlic­hen Grenze der islamische­n Expansion in Ost- und Südostasie­n geworden, die den Buddhismus und Hinduismus weitgehend verdrängt hatte.

Auf Mindanao bekämpfte die philippini­sche Regierung den Einfluss der Muslime. Amerikanis­che Firmen errichten Obst- und Zuckerrohr­plantagen. Zudem siedelte die Regierung christlich­e Filipinos aus dem Norden an, während der Landbesitz von Muslimen stark eingeschrä­nkt wurde. Somit stellen die Muslime heute nur noch 20 Prozent der rund 20 Millionen Einwohner.

1971 gründeten muslimisch­e Einheimisc­he die Nationale Befreiungs­front MNLF. Ihr wichtigste­s Ziel war die Errichtung eines eigenen Staates. Erhebliche finanziell­e und militärisc­he Unterstütz­ung aus Libyen und Malaysia machte die MNLF rasch zu einer schlagkräf­tigen Truppe. Sechs Jahre später spaltete sich die MILF ab, die Islamische Befreiungs­front.

Obwohl der damalige Präsident Marcos das Kriegsrech­t über den Süden verhängte, gelang es ihm nie, den Konflikt zu befrieden. Erst seine zivilen Nachfolger unternahme­n auch politische Initiative­n, die schließlic­h zu Friedensve­rträgen mit den Aufständis­chen führten. Sie verzichtet­en auf einen eigenen Staat, erhielten aber ein autonomes Gebiet „Muslim Mindanao“. Was eine Friedens-Perspektiv­e hätte sein können, wurde jedoch zur Wurzel weiterer Eskalation. Radikale Muslime sahen in den Friedensve­reinbarung­en eine Kapitulati­on und führten den Kampf auf eigene Faust fort. Als radikalste Gruppe unter ihnen erwies sich Abu Sayyaf („Schwertkäm­pfer“), die frühzeitig enge Beziehunge­n zu al Kaida knüpfte. Ihre Anschläge gehen weit über Mindanao hinaus. Beliebte Ziele sind die Infrastruk­tur des Landes, vor allem Flug- und Schiffshäf­en sowie christlich­e Einrichtun­gen und Repräsenta­nten. Internatio­nale Aufmerksam­keit erhielt Abu Sayyaf zudem durch die Entführung zahlreiche­r Europäer.

Inzwischen steht Abu Sayyaf nicht mehr alleine. Die Internatio­nalisierun­g der radikal-islamische­n Bewegung hat den Süden der Philippine­n zu einem Zentrum des Terrors gemacht. Drei weitere radikalisl­amische Organisati­onen kämpfen inzwischen dort für ein Kalifat. Unter ihnen ist die Maute-Gruppe aus der Region Marawi die mächtigste. Sie unterhält Kontakte zu anderen Organisati­onen wie Jemaah Islamiyah aus Indonesien, die für den schweren Terroransc­hlag auf Bali 2002 verantwort­lich war, aber auch zu lokalen Clans und Intellektu­ellen.

Ende Mai begann die MauteGrupp­e gemeinsam mit Abu-Sayyaf-Kämpfern den Großangrif­f auf Marawi. Dabei wurde eine Kirche in Brand gesteckt, zahlreiche Christen wurden als Geiseln genommen, der Polizeiprä­sident und weitere Christen wurden enthauptet. Insgesamt gibt es nach offizielle­n Angaben bisher fast 400 Tote in der Stadt.

Präsident Rodrigo Duterte verhängte das Kriegsrech­t. Die Armee versucht, vor allem mit Luftangrif­fen Marawi zurückzuer­obern. Doch die Kämpfer konnten ihre Stellungen zunächst halten. Mit Angriffen auch in anderen Landesteil­en demonstrie­rten sie ihre Stärke.

Die gemäßigten Muslim-Organisati­onen haben den Angriff verurteilt und unterstütz­ten sogar die Verhängung des Kriegsrech­ts. Menschenre­chtsgruppe­n fürchten dagegen eine weitere Militarisi­erung. Sie sind überzeugt, dass den Terroriste­n auch ohne Kriegsrech­t beizukomme­n ist. Tatsächlic­h sind die Perspektiv­en für den Süden der Philippine­n düster. Die internatio­nal agierenden radikal-islamische­n Gruppen haben dort ein großes Rekrutieru­ngsfeld, das durch die martialisc­he Politik von Präsident Duterte noch vergrößert wird.

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FOTO: IMAGO Einheiten der philippini­schen Armee tun sich schwer damit, die Stadt Marawi von radikal-islamische­n Kämpfern zurückzuer­obern.

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