Wenn Azubis zu Küchenchefs werden
Fünf Lehrlinge dürfen im Restaurant Reinhardt’s auf Gut Moschenhof einmal im Monat das Lokal ganz alleine leiten.
Mit Grandezza bringt Samantha das Oeuf en Cocotte an den Tisch und erklärt ausführlich, dass es sich dabei um ein pochiertes Ei mit Champignons, Schinken und Kräutern handelt. „Dazu gibt es Bauernbrot mit gratiniertem Markknochen“, sagt sie leicht schüchtern. Doch sie ist wieder in ihrem Element, wenn sie erklärt, wie das Gericht zubereitet wird. Wen wundert’s: Die 19-Jährige hatte die Idee zu dieser Kreation. Heute ist sie im Service tätig, aber eigentlich absolviert sie eine Kochausbildung im Reinhardt’s auf Gut Moschenhof. „Wir sind heute der Chef“, sagt sie dann noch mit einem Augenzwinkern und verschwindet in der Küche.
Sie ist eine von fünf Kochazubis. Nun ja, einer ist seit einem Jahr Praktikant und fängt mit seiner Lehre im Sommer an: Sabah (21) aus Syrien, der sich in der Küche um „Suprème de Volaille Farcis Doria“kümmert – zu deutsch gefüllte Poulardenbrust. Küchenchef und Inhaber Michael Reinhardt sagt dem jungen Syrer, der perfekt Deutsch spricht, eine große Kochkarriere vo- raus. Während der 21-Jährige die Rouladen wendet, ordert Natalie (41) vier mal Mousse au Chocolat. Sie ist Mutter von drei Kindern und hat lange als Küchenhilfe und Spülerin gearbeitet. Jetzt steht sie kurz vor der Prüfung als Koch. Und eines steht schon fest: Sie hat im Reinhardt’s eine feste Stelle in Aussicht.
Die Azubis machen an diesem Abend einen guten Job, wenn auch mit ein paar Hindernissen. Samantha bekommt nur unter Anleitung der Gäste die Weinflasche geöffnet. Beim pochierten Ei war das Eiweiß ein wenig zu flüssig.
Schon vor Öffnung des Restaurants seien alle Fünf ziemlich nervös gewesen, sagt Michael Reinhardt. Er hat diesen Tag ganz in die Hände seiner Lehrlinge gelegt – vom Erstellen des Menüs, der Weinkarte, der Tischdekoration, dem Einkaufen, dem Ordern bei Lieferanten bis hin zur Tischdekoration.
Unter den Titel „Vive la France“haben die fünf angehenden Köche ihr Menü gestellt. Eine Jury, bestehend aus den Mitarbeitern, hat dann mit darüber abgestimmt, was letztendlich auf die Teller der Besucher kommt.
Und es ist stressig. Jedenfalls für die Ein-Tages-Chefs. Denn an diesem Abend ist das Lokal ausverkauft. „Nur wer Verantwortung trägt, kann im Job bestehen“, sagt Michael Reinhardt. Der Spitzenkoch, vor seiner Selbstständigkeit Küchenchef im Breidenbacher Hof, hat schon lange an dieser Aktion gedanklich gearbeitet.
Jetzt also ist Premiere. Das Menü, das neben den drei Gängen noch aus Amuse Bouche und Vordessert sowie köstlichen feinen Tartelettes zum Café besteht, kostet den Gast 25 Euro. Da zahlt Reinhardt drauf, aber es geht ja ums Lernen. Unter vorgehaltener Hand erzählt er, dass im Vorfeld auch das ein oder andere schief gegangen sei. So mussten zwei Azubis noch mal zum Großmarkt, weil sie vergessen hatten, die Kräuter zu kaufen. „Aber das waren nur kleine Baustellen“, fügt Reinhardt hinzu.
Ziel der Aktion sei es, den Lehrlingen zu demonstrieren, wie viel Arbeit dahinter steckt, ein Restaurant zu führen. Da reichen drei Jahre in der Küche nicht aus. Das haben auch die fünf Azubis vom Moschen schnell begriffen. Ziel des Ausbilders Reinhards ist es aber auch, den Nachwuchs zu fördern und zu schützen. Dass seine Ausbildungsmethoden Erfolg haben, beweisen die Abschlüsse seiner drei vorigen Lehrlinge. Sabrina Merz arbeitet jetzt in einem Sterne-Restaurant in ihrer Heimat in der Pfalz. Und nicht nur das: Sie wurde Landesbeste. Darauf ist Michael Reinhardt genauso stolz wie auf seine anderen beiden Schützlinge, die alle in Top-Läden untergekommen sind.
Und so fordert er seine derzeitigen Azubis weiter. Denn nach dem ist vor dem Azubi-Menü. Heute ist Abgabetermin der Speisenfolge für den nächsten Abend, an dem die Lehrlinge den Moschenhof leiten. „Urlaub in der Südsee“, haben die Fünf das Thema genannt. „Ich bin mal gespannt, was dabei rauskommt“, sagt Reinhardt schmunzelnd. „Aber ich vertraue ihnen.“Und die Gäste offenbar auch. Denn der Abend ist bis auf wenige Plätze schon ausgebucht.