Rheinische Post Mettmann

Erdogan will russische Raketen

- VON GERD HÖHLER

Türkei und Russland stehen offenbar vor dem Abschluss eines milliarden­schweren Rüstungsge­schäfts. Der Deal birgt für die Nato politische­n Sprengstof­f.

ANKARA Seit November 2016 verhandelt die Türkei mit Russland über die Lieferung von S-400-Luftabwehr­raketen. Jetzt sind die Gespräche offenbar auf der Zielgerade­n: „Wir stehen bei dem Geschäft an einem guten Punkt und erwarten einen baldigen Abschluss“, erklärte kürzlich Ibrahim Kalin, der Sprecher des türkischen Staatschef­s. Erdogan selbst bestätigte vergangene Woche in einer Rede vor Abgeordnet­en seiner Regierungs­partei: „So Gott will, werden wir die S-400 bald in unserem Land sehen.“

Nach Informatio­nen türkischer Medien will Ankara 2018 zunächst zwei Batterien mit jeweils vier Lenkwaffen aus Russland beschaffen. Zwei weitere Batterien sollen später in der Türkei montiert werden. Das Geschäft könnte ein Volumen von rund 2,5 Milliarden Dollar erreichen. Die Raketen haben eine Reichweite von 400 Kilometer und können Ziele in bis zu 27 Kilometern Höhe vom Himmel holen, Kampfflugz­euge ebenso wie Marschflug­körper und Raketen.

Die Türkei sucht seit Jahren nach modernen Luftabwehr­raketen. Weil die türkischen Streitkräf­te kein eigenes System besitzen, mussten in den vergangene­n Jahren Deutschlan­d, die Niederland­e, Spanien und die USA den Türken immer wieder mit Patriot-Batterien aushelfen. So waren Bundeswehr-Patriots in der Südtürkei stationier­t, um den NatoPartne­r vor Angriffen aus Syrien zu schützen. Ende 2015 wurde der Einsatz beendet. Jetzt schrillen bei der Nato und in Washington die Alarmglock­en. Denn das russische System ist nicht mit der Sicherheit­sarchitekt­ur der Allianz kompatibel.

Das S-400-Luftabwehr­system gilt zwar als sehr leistungsf­ähig. Aber um die S-400 sinnvoll zu nutzen, müsste die Türkei nach Meinung von Militärexp­erten ein eigenes Radarsyste­m aufbauen. Das würde weitere Milliarden verschling­en und Jahre dauern.

Erdogan scheint dennoch entschloss­en, das Vorhaben durchzuzie­hen. Jedes Land müsse für seine Sicherheit sorgen, so der türkische Präsident. Lange habe man mit den USA über die Lieferung des Luftabwehr­systems Patriot verhandelt – ohne Ergebnis. „Deshalb planen wir jetzt den Einsatz der S-400, ob es ihnen nun gefällt oder nicht“, sagte Erdogan vergangene Woche in An- kara. Damit geht Erdogan einen Schritt weiter auf Distanz zum Westen. Die Beziehunge­n der Türkei mit den meisten europäisch­en NatoMitgli­edern sind seit dem Putschvers­uch vor einem Jahr ohnehin gespannt. Neben der Kritik an Erdogans zunehmend autoritäre­m Kurs und seinen „Säuberunge­n“sorgt aktuell auch das Besuchsver­bot für Bundestags­abgeordnet­e auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Konya für Streit. Auch im Verhältnis der Türkei zu den USA gibt es jede Menge Konfliktst­off – wie die Weigerung Washington­s, den Erdogan-Erzfeind Fethullah Gülen auszuliefe­rn, oder die militärisc­he Zusammenar­beit der USA mit der syrischen Kurdenmili­z YPG, die von Ankara als Terrororga­nisation eingestuft wird.

Während sich die Beziehunge­n der Nato zu Russland auf dem tiefsten Punkt seit dem Ende des Kalten Krieges befinden, sucht Erdogan die Nähe des Kremlchefs Wladimir Putin. Von der Krise nach dem Abschuss eines russischen Bombers durch die türkische Luftwaffe im syrischen Grenzgebie­t Ende 2015 haben sich die Beziehunge­n schnell wieder erholt. Mitte August 2016 besiegelte­n Putin und Erdogan bei einem Treffen in Sankt Petersburg die Aussöhnung. Schon damals kündigte Erdogan an: „Wir werden unsere Zusammenar­beit in der Rüstungsin­dustrie verstärken.“Putin könnte hoffen, damit einen Keil in die Nato zu treiben.

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FOTO: DPA Präsident Erdogan 2016 auf dem Weg zum Nato-Gipfel in Warschau.

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