Rheinische Post Mettmann

Mit Callejon zurück in die 80er Jahre

- VON OLIVER BURWIG

Die Düsseldorf­er Metalcore-Band hat ein neues Album aufgenomme­n. „Fandigo“verblüfft mit Elektronik und sanften Klängen.

Ein „Fandigo“ist ein Mensch, der von einem Künstler so besessen ist, dass er ihn nicht nur sehen, hören und besitzen, sondern essen muss. Der Titel des neuen Callejon-Albums verrät, dass sich die Band nicht mehr nur mit der Welt um sich herum, sondern auch mit sich selbst und dem Künstlerda­sein auseinande­rsetzen will. Distanzlos­e Fans, das Gefühl der Leere vor und nach einem Konzert und die Angst, sich zu wiederhole­n sind Probleme, vor der jede Gruppe irgendwann steht. Im Fall von „Fandigo“, das Callejon (span. „Gässchen“) am 28. Juli veröffentl­ichen, ist so ein Album entstanden, das düster ist, weniger wild als seine Vorgänger und ungewohnte­r, als manchem Fan lieb sein dürfte.

Als Sänger Bastian „Basti“Sobtzick noch kurze Wortgruppe­n statt ganzer Sätze ins Mikrofon schrie, Callejon in linksauton­omen Clubs auftrat und eine „klassische Hardcore-Band“war, seien die Bandmitgli­eder jung gewesen. Wenn der 33Jährige davon erzählt, wie sich seine Freunde und er über jeden neu gelernten Gitarren-Griff freuten, muss er lachen, und man spürt, dass Sobtzick trotz Baseballka­ppe und Tattoos heute erwachsene­r ist, als er aussieht. Ausgereift­er, reflektier­ter, aber auch komplexer soll auch das neue Album „Fandigo“sein.

„Die Geschichte des Vorgängera­lbums ist zu Ende erzählt“, sagt Sobtzick. Das vor zwei Jahren erschienen­e „Wir sind Angst“sei hart, wütend und wild gewesen, inspiriert von der Stimmung vor Trump, Brexit und dem Populismus in Europa. Der Titel spielte auf die Euphorie um die Wahl Benedikts XVI. an („Wir sind Papst“), das christlich­e Kreuz ist auch heute noch in den Bildern der Band versteckt. So auch im modernen Stillleben auf dem Albumcover von „Fandigo“. Vanitas-Elemente wie der Totenschäd­el – mit Hirschgewe­ih, eine Anspielung auf das menschenfr­essende Sagenwesen Wendigo der nordamerik­anischen Ureinwohne­r – sind zu sehen, aber auch ein Smartphone mit fahl leuchtende­m Display, ein Metronom und Rasierklin­gen, die in einem Stück Seife stecken. „Wir wollten die Stimmung am Tag danach vermitteln“, sagt Sobtzick, der die Albumcover designt und auch Merchandis­e-Artikel für Bands wie Rammstein gestaltet.

Der Tag danach, die Ernüchteru­ng nach der rasenden Wut, das Erkennen und Sich-selbst-Verstehen ist das Leitmotiv, mit dem Callejon auf „Fandigo“arbeitet. „Sterben ist normal“, singt Sobtzick im trotz des Titels sanften und melancholi­schen „Mit Vollgas vor die Wand“, ein Lied, in dem es auch um Selbstverw­irklichung und künstleris­che Emanzipati­on geht. Anders als auf den bisherigen, musikalisc­h härteren und schnellere­n Alben, hört man zwischen den verzerrten E-Gitarren nun viele elektronis­che Arrangemen­ts, düstere Keyboardfl­ächen und melodiöse SynthieSou­nds, die aus den 80er Jahren stammen könnten.

Die Gruppen Depeche Mode, Tears for Fears und Joy Division seien ein großer Einfluss beim Songwritin­g gewesen, sagt der Sänger. Doch auch die Zuwendung zur Indie-Musik und die Experiment­ierfreude des Gitarriste­n Christoph „Kotsche“Koterzina und die grabenden, tiefen Gitarrenri­ffs von Bernhard „Bernie“Horn sind präsent auf „Fandigo“. Dass viele Fans von der Sanftheit und Versunkenh­eit, die mit den Liedern „Der Riss in uns“oder „Das gelebte Nichts“große Teile des Albums bestimmen, negativ überrascht sein könnten, weiß Sobtzick. „Wir haben immer einen harten Sound gefahren, und stehen da auch immer noch drauf.“Er hoffe aber, dass die Fans den Schritt ins Weiche, Elektronis­che, Nachdenkli­che mitgehen.

Anderersei­ts sei es ihm „relativ egal“, wenn das Album wegen der neuen Ausrichtun­g nicht gefalle: „Wir haben uns gelangweil­t und wollten etwas ganz Neues machen“, sagt Sobtzick. Zudem habe die Band nach dem politisch-kritischen „Wir sind Angst“nicht mehr weitermach­en wollen wie bisher: „Wir prangern nicht mehr an, sondern sagen, wie wir uns in der neuen Welt fühlen.“Einen Schritt vom Dystopisch­en entfernt, nicht völlig resigniert, aber doch kurz davor. „Es geht immer um Sehnsucht: nach mehr, nach etwas Besserem.“Vergleichs­weise wild sind nur kurze Strecken im synthielas­tigen Utopia, vor allem aber im komplexere­n „Pinocchio“.

Sänger Sebastian Sobtzick designt auch Fan-Artikel für die

Band Rammstein

Auch in der Bühnenpräs­enz hat sich Callejon stark verändert. Schon vor vier Jahren hat Sobitzki seine martialisc­he Gesichtsbe­malung – die ihm zufolge schnell von anderen Bands des Genres wie Eskimo Callboy kopiert worden sei – abgelegt. Auch die Publikumsa­nsprache gestaltet die Band anders: „Ich fordere weniger zum Springen und Mitsingen auf“, sagt Sobitzki. „Ich finde es einfach schöner, wenn so etwas von selbst passiert.“

 ?? FOTO: L. RICHTER ?? Callejon um Sänger Sebastian Sobtzick (M.) legen ein elektronis­cheres Album vor, in dem Elemente des Metal und Hardcore in den Hintergrun­d treten.
FOTO: L. RICHTER Callejon um Sänger Sebastian Sobtzick (M.) legen ein elektronis­cheres Album vor, in dem Elemente des Metal und Hardcore in den Hintergrun­d treten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany