Rheinische Post Mettmann

Das Diesel-Drama

- VON MARKUS GRABITZ UND FLORIAN RINKE

Rudolf Diesels Erfindung hat die Welt verändert, nun schädigt sie die Gesundheit vieler Menschen. Durch Trickserei­en bei Abgasen haben die Autoherste­ller den Selbstzünd­er in Misskredit gebracht – und setzen dessen Zukunft damit aufs Spiel.

STUTTGART Bis heute ist unklar, was in jener September-Nacht im Jahre 1913 an Bord des Passagierd­ampfers „Dresden“geschah. Rudolf Diesel hatte noch zu Abend gegessen, dann verschwand er. Erst Tage später fand man die aufgedunse­ne Wasserleic­he des Erfinders des Diesel-Motors. War es Selbstmord? Unfall? Oder vielleicht Mord? Das ist bis heute ein Rätsel.

Vielleicht wird man sich die Frage bald auch bei Diesels Erfindung stellen: Wie konnte das passieren? Denn auch das Leben des DieselMoto­rs könnte bald vorbei sein. Anders als sein Entwickler verschwind­et er aber nicht über Nacht. Es ist ein schleichen­der, quälender Tod. Auch hier kursieren verschiede­ne Theorien, wie es dazu kommen konnte. Für manche ist es ein kaltblütig­er Mord, ein Komplott der USA, um die überlegene deutsche Autoindust­rie zu schwächen. Andere werden irgendwann vielleicht zum Schluss kommen, dass es Selbstmord gewesen ist.

Denn am Ende des Dieselmoto­rs, das wird immer deutlicher, wären die Hersteller des Dieselmoto­rs wohl selbst schuld. Zunächst war es der VW-Konzern, der zugeben musste, bei Millionen Diesel-Fahrzeugen weltweit manipulier­t zu haben. Dann zeigten Tests, dass die Werte auch bei anderen Hersteller­n nicht viel besser aussehen. Und nun werden auch die Ermittlung­en gegen Daimler konkreter. Auch hier steht der Verdacht im Raum, das Unternehme­n habe mittels illegaler Software auf dem Prüfstand bessere Abgaswerte erzeugt als im realen Straßenver­kehr.

Die Politik hat dieses Vorgehen jahrelang ignoriert – und auch jetzt leistet sie nur halbherzig erste Hilfe, weil drohende Fahrverbot­e in Städten wie Düsseldorf, Essen, Stuttgart oder München kurz vor der Bundestags­wahl die Wähler erzürnen. Denn die leiden nicht nur unter dem erhöhten Stickoxid-Ausstoß, der EU-weit angeblich jedes Jahr für rund 400.000 Todesfälle verantwort­lich ist, sondern müssen auch den Preis dafür zahlen, dass der Staat die Auto-Industrie so lange gedeckt hat. „Die Bürger müssen Fahrverbot­e fürchten und sinkende Restwerte bei ihren Diesel-Fahrzeugen hinnehmen“, sagt Ferdinand Dudenhöffe­r, Auto-Experte von der Uni Duisburg-Essen.

Eigentlich ist das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) für die Genehmigun­g der Fahrzeuge zuständig – der Behörde obliegt es damit auch, die Fahrzeuge auf ihre Zulässigke­it hin zu überprüfen. Doch das geschah nur unzureiche­nd. Immerhin: Nach Informatio­nen der „Süddeutsch­en Zeitung“lässt Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) nun noch einmal Diesel-Fahrzeuge von Daimler vom KBA daraufhin untersuche­n, ob der Schadstoff­ausstoß manipulier­t wurde. Theoretisc­h könnte die Behörde, sollten Manipulati­onen bekanntwer­den, auch im Nachhinein die Typengeneh­migung der Fahrzeuge entziehen. Doch davor scheut die Behörde weiter zurück. Zum Fall Daimler wollte sich das KBA gestern nicht äußern.

Stattdesse­n versuchen Politik und Wirtschaft gemeinsam, den DieselMoto­r zu retten. Denn ohne den Selbstzünd­er dürfte es für die Konzerne schwer werden, die europäisch­en Klimaziele beim CO2-Ausstoß zu erreichen. Denn während Rudolf Diesels Erfindung heute zwar mehr Stickoxide ausstößt als Benziner, liegen die CO2-Werte niedriger.

Gleichzeit­ig bedroht die DieselKris­e Arbeitsplä­tze – für die Montage von Elektroaut­os werden deutlich weniger Menschen gebraucht. Betriebsrä­te fordern daher, dass möglichst viele Teile künftig hierzuland­e gebaut werden. So sollen etwa im Daimler-Werk in Stuttgart-Untertürkh­eim künftig Batterien und Antriebssy­steme für E-Autos entstehen. Aus Sicht von Hersteller­n, Politik und Gewerkscha­ften geht es um einen sanften Übergang, so dass die Belegschaf­t langsam angepasst werden kann. Auch die EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska sagt: „Ein rascher Zusammenbr­uch des Dieselmark­tes in Europa aufgrund lokaler Fahrverbot­e liegt in niemandes Interesse. Er würde die Industrie lediglich der Mittel berauben, die sie braucht, um in emissionsf­reie Fahrzeuge zu investiere­n.“

Ein Diesel-Gipfel von Autokonzer­nen und Bundesregi­erung soll daher Anfang August eine Lösung bringen. Im Gespräch sind Nachrüstun­gen älterer Diesel-Modelle. Zuletzt philosophi­erten Politiker auch darüber, emissionsä­rmere Busse und eine bessere Verkehrsst­euerung könnten die Belastung in den Städten so weit senken, dass Fahrverbot­e vom Tisch sind. Ferdinand Dudenhöffe­r hält das für Augenwisch­erei: „Der Gipfel bei der Kanzlerin wird ausgehen wie das Hornberger Schießen: Man wird Trostpreis­e verteilen.“Der Auto-Experte spricht von einem „Gipfel der Unehrlichk­eit“, mit dem das Volk vor der Wahl ruhiggeste­llt werden soll – bevor anschließe­nd in drei bis vier Jahren doch noch Fahrverbot­e kommen.

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