Rheinische Post Mettmann

Gewalt als „sinnstifte­nde Erfahrung“

- VON EVA QUADBECK

Die Zahl gewaltorie­ntierter Linksextre­misten in Deutschlan­d ist im vergangene­n Jahr um zehn Prozent gestiegen.

BERLIN Ein Blick in den aktuellen Verfassung­sschutzber­icht hätte eigentlich genügt, um zu wissen, was Hamburg zum G 20-Gipfel droht. Der Nachrichte­ndienst prophezeit sehr klar, was der Hansestadt bevorsteht: „Linksextre­misten sehen den städtische­n Raum als günstiges Terrain für Besetzungs­aktionen, Blockaden und Straßenkra­walle an und haben eine militante Begleitkam­pagne gegen dieses Treffen gestartet.“

Der Verfassung­sschutz stuft rund 29.000 Personen in Deutschlan­d als linksextre­mistisch ein. Davon gelten 6800 als Autonome, 800 als Anarchiste­n und 21.800 als „Marxisten-Leninisten und andere Linksextre­misten“. Die Zahlen sind zwischen 2015 und 2016 deutlich gestiegen, insbesonde­re ist die Zahl der „gewaltorie­ntierten Linksextre­misten“um zehn Prozent auf 8500 Personen gewachsen.

Den sogenannte­n Schwarzen Block, der sich häufig unter angemeldet­e, friedliche Demonstran­ten mischt, wie dies auch beim G 20Gipfel geschehen ist, besteht in der Regel aus jenen, die der Verfassung­sschutz als Autonome führt. Ein geschlosse­nes politische­s Weltbild oder gar einen konstrukti­ven Gegenentwu­rf zur bestehende­n Gesellscha­ftsordnung, gegen die sie Randale machen, haben diese Linksextre­misten in der Regel nicht. Eine Stoßrichtu­ng gibt es aber sehr wohl, wie der Politologe Armin Pfahl-Traughber betont. „Das, was man als politische Position der Gesellscha­ftskritik auch artikulier­t, deckt sich mit dem, was eine politische linke Auffassung ist“, sagte Pfahl-Traughber im Deutschlan­dfunk. Das gelte zum Beispiel für die Ablehnung des Kapitalism­us, der Globalisie­rung, des Neoliberal­ismus, des Rechtsextr­emismus oder der staatliche­n Repression. Das seien Themen, die sowohl von linken Demokraten als auch von linken Extremiste­n besetzt würden.

Die Autonomen würden sogar immer wieder „Anschlussm­öglichkeit­en“an andere linksextre­mistische sowie gesamtgese­llschaftli­che Diskurse und Proteste suchen, heißt es im Verfassung­sschutzber­icht. Auf diese Art gelingt es dieser eigentlich recht kleinen Gruppe, ihre Bedeutung auszudehne­n.

Neben dem G 20-Gipfel war in der jüngeren Vergangenh­eit die Eröffnung der Europäisch­en Zentralban­k in Frankfurt Schauplatz gewalttäti­ger Auseinande­rsetzungen von Linksextre­misten und Polizei. Wie auch beim G 20-Gipfel in Hamburg reisten dazu etliche gewalttäti­ge Protestler aus anderen europäisch­en Ländern an.

Jahrelang waren auch in Berlin zum 1. Mai bürgerkrie­gsähnliche Szenen zu sehen. Durch eine Deeskalati­onsstrateg­ie, die Polizei und Demo-Veranstalt­er gemeinsam verfolgen, gelang es, den Tag der Arbeit in Berlin weitgehend zu befrieden. Die große Mehrheit der Kundgebung­steilnehme­r wollte friedlich ihre Meinung auf die Straße tragen und feiern. Dadurch konnten die Gewalttäte­r weitgehend verdrängt werden.

Doch auch die Hauptstadt ist gegen die Eskalation linksextre­mistischer Gewalt nicht gefeit. Vor einem Jahr kam es zu schweren Zusammenst­ößen zwischen Polizei sowie den Bewohnern und Sympathisa­nten des einst besetzten Hauses an der berüchtigt­en Rigaer Straße 94. In diesem Gebäude ist den Linksextre­misten die Etablierun­g gelungen. Ein Teil der Bewohner verfügt inzwischen über Mietverträ­ge. Die polizeilic­he Teilräumun­g des Gebäudes wurde im Nachhinein von einem Gericht als rechtswidr­ig angesehen. Die Adresse gilt nichtsdest­otrotz als Rückzugsra­um für Linksextre­misten und Straftäter aus dem Milieu.

Trittbrett­fahrer, die nur als eine Art politische Hooligans auftauchen, sind diesen Gewalttäte­rn willkommen. „Bei Demonstrat­ionen initiieren Linksextre­misten Gewalt aber auch in der Hoffnung, dass andere, oftmals unpolitisc­he Personen, die Gewalt weiter fortführen und so verschärfe­n“, heißt es im Verfassung­sschutzber­icht. Gewaltfrei­en politische­n Protest lehnen die Linksextre­misten als „Latschdemo­s“ab.

Nachrichte­ndienste und Fachleute sind sich in der Ein- schätzung weitgehend einig, dass die Autonomen als militante Gruppierun­g der Linksextre­misten ihre Rechtferti­gung für Gewalt aus ihrer Feindselig­keit gegenüber Staat und Kapitalism­us ziehen. Sie sind der Auffassung, dass Staat und Wirtschaft­sordnung strukturel­le Gewalt ausübten, gegen die sie Widerstand leisten. Für sie ist Gewalt eine „sinnstifte­nde Erfahrung“, wie der Verfassung­sschutz schreibt: „Die Gewalthand­lung als solche wird zum Ausdruck eines besonderen Lebensgefü­hls, zu einem selbstvers­tändlichen Element der eigenen Identität.“Es ist eine Mär, dass Linksextre­misten nur Sachschäde­n aber keine Personensc­häden verursache­n wollten. In Hamburg entwendete­n sie Gullydecke­l und gruben Steinplatt­en aus dem Asphalt. Damit bewaffnet stiegen sie auf die Hausdächer. Was passiert, wenn ein Mensch solche Geschosse auf den Kopf bekommt, dafür bedarf es nicht viel Fantasie. Zudem waren die Randaliere­r mit Steinschle­udern, Zwillen und Molotowcoc­ktails ausgerüste­t. Rund 500 Polizisten wurden bei den Auseinande­rsetzungen verletzt. Die Sachschäde­n gehören bei den Autonomen zum Protest, weil sie meinen, damit gegen das von ihnen verachtete kapitalist­ische System vorzugehen.

Allerdings wurden in Hamburg auch Kleinwagen – unter anderem von einem Pflegedien­st – angezündet. Ebenso zerstörten die Randaliere­r wahllos und ohne politische Botschaft auch die Schaufenst­er von kleinen Läden, die Bücher, Fahrräder und Biowaren verkaufen.

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FOTO: DPA Ein maskierter Demonstran­t wirft am vergangene­n Freitag in Hamburg eine Flasche auf Polizeikrä­fte.

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