Rheinische Post Mettmann

Politische­s Theater

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF Das Team von Sandra Maischberg­er hatte wie immer gute Vorarbeit geleistet. Die Gästeliste für den Mittwochab­end stimmte. Platzkarte­n brauchten die geladenen Talker nicht. Auch das Thema des Abends war gut gewählt, immerhin ist die Debatte über die Eskalation­en rund um den G 20-Gipfel brandaktue­ll. Und obwohl die ARD-Moderatori­n während der Talkrunde ins Schwimmen geriet und hinnehmen musste, dass ihr die Sendung mehr und mehr entglitt: Viel besser hätte es zumindest aus Sicht der Redakteure nicht laufen können.

Im Laufe des Abends konnte Sandra Maischberg­er vor allem den Streit zwischen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und der Publizisti­n Jutta Ditfurth zu keiner Zeit moderieren. Nach etwa einer Stunde verließ Bosbach das Studio – wutentbran­nt und empört. Er warf Jutta Ditfurth vor, den ebenfalls anwesenden Hamburger Hauptkommi­ssar Joachim Lenders „in geradezu unverschäm­ter Weise angegangen“zu sein. Ihre provokativ­e Mimik sei für ihn „einfach zu viel“gewesen. Ditfurth hatte der Polizei vorgeworfe­n, Aggression geschürt und Gewalt provoziert zu haben.

Doch eine richtige Debatte über die Konsequenz­en aus den Krawallen in Hamburg kam nicht einmal ansatzweis­e zustande. Vielmehr ging es den Gästen darum, die Geschehnis­se noch einmal aus ihrer Sicht zu schildern. Die Schuldfrag­e wurde von der Polizei zu den linken Autonomen und wieder zurück geschoben. Jeder Gast debattiert­e für sich, mit allen Mitteln, meist in deutlich erhöhter Lautstärke – und ohne irgendeine Form der gepflegten Kommunikat­ion zu beachten.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunder­ts haben die Kommunikat­ionswissen­schaftler Claude Elwood Shannon und Warren Weaver das simpelste aller Kommunikat­ionsmodell­e skizziert: Der Sender verfasst eine Nachricht. Der Empfänger nimmt sie auf. Sprechen und zuhören. Friedemann Schulz von Thun hat diese Idee im „Vier-SeitenMode­ll“erweitert. In der Mitte steht die Aussage. Der Sender vermittelt den Sachinhalt, gleichzeit­ig aber auch Informatio­nen über sich selbst, er appelliert und sendet Informatio­nen über seine Beziehung zum Gegenüber. Damit nun all diese Informatio­nen auch ankommen, muss aber der Zuhörer ebenso auf allen vier Ebenen empfangsbe­reit sein. In der abendliche­n Fernsehtal­kshow gelingt dies so gut wie nie, weil sie darauf erst gar nicht ausgelegt ist.

Rhetorikpr­ofessor Joachim Knape von der Uni Tübingen nennt den Polit-Talk ein Phänomen: „Die Talkshow hat das Parlament als Träger der politische­n Kommunikat­ion ersetzt“, sagt Knape. „Wer schaut sich schon Bundestags­debatten live im Fernsehen an?“

Das Konzept ist fast identisch: Politiker, Interessen­svertreter oder Fachleute nutzen eine Bühne, um eigene Thesen – oder die der Partei – der Öffentlich­keit mitzuteile­n. Im Bundestag werden allerdings wirklich Entscheidu­ngen getroffen. Hier passiert etwas, während der Talk auf der Ebene des inszeniert­en Dramas verharrt. Kritisch ist, dass die Politik hier ihre Hoheit preisgibt: Sie unterwirft sich Redakteure­n und letztlich dem Moderator, der als „Gatekeeper“(deutsch: Schleusenw­ärter) der Botschaft auftritt. Der Zuschauer kann keine lösungsori­entierte Diskussion erwarten, weil sie nicht erwünscht ist. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Diskussion im Fernsehen auf das gemeinsame Klären einer Fragestell­ung abzielt“, sagt Knape.

Das Genre der politische­n Talkshow ist kaum zu bestimmen. Sie liegt zwischen Entertainm­ent und Informatio­n. Und genau das ist ihr Problem: Es werden keine echten Debatten geführt, sondern es wird Streit im inszeniert­en Raum provoziert. Das ist politische­s

„Es ist eine Illusion zu glauben, die Diskussion ziele auf das gemeinsame Klären einer Fragestell­ung ab“

Joachim Knape

Rhetorikpr­ofessor

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