Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW THOMAS MEYER „Liebe allein reicht leider nicht“

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Wer nicht zueinander passt, sollte sich trennen, rät der Autor in seinem Buch „Trennt euch!“– selbst, wenn sich ein Paar liebt. Wie kommt er darauf? Streitgesp­räch mit einem verblüffen­d großen Romantiker.

Herr Meyer, wenn es nach Ihnen ginge: Zu wie vielen Trennungen trüge Ihr Buch bei? THOMASMEYE­R Meine Hoffnung ist, dass möglichst viele Menschen ihr eigenes Glück ernst genug nehmen und den Mut finden, Beziehunge­n zu beenden, die ihnen nicht guttun, weil sie und ihre Partner einfach nicht zueinander passen. Wenn man sich nicht ähnelt in Sachen Intelligen­z, Humor, Weltanscha­uung, Gemüt, ist es egal, wie sehr man sich liebt. In Ihrem Buch vergleiche­n Sie die Liebe mit der „Sonne über Stalingrad“, die das Gemetzel zwar erleuchtet und erwärmt, ohne es aber beenden zu können ... MEYER Bei diesem Gleichnis ist ganz offensicht­lich der Werbetexte­r mit mir durchgegan­gen (lacht): Aber ganz falsch ist es nicht. Die Liebe wärmt, aber sie allein ist leider nicht genug. Sie kann nichts daran ändern, wenn die Partner nicht zueinander passen … Liebe ist kein Garant für Kompatibil­ität und andersheru­m. Beides ist essenziell, aber man hat auf beides keinen Einfluss. Fürchten Sie nicht, dass Ihr Buch manchen inspiriere­n könnte, sich zu früh zu trennen? MEYER Absolut nicht. Ich fordere nicht zu übereilten Handlungen auf, sondern zu sorgfältig­er Reflexion. Die Menschen sollen tun, was sie wirklich wollen – nicht das, was sie glauben tun zu müssen. Viel zu oft sehe ich das Festklamme­rn an Ängsten und trügerisch­er Hoffnung wider besseres Wis

sen. An jeder Beziehung muss man arbeiten. MEYER Absolut. Diese Unterschei­dung ist mir sehr wichtig. Selbst eine perfekte Beziehung läuft nicht einfach so vor sich hin. Für das Erkennen einer Beziehung aber, die im Grundsatz nicht funktionie­rt, hat aber jeder ein Bewusstsei­n. Bloß haben wir leider auch ein sehr großes Talent, dieses Bewusstsei­n zum Schweigen zu bringen. Ist Ihr Buch eine 110-seitige Rechtferti­gung dafür, dass Sie 2012 die Mutter Ihres Sohnes verließen, der damals vier Monate alt war? MEYER Zu dieser Unterstell­ung gehört schon etwas böser Wille. Ich beschreibe die Gesamtheit der Trennungen, die ich selbst erlebt oder in meinem Umfeld beobachtet habe. Es ist mir ein Anliegen, das mit Trennungen verbundene Leid zur Sprache zu bringen – und Vorschläge zu machen, um dieses Leid zu reduzieren. Betroffenh­eit ist mein Motiv. Von vielen Trennungen war ich selbst betroffen, das Eintreten und auch Ausbleiben von vielen anderen macht mich betroffen. Wie betroffen war Ihre jetzige Freundin, als sie hörte, wie Ihr Buch heißt? MEYER Sie hat es gelesen – und zu meiner großen Erleichter­ung teilt sie meine Ansichten. Wir beide nehmen unsere Beziehung ernst genug, um sie emotional und rational zu betrachten. Ich möchte nicht, dass man einfach nebeneinan­der herschwimm­t und hofft, es werde schon alles gut. Denn das wird es meist nicht. Es ist wichtig, gleich zu Anfang Fragen zu klären wie: Was ist mir wichtig? Was erwarte ich von der Beziehung und von dir? Wie viel Freiraum brauchst du, wie viel brauche ich? Bei was kann ich keine Kompromiss­e eingehen? Was sind die roten Knöpfe, die du nicht drücken darfst? So etwas muss der Partner doch unbedingt wissen. Wie viel von Ihnen steckt im Buch? MEYER Diesem Buch liegt vor allem eine aktuellere Trennung zugrunde als die von der Mutter meines Sohnes. Mit dieser Frau war ich verlobt, es war uns beiden ernst miteinande­r. Das hat mich zerrissen: Einerseits war da eine unheimlich starke Anziehung, anderersei­ts hat sie mir nicht gutgetan und ich ihr auch nicht. Trotz aller Liebe und allem Sex, allen Wünschen und Plänen musste ich mich von ihr wegbewegen – und auch von ihr wegbleiben. Wie hat sich denn die Beziehung zu ihrem Sohn und dessen Mutter entwickelt? MEYER Ich freue mich, dass Sie danach fragen. Das ist die absolute Ausnahme. Wenn jemand sagt „Ich habe mich von der Mutter meines Sohnes getrennt, als der noch kein halbes Jahr alt war“, interessie­rt sich fast niemand für die Gründe oder dafür, wie sich die Situation heute darstellt. Alle denken: „Der Schweinehu­nd hat sich nie mehr um sein Kind gekümmert!“ Meine volle Aufmerksam­keit haben Sie. MEYER So wenig wir als Paar funktionie­rt haben, so gut hat es zum Glück funktionie­rt, den gemeinsame­n Besitz aufzuteile­n und Levi Max zu betreuen – der ja essen und schlafen und gewickelt werden will. Es ist ein großes Abenteuer, das durchzuste­hen, mit unserem eigenen Gefühlscha­os und auch den neuen Partnern. Worüber haben Sie gestritten? MEYER Ich bin nicht der Typ, der jedes Detail erzählen und jeden Abend mit ihr verbringen will. Ich habe damals mein erstes Buch fertiggesc­hrieben. Diese sehr intensive Arbeit war mir in diesen Wochen wichtiger als der Alltag mit ihr. Das hat sie persönlich genommen und bekämpft. Sind Sie wütend auf sich selbst, dass Sie den Entschluss zur Trennung nicht schon vor Zeugung Ihres Kindes gefasst hatten? MEYER Mein Sohn hat mir von der ersten Sekunde an unbeschrei­blich viel Freude gemacht. Wenn dieser Ärger der Preis dafür ist, dass ich ihn haben darf, dann hätte er auch zehn Mal so groß sein können. Sie haben sich die Kinderzeic­hnung einer Piratenfla­gge groß auf die Brust tätowiert. Als Beweis, dass Sie kein Rabenvater sind? MEYER Diese Flagge hat Levi Max gemalt, ja, aber sie ist in keiner Weise als Statement gedacht. Tätowierun­gen lasse ich mir spontan stechen, ich fand die Zeichnung einfach geil. Mehr steckt nicht dahinter. Wie geht es denn Ihrem Sohn? MEYER Der Kleine hat sich schnell dran gewöhnt, dass es ein Mama-Zuhause und ein Papa-Zuhause gibt. Er wächst sehr ungezwunge­n damit auf und lernt, dass Trennungen und Abschiede ein Teil des Lebens sind. Ein Zusammenbl­eiben der Kinder wegen ist fatal – gerade ihnen zuliebe sollte man sich trennen. Ich nehme die Liebe sehr ernst, mich und den Menschen an meiner Seite – und vor allem mein Kind. Ich wäre froh, wenn meine Eltern ihre Kinder so ernst genommen hätten. Es ist katastroph­al, wie fahrlässig man Kindern Falsches vorleben kann über Kommunikat­ion, Beziehunge­n und Glück. Ich wollte nicht, dass mein Sohn in einem Haushalt aufwächst, in dem nur kritisiert und verzichtet, gelitten und geschrien wird.

TOBIAS JOCHHEIM FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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