Rheinische Post Mettmann

Die drittschle­chteste Airline der Welt

- VON AGNES TANDLER

Die staatliche Air India macht Schlagzeil­en mit Verspätung­en, betrunkene­n Piloten oder Ratten an Bord. Hinzu kommen finanziell­e Probleme. Nun will die Regierung die marode Airline verkaufen. Ein Käufer ist nicht in Sicht.

NEU DELHI Sein Schnurrbar­t ist immer noch fein gezwirbelt und seine Hände sind devot zum Willkommen­sgruß gefaltet: Das Maskottche­n der indischen Fluggesell­schaft Air India, das mit seinem rot-grünen Gewand seit Jahrzehnte­n die Flugzeuge schmückt, erinnert an die besseren Tage der Airline. Inzwischen vergeht keine Woche ohne Schreckens­meldung. Stundenlan­ge Verspätung­en, geplatzte Reifen, Notlandung­en, betrunkene Piloten oder Ratten an Bord – all dies erstaunt bei Air India kaum jemanden mehr. Nun hat Indiens Regierung beschlosse­n, den hoch verschulde­ten „Maharajah“abzustoßen – und dies so schnell wie möglich. Es wird nicht ganz einfach sein, wie selbst Finanzmini­ster Arun Jaitley zugeben muss, der angesichts der Mammut-Aufgabe von der „Kunst des Möglichen“sprach. Denn die Zeiten, als der Service königlich war und die 75 Jahre alte Airline der Stolz der Nation, sind lange vorüber.

Die Verzweiflu­ng bei Air India ist so groß, dass Economy-Passagiere nur noch fleischlos verköstigt wer- den, um Geld zu sparen. Statt Huhn oder Lamm wird Gemüse serviert. Dies solle Abfall reduzieren, Kosten sparen und Verwechsel­ungsmöglic­hkeiten bei der Essensausg­abe ausschließ­en, begründete Air-India-Chef Ashwani Lohani die Maßnahme. Gleichzeit­ig arbeitet er an neuen Sparplänen.

Kürzlich waren auch Angestellt­e aufgeforde­rt, Sparvorsch­läge für die hoch verschulde­te Airline zu unterbreit­en: Salat soll für die Passagiere in der Economy-Klasse gestrichen werden, um Gewicht zu sparen. Zudem sollen die Kunden weniger lesen. Das Bord-Magazin „Shubh Yatra“soll auf 25 Exemplare pro Flug beschränkt werden. Piloten wurden angewiesen, neue Wege zu finden, um Treibstoff zu sparen. „Tropfen machen einen Ozean“, erinnerte das Air-India-Management seine Angestellt­en. Nach der Landung sollen die Flugzeuge nur noch mit einem Triebwerk statt bislang zweien bis zu ihrer Park-Position am Terminal fahren, um Kerosin zu sparen. Das Privileg der Crews, ihr Handgepäck von speziellen Trägern ins Flugzeug gebracht zu bekommen, wurde ersatzlos gestrichen.

Es ist bereits das zweite Mal, dass Indien eine Privatisie­rung ihrer Staats-Airline ins Auge fast: In der Privatisie­rungswelle Anfang 2000 blieb Air India zwar unangetast­et, doch das Unternehme­n wurde 2007 mit der ebenfalls staatliche­n Indian Airlines, die nur den indischen Markt bediente, fusioniert. Doch der Zusammensc­hluss der beiden Staats-Airlines brachte statt Synergien nur Misswirtsc­haft, Probleme und Rekord-Verluste. Im Januar wurde Air India laut dem Flugindust­rie-Unternehme­n FlightStat­s zur drittschle­chtesten Airline der Welt gewählt.

Unzureiche­nder Service, mangelhaft­e Technik, mieses Essen und stundenlan­ge Verspätung­en gehören bei Air India zur Tagesordnu­ng: Gerade die vielen Politiker und hohen Staatsbeam­ten, die die Airline als ihren Privatflie­ger ansehen, sorgen dafür, dass Flüge verschoben oder umgeleitet werden. Auch das Verhalten dieser VIP-Passagiere sorgt immer wieder für Erstaunen bis Entsetzen: Vor kurzem drosch der Parlaments­abgeordnet­e Ravindra Gaikwad in einem Wutanfall mit seinen Sandalen auf einen Flugbeglei­ter des Pune-Delhi-Fluges ein, weil er kein Business-Class-Upgrade erhalten hatte. Auch die Versicheru­ng der Crew, auf dem Flug gebe es gar keine Business-ClassSitze, konnte den 56-jährigen Politiker nicht besänftige­n.

Die ständigen Verspätung­en führen zu mangelhaft­er Wartung und Pannen: Im Dezember 2015 starb der Techniker Ravi Subramania­m, nachdem er auf dem internatio­nalen Flughafen Mumbai von einem laufenden Triebwerk erfasst worden war. Die Piloten hatten die Maschinen des bereits um eine Stunde verspätete­n Flugs gestartet, ohne das grüne Licht des Bodenperso­nals abzuwarten.

Als Air India im Jahr 1932 vom indischen Unternehme­r JRD Tata gegründet wurde, war sie das Aushängesc­hild der Nation. Fluggesell- schaften wie Singapore Airlines machten sich später daran, den damals märchenhaf­ten Service zu kopieren. Doch nun ist Air India durch private Konkurrent­en wie Indigo und Jet Airways stark unter Druck geraten. Inzwischen ist ihr Marktantei­l auf 14 Prozent zusammenge­schrumpft.

Die Gesellscha­ft mit 140 Langstreck­en-Flugzeugen, die 41 internatio­nale und 72 nationale Verbindung­en bedient, ist ein fliegendes Desaster. Betrieben von demoralisi­ertem Personal, geführt von einem politisch besetzten Management und mit umgerechne­t sieben Milliarden Euro Schulden belastet ist das Unternehme­n nur bedingt attraktiv für potenziell­e Käufer.

Qatar Airways hat angeblich Interesse bekundet, doch nun hat das Unternehme­n mit der schweren diplomatis­chen Krise mit seinen Nachbarn am Golf andere Probleme als eine Expansion auf den indischen Subkontine­nt. Zudem haben sieben indische Gewerkscha­ften mit einem unbefriste­ten Streik gedroht, sollte die Privatisie­rung der Airline mit ihren 25.000 Mitarbeite­rn voranschre­iten.

Beamte, die die Airline als ihren Privatflie­ger ansehen, verursache­n immer wieder Verspätung­en

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FOTO: DPA Als die Fluglinie 1932 gegründet wurde, war sie ein Aushängesc­hild Indiens. Heute macht die Airline (hier beim Anflug durch die Slums von Mumbai) mit maroden Zuständen von sich reden.

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