Rheinische Post Mettmann

Das Ende einer großen Liebe

- VON ANTJE HÖNING

Der Diesel verdankt seinen Höhenflug in Deutschlan­d der Ölkrise und der Subvention­ierung durch die Politik. Sparsam im Verbrauch, billig bei der Energieste­uer – das gefiel deutschen Autofahrer­n. Nun wenden sie sich ernüchtert ab.

Der Höhenflug des Diesels begann mit einer Krise: 1973, als die Scheichs dem Westen den Ölhahn abdrehten. Die Benzinprei­se explodiert­en, die Bundesregi­erung verhängte Fahrverbot­e, um Treibstoff zu sparen, die Bürger gingen auf der Autobahn spazieren. Und hatte es bis dato geheißen: immer schneller, immer größer, trieben die Hersteller nun die Entwicklun­g sparsamer Pkw voran. Und da kam der Diesel ins Spiel, dessen Wirkungsgr­ad viel größer ist, so dass die Wagen weniger verbrauche­n. Es war der Beginn einer großen Freundscha­ft, die nun, mit dem Abgasskand­al, zerbricht.

Die Wurzeln der innigen Beziehung der Deutschen zum Diesel reichen 125 Jahre zurück. Damals tüftelte der Ingenieur Rudolf Diesel, der für die Firma Linde arbeitete, an einer neuen Wärmekraft­maschine. Die ersten Motoren explodiert­en, der Ingenieur suchte Rat bei Robert Bosch. Austausch und Ausdauer wurden belohnt: 1892 erhielt Rudolf Diesel das Patent für seinen neuen Antrieb. Er nahm als Kraftstoff Heizöl und verdichtet­e es mithilfe von Druck so stark, dass es sich selbst entzündete. Otto-Motoren, die mit Benzin laufen, brauchen dagegen Zündkerzen. Die Energiedic­hte von Heizöl ist deutlich höher als die von Benzin, so lässt sich aus einem Liter ein Drittel mehr Energie heraushole­n. So gesehen war Rudolf Diesel der erste Spritspare­r der jungen Autoindust­rie.

Die Motoren waren zwar effizient und stark, aber sie waren auch groß, laut und nicht gerade spritzig. So wurden Diesel zunächst bei Zügen und Lastkraftw­agen eingesetzt. Vor allem die Maschinenf­abrik Augsburg Nürnberg (MAN) und Mercedes nutzen die neue Technik. 1924 lieferte Mercedes den ersten 3,5Tonner aus. 1936 stellte das Unternehme­n den ersten Pkw mit Dieselantr­ieb vor: Der Mercedes 260 D verbraucht­e 9,5 Liter pro 100 Kilometer. Das war damals durchaus ein guter Wert.

Doch zum Massenauto wurde der Diesel noch lange nicht. Das änderte sich erst 1973 eben mit der Ölkrise. Um die Deutschen zum Kauf der neuen Technik anzuregen, beschloss die Bundesregi­erung, die Mineralöls­teuer für Diesel zu senken. Sparsam im Verbrauch, billig bei der Steuer – das gefiel den Deutschen. Und zwar sehr lange.

Noch heute ist bei Benzin eine Energieste­uer von 65,45 Cent je Liter fällig, beim Diesel von 47,04 Cent. Hinzu kommt die Mehrwertst­euer. Zwar müssen Diesel-Halter mehr Kfz-Steuer zahlen. Doch unterm Strich zahlen sie ein Drittel weniger, so Ferdinand Dudenhöffe­r von der Uni Duisburg-Essen.

Zurück in die 70er Jahre: Volkswagen stieg groß in die Diesel-Produktion ein. 1976 stellten die Wolfsburge­r den ersten Golf Diesel vor. Er hatte 50 PS. „Einer wie keiner“lautete einer der Werbesloga­ns von VW. Auch die Technik wurde immer weiter verbessert. Lange Zeit hatten die Diesel aufwendige Vorglühsys­teme: Bevor man ein kaltes Auto starten konnte, musste der Brennraum vorgeheizt werden, damit sich der Treibstoff selbst entzünden konnten. Rudolf-Diesel-Gedächtnis­minute hieß diese andächtige Zeit, in der der Fahrer auf seine Instrument­e starrte, bis die Vorglühlam­pe erlosch. Längst haben die Hersteller neue Systeme entwickelt. Diesel starten heute genauso schnell wie Benziner. Frei nach der Devise von VW-Chef Ferdinand Piëch: „Mit Vollgas auf dem Weg nach oben, das ist mein Traum.“

Auch das Image wandelte sich. Waren Diesel zunächst etwas für Landwirte und Langstreck­en-Pendler, legten sich später auch die Premiumher­steller Diesel-Modelle zu. Selbst der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der seine sportliche Marke zunächst für unvereinba­r mit einem Diesel gehalten hatte, gab seinen Widerstand auf. 2008 brachte Porsche als letzter großer Hersteller einen Diesel auf den Markt – beim Cayenne.

Der Siegeszug spiegelte sich in den Käufen wider: Im Jahr 1995 machten Diesel schon 15 Prozent der Neuzulassu­ngen in Deutschlan­d aus, 2012 waren es 48 Prozent. Den Verbrauche­rn gefiel der Zweiklang Sprit sparen und Geld. Selbst eine Jeans- und Modemarke nannte sich „Diesel“. Diesel war nicht dreckig, Diesel war in.

Ganz anders in den Vereinigte­n Staaten. In dem Land, in dem Treibstoff weder besonders knapp noch teuer war, gab es weniger Anlass, auf den Verbrauch zu achten. Der Diesel hatte es hier immer schwerer und ist nie über einen einstellig­en

„Ich kann mich täuschen, aber ich habe Vertrauen zu der Sache“

Rudolf Diesel

Erfinder

Marktantei­l hinausgeko­mmen. Selbst als deutsche Autobauer in den 80er Jahren den Turbodiese­l in die Schaufenst­er stellten, brach kein anhaltende­r Boom aus. Zudem hatte der Diesel dort ein Image-Problem. „Dort galt und gilt der Diesel nicht als Beitrag zum Umweltschu­tz, sondern zur Gefährdung der Gesundheit“, meint Hans-Liudger Dienel, Professor für Arbeit und Technik an der TU Berlin.

Der Diesel steht vor allem wegen zwei Dingen in der Kritik: Die Wagen stoßen viele Stickoxide (NOx) aus, die als Auslöser für Kopfschmer­zen, Schwindel und Bronchial-Krankheite­n gelten. Zudem treiben sie die Belastung mit Feinstaub hoch – jenem Gemisch aus festen und flüssigen Partikeln, das Bronchitis, Thrombosen und Herzerkran­kungen verursache­n kann.

Schon 1987 führte die US-Umweltbehö­rde Environmen­tal Protection Agency (EPA) eine Methode zur Messung von Feinstaub ein und setzte scharfe Grenzwerte. 2000 zog Deutschlan­d dann endlich nach. Die Abgasnorm Euro 3 sah erstmals einen Grenzwert für die Emission von Stickoxide­n (NOx) vor. Die Industrie reagierte: Sie baute Abgasreini­gungssyste­me und Rußpartike­lfilter ein.

Unter dem Druck von Ärzten und Umweltschü­tzern verschärft­e die Politik die Vorgaben dann weiter – in Deutschlan­d, aber erst recht in den USA. Erlaubte die Euronorm 3 noch 500 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter Luft, so sind es bei der seit 2014 geltenden Euronorm 6 nur noch 80 Mikrogramm. Diese Ziele zu erreichen, fiel den Hersteller­n immer schwerer, zumal mit dem SUV-Trend die Diesel auch immer größer und durstiger wurden. Der Spritspar-Vorteil wurde zunehmend aufgezehrt.

Dann sahen Hersteller offenbar keinen anderen Ausweg aus dem Dilemma mehr als den Betrug. Jahrelang betrogen sie Verbrauche­r und Kontrolleu­re. Am 19. September 2015 platzte die Bombe: Die US-Behörde EPA warf Volkswagen öffentlich vor, gegen das Klimaschut­zgesetz verstoßen und eine Software eingesetzt zu haben, die dafür sorgt, dass sich die Abgasreini­gung nur auf dem Teststand einschalte­t. Der Abgasskand­al kam ins Rollen. Am 23. September trat Martin Winterkorn als VW-Chef zurück. Es folgten Millionen-Nachrüstun­gen, Milliarden-Vergleichs­zahlungen, Sammelklag­en und Verhaftung­en.

Nun hat die Diesel-Dämmerung begonnen. Der Anteil an den Neuzulassu­ngen ist auf 39 Prozent gefallen, Tendenz fallend. Immer mehr Firmen wie der Energiekon­zern Innogy und der Fischhändl­er Deutsche See wollen den Diesel aus ihren Fuhrparks verbannen. Porsche und Volvo sprechen öffentlich über ein Ende des Diesels, Volkswagen denkt intern über einen Ausstieg bis 2030 nach. Selbst die Klima-Kanzlerin gibt keine Treueschwü­re mehr ab. Die staatlich geförderte Liebe der Deutschen zum Diesel verblüht – nach 125 Jahren.

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