Rheinische Post Mettmann

In Mossul gibt es nichts zu feiern

- VON BIRGIT SVENSSON

Der Kampf um die zweitgrößt­e Stadt des Irak ist beendet, der IS geschlagen. Aber seine Unterstütz­er können nicht einfach aufgeben.

MOSSUL Der irakische Premiermin­ister Haidar al Abadi war voreilig, als er am 29. Juni bereits das Ende des „Kalifats“des Islamische­n Staats per Twitter verkündete. Auch sein Besuch in Mossul am Wochenende, zehn Tage später, war noch von Schießerei­en und Gewehrfeue­r in einigen Stadtviert­eln begleitet. Deshalb legte er sich nur kurz die irakische Flagge um den Hals, ließ die Kameras des Staatsfern­sehens schnell Bilder in die Welt senden und flog dann eilig zurück nach Bagdad. Die Schlacht ist nicht vorbei. Trotzdem kann man sagen: Der Kampf um die ehemals zweitgrößt­e Stadt Iraks ist beendet, auch wenn immer wieder noch Widerstand aufflammen wird, Attacken stattfinde­n werden und auch wenn die Bewohner verunsiche­rt sind, ob sie zurückkehr­en können oder nicht.

„Sie wollen sich einfach nicht ergeben“, sagte ein Kommandeur der Regierungs­truppen gestern im staatliche­n Fernsehen. Die irakische Armee rücke gegen die verblieben­en Dschihadis­ten in einem kleinen Gebiet unter IS-Kontrolle am Fluss Tigris vor. Die Soldaten begegneten immer wieder Rufen wie „Wir kapitulier­en nicht, wir wollen sterben“. Am Sonntag hatte die Armee mit Luftunters­tützung der amerikanis­ch geführten Anti-IS-Koalition den letzten Rückzugsor­t der Terrormili­z in Westmossul angegriffe­n. Sie hisste die irakische Flagge am Ufer des Tigris und in der Altstadt.

Das Staatsfern­sehen spielte die Nationalhy­mne und zeigte feiernde und tanzende Soldaten. Allerdings kamen die Bilder vom Tahrir-Platz in Bagdad und nicht aus Mossul. Denn dort gibt es noch nichts zu feiern. Die UN sprechen von 700.000 Flüchtling­en, die allein den Westteil der Stadt verlassen haben. Andere Quellen sprechen von einer Million. Vor der Einnahme der Stadt durch den IS 2014 zählte Mossul fast zwei Millionen Einwohner.

Ein Kampf bis zum letzten Mann: So hatte es der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al Bagdadi befohlen, als absehbar war, dass seine Miliz den ausgerufen­en Staat in seinen Gren- zen nicht würde halten können. Er selbst hat schon vor Monaten Mossul verlassen; der große Rest seiner vor allem ausländisc­hen Kämpfer wurde in der Schlacht getötet oder hat sich ebenfalls abgesetzt.

Zurückgebl­ieben sind vor allem die Iraker, die dem IS zur Einnahme Mossuls verholfen haben. Denn allein hätten die Dschihadis­ten die Kontrolle über die Millionens­tadt nicht übernehmen können. Dafür brauchten sie Mitstreite­r und Sympathisa­nten, die sie in Mossul zu- hauf fanden. Während der IS nur vier Tage brauchte, um die Stadt einzunehme­n, dauerte es fast neun Monate, sie zurückzuer­obern.

Schon die Amerikaner hatten während ihrer neun Besatzungs­jahre Mühe, die Kontrolle über Mossul zu halten. Die Strategie von US-Administra­tor Paul Bremer, die Sicherheit­skräfte Saddam Husseins über Nacht aufzulösen, entpuppte sich vor allem in Mossul als fatal. 750.000 Soldaten der ehemaligen SaddamArme­e saßen 2003 auf der Straße, in Sorge um die Ernährung ihrer Familien. Mossul galt schon zu Zeiten Saddam Husseins als Hochburg der Militärs, mit riesigen Waffenlage­rn und wichtigen Munitionsf­abriken. Nach dem Rauswurf schlossen sich nicht wenige schnell dem Widerstand gegen die Besatzungs­macht an und verbündete­n sich mit den internatio­nalen Terroriste­n von Al Kaida – dem Vorläufer des IS.

Als die Dschihadis­ten, aus Syrien kommend, sich auf den Irak zubewegten, sahen sie ihre Stunde ge- kommen. In Bagdad herrschte Nuri al Maliki, der aus seiner religiösen Gesinnung als Schiit keinen Hehl machte und den Sunniten kaum Platz im neuen Irak einräumen wollte. Selbst der damalige Kommandeur der Division im mehrheitli­ch sunnitisch­en Mossul war ein aus dem südlichen Basra importiert­er schiitisch­er General, ohne größere Ortskenntn­isse. Telefonpro­tokolle zeichneten die Unfähigkei­t dieses hohen Offiziers nach, Mossul zu halten. Am vierten Tag versuchte er vergeblich, seine Untergeben­en zu erreichen. Die Mehrheit war desertiert oder hatte sich ergeben. Der IS hisste seine schwarzen Flaggen über Mossul.

Erst im Oktober 2016 gab der jetzige Premier Abadi, ebenfalls ein Schiit, den Befehl zur Rückerober­ung der Stadt. Saddams ehemalige Offiziere hatten inzwischen in Ruhe junge Dschihadis­ten ausbilden und trainieren können. Die Erfahrung aus drei Golfkriege­n gaben sie weiter. Ihr Ansinnen, die Seiten zu wechseln, als der Terror des IS mitsamt seiner extremisti­schen Auslegung des Islam sich auch gegen sie wandte, lehnte die irakische Regierung unter Abadi ab. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als bis zuletzt um Mossul zu kämpfen.

Jetzt drohen sie alles zu verlieren. Angesichts der Racheakte der Armee und der Schiiten-Milizen, die sich bereits abzeichnen, wollen sie lieber im Kampf sterben als nachher durch Hinrichtun­gen oder schon bei Verhören durch Folter. Der Umgang der mehrheitli­ch schiitisch geprägten Regierung in Bagdad mit den Sunniten in Mossul wird die Zukunft der Stadt bestimmen.

 ?? FOTO: DPA ?? Irakische Soldaten feiern in der Altstadt von Mossul ihren Sieg. Einer präsentier­t eine erbeutete Flagge des IS (r.).
FOTO: DPA Irakische Soldaten feiern in der Altstadt von Mossul ihren Sieg. Einer präsentier­t eine erbeutete Flagge des IS (r.).

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