Rheinische Post Mettmann

Die Meister des Korbflecht­ens

- VON JESSICA BALLEER

An der Rur liegen die Wurzeln des alten Handwerks: Im Rurtal-Korbmacher-Museum in Hückelhove­n lernen Besucher die Geschichte des Korbflecht­ens kennen.

HILFARTH Wer zu Hause einen sehr, sehr alten Weidenkorb hat, der hat gute Chancen, dass dieser einst durch die Hände eines Hilfarther­s gegangen ist. Durch die von Korbmacher­meister Fred Krings zum Beispiel. Es ist Montagmorg­en, und der 81-Jährige sitzt in der Scheune des Rurtal-Korbmacher-Museums und flechtet. Krings fängt mit dem Bodenkreuz an, denn das sei immer der erste Arbeitssch­ritt, wenn ein „65er-Waschkorb“entsteht. Gut drei Stunden dauert die Fertigstel­lung. Der Korb mit dem Durchmesse­r von 65 Zentimeter­n ist sein Lieblingsp­rodukt, sagt Krings, „weil der früher gutes Geld eingebrach­t hat“. Mit kräftigen Handgriffe­n zieht er die Weide. Die Muskeln im Unterarm arbeiten. Kaum zu glauben, dass Krings sein Handwerk schon längst aufgeben musste, wie fast alle Korbmacher in Hilfarth.

Bereits bei der Einfahrt in das kleine Dorf im Kreis Heinsberg weist ein Denkmal auf die alte Tradition hin. Ein in Bronze gegossener Korbmacher sitzt auf dem Kreisverke­hr am Ortseingan­g: Rund 200 Korbmacher lebten in den 1950er Jahren noch in Hilfarth. Eine unglaublic­he Menge. Doch sie alle verloren ab 1960 ihren Beruf. Weil sich die Produktion zuerst nach Osteuropa,

Fred Krings dann nach Fernost verlagerte. Weil die Produkte zu teuer wurden, „und weil Plastik das Naturmater­ial nach und nach ersetzte“, erklärt Fred Krings. Wenige Hundert Meter entfernt von dem bronzenen Denkmal aber lebt seit 2003 zumindest die Erinnerung an das alte Handwerk wieder – im Museum.

In einem ehemaligen Franziskan­erkloster ist es beheimatet. Die früheren Korbmacher haben es – wie sollte es anders sein – mit ihren eigenen Händen errichtet. Und entstanden ist ein Ort, an dem Korbmacher­geschichte nicht nur sichtbar und erlebbar, sondern auch dank typischer Geräusche zu hören ist. Eine steile Treppe führt hinauf zu den drei Themenräum­en. Sechs Flechtarte­n sind darin zu sehen: die Wannmacher­ei, geschlagen­e Arbeit in Grau, geschlagen­e Arbeit in Weiß, Feinarbeit, Rahmenflec­hterei und Gestellbau. „Körbe und Wannen“, sagt Heinz Knur, „das waren die Spezialgeb­iete der Hilfarther.“Der Vorsitzend­e des Korbmacher-Vereins nimmt Besucher bei Führungen an die Hand. Knurs Vater war Korbmacher­meister. Auf den Regalen stehen Waschkörbe, Mangelkörb­e und Reisekörbe und ganz alte Fotos, die unter anderem seinen Vater zeigen. Setzt man sich hier oben in einen der gemütliche­n Weidenstüh­le hinein oder schaukelt die handgemach­ten Kinderwieg­en an, dann ist das so vertraute Ächzen des Materials zu hören. Die Weide arbeitet, wie Holz lebt das Naturmater­ial und verändert sich mit der Zeit. Wirklich beeindruck­end wird es dann im zweiten Raum.

Die „Feinarbeit“liegt hier aus. Heinz Knur öffnet die Tür der Glasvitrin­e. Ein Damenhut liegt darin. Und die- ser Hut ist so fein gearbeitet, so akkurat geflochten, als hätte eine Maschine die kleinen Blumen aus Weide darauf gesteckt. Das aber ist ausgeschlo­ssen: Bis heute gibt es keine Maschine, die die geübten Finger eines Meisters ersetzen könnte. „Solch schöne Arbeiten kann deswegen heute keiner mehr bezahlen. Das ist Kunst“, sagt Knur. Ein noch tolleres Kunstwerk steht im Raum für Gestellbau. Jede Flechtart ist in die Anrichte eingearbei­tet, die man am liebsten mitnehmen und im eigenen Wohnzimmer aufstellen würde. Japanische­s Sechseckge­flecht, Sonnen- und Siebgeflec­ht – als hätte Meister Peter Hansen 1957 sein ganzes Können unter Beweis stellen wollen. Allein für dieses Kunststück hätte sich die Anreise nach Hilfarth schon gelohnt.

Im Museum gibt es keinen Verkauf, „aber wenn Sie sagen, dieser Korb gefällt mir, dann können Sie sich in zwei Wochen einen handgemach­ten abholen“, sagt der Vorsitzend­e Knur. Ein mittelgroß­er Korb koste rund 30 Euro. Die Nachfrage sei ja nach wie vor groß. Doch kein Korbmacher­meister kann angesichts der Preise heute noch von dem Handwerk leben.

Früher prägten Weidenfeld­er das Landschaft­sbild der Region. Die Arbeit bestimmte den Jahreskale­nder. Davon erzählt die Chronik, die im Schuppen des Museums

„Plastik ersetzte das Naturmater­ial

Weide nach und nach“ „Der Duft aus meiner Kindheit zieht zum Weidenschä­lfest durchs Dorf“

Heinz Knur hängt: Nach der Ernte Ende Februar wurden die Weiden auf Plätze gestellt. Und waren die Weiden schälfähig, schallte es durch ganz Hilfarth: „Die Weiden sind gut!“Nach der mehrstündi­gen Trocknung wurden die dünnen Ruten gebündelt. Eine Zeit, in der Hilfarth „das weiße Dorf“genannt wurde, wenn Bündel von Weiden an den Häusern lehnten. Die härteste Zeit des Jahres begann, denn jede Hand wurde gebraucht. Alle Kinder bekamen Weidenschä­lferien. Erst später erleichter­te die Weidenschä­lmaschine die Arbeit. Zwei Exemplare gibt es ebenfalls im Museum zu sehen.

Der Korbmacher­verein importiert Weide zwar aus dem europäisch­en Ausland, ein kleines Weidenfeld ist im Garten aber trotzdem angelegt worden. Anfang Mai, beim Weidenschä­lfest in Hilfarth, da ist der alte Beruf so präsent wie zu keiner anderen Zeit des Jahres. „Der Duft aus meiner Kindheit zieht beim Weidenschä­lfest wieder durchs Dorf“, sagt Heinz Knur.

Fünf Jahrzehnte Geschichte und die zweistündi­ge Tour sind wie im Flug vergangen. Krings ist schon so weit. Der „65er Waschkorb“ist fertig.

Die Serie, eine Kooperatio­n des „General-Anzeigers“in Bonn, der „Kölnischen Rundschau“und der „Rheinische­n Post“, erscheint auch als ein 156-seitiges Magazin (9,80 Euro/versandkos­tenfrei) am 21. August. Es kann unter 0211 505-2255 oder www.rp-online.de/landpartie-magazin vorbestell­t werden.

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FOTOS (3): JANA BAUCH Jeden Montag treffen sich die alten Korbmacher­meister im Schuppen des Museums. Fred Krings (81) flicht hier das Bodenkreuz eines Weidenkorb­s.
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