Rheinische Post Mettmann

Hausgemach­ter Albtraum

- VON KLAS LIBUDA

In einem Bürokomple­x hat die Berliner Gruppe Machina Ex eine interaktiv­e Welt wie ein Computersp­iel geschaffen.

Und dann bekommst du diese Uhr und einen neuen Namen, die Tür schließt sich, und du bist in diesem gar nicht schönen Raum — ganz allein. Das Licht ist aus, und du weißt auch nicht so genau, was nun, du sollst dich bitte hinlegen, heißt es. Das Spiel beginnt, und bemerkensw­ert ist, dass du zwischendu­rch fast vergisst, dass es nur ein Spiel ist.

„Tracing Tales“heißt es, und konzipiert wurde es von Machina Ex, einer Gruppe von Theaterleu­ten, Spieleentw­icklern und Technikern. Was sie machen, ist irre aufwendig, sie bauen Welten, die man aus Computersp­ielen kennt, nur eben in echt. Man wird also Teil des Spiels, in „Tracing Tales“stecken sie einen zunächst einmal allein in einen Raum.

Man heißt nun zum Beispiel Cora und ist Pilotin, die aus dem Home Office mit der Drohne Pakete ausliefert. Cora ist „die beste aller möglichen Coras“, erklärt eine Stimme, die aus Lautsprech­ern zu hören ist. Es gibt drei weitere Räume, drei weitere Mitspieler mit ähnlich windschnit­tigen, zweisilbig­en Alias-Namen und vermutlich ähnlich zukunftswe­isenden Berufen. Man lebt, so erfährt man nach und nach, im „Con.vent“, einem Wohnkomple­x, dessen lernendes System die Bewohner analysiert, jede Regung protokolli­ert, letztendli­ch also kontrollie­rt. Es ist die maximale Pervertier­ung all der Datensamme­l- und Optimierun­gswut. Und von der Wirklichke­it scheint das Szenario gar nicht so weit entfernt. Zwischendu­rch scheucht einen die Lautsprech­erstimme tatsächlic­h zur Gymnastik, und man macht fleißig mit. Permanent bekommt man Nachrichte­n auf seine Uhr, eine Smartwatch, geschickt. Erst mit der Zeit begreift man: Die Nachrichte­n sind ein Hilferuf.

Das Forum Freies Theater (FFT) hat Machina Ex zum Abschluss seiner Spielzeit eingeladen, anderthalb Wochen ist die Berliner Gruppe nun an der Jahnstraße zu Gast, nahezu täglich wird mehrmals gespielt. Das FFT hat der Gruppe eine Spielfläch­e aus leeren Räumen und langen Gängen über seinen Kammerspie­len im zweiten Stock eines Bürogebäud­es besorgt. Machina Ex haben alles hergericht­et, die Räume mit Möbeln, Licht, Ton und Kameras ausgestatt­et. Irgendwann schalten die in jedem Raum installier­ten Bildschirm­e um, und man sieht nun die anderen in ihren Zellen.

Nun beginnt das große Rätseln, es geht darum, sich aus dem „Con.vent“zu befreien, denn so langsam dämmert allen, dass dieses Haus, das einem alles abnimmt, auch ein Gefängnis sein kann. Eine Ärztin, die mit viel Überzeugun­gskraft aufspielen­de Performeri­n Katharina Bill, stachelt einen zum Aus- bruch an. „Tracing Tales“entwickelt dann vor allem im Mittelteil so manche Länge, als es darum geht, mit seinen Mitspieler­n zusammenzu­finden. Zum Ende wird es dafür rasend schnell — und wie es ausgeht, entscheide­t das Geschick der Spieler. Nur so viel: Es kann unerbittli­ch sein.

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