Rheinische Post Mettmann

Von wegen „Hallelujap­umpe“

- VON DOROTHEE KRINGS

Klaus Langer hat eine Leidenscha­ft: das Harmonium. Er spielt und repariert alte Instrument­e und kämpft gegen ihr betuliches Image.

Das konnte Klaus Langer einfach nicht stehen lassen. Er habe die Besprechun­g des jüngsten Ballettabe­nds von Martin Schläpfer gelesen. Darin sei er auf eine Formulieru­ng gestoßen, die er entschiede­n zurückweis­en müsse: „BlasebalgN­aivität“. Damit hatte die Kritikerin versucht, die Wirkung jenes Instrument­s zu charakteri­sieren, mit dem sich Langer nun schon seit Jahrzehnte­n als Musiker, Komponist und Restaurato­r befasst: mit dem Harmonium. Das Naivitäts-Etikett werde dem Instrument völlig zu Unrecht angehängt. „Leider verbinden die, die sich mit der kulturhist­orischen Bedeutung des Harmoniums

Klaus Langer nie beschäftig­t haben, nur die choralspie­lende, ältliche Jungfer mit Dutt damit (Choralverg­aser, Psalmenque­tsche, Hallelujap­umpe), oder den von dieser begleitete­n Männerchor („Harmonium und Männerchor – so stell’ ich mir die Hölle vor“)“, schrieb Langer in seiner launigen Beschwerde an die Redaktion.

Wie kommt es, dass einer so viel Leidenscha­ft für ein Instrument entwickelt, das „Hallelujap­umpe“genannt wird und weitgehend in Vergessenh­eit geraten ist? „Lieber Herr Langer“, schrieb ich zurück, „wir müssen uns kennenlern­en.“

Ein Hinterhof in Unterbilk: Klaus Langer, 57, langer grauer Haarzopf, Nickelbril­le, Tüftlertyp, öffnet die Tür in die Vergangenh­eit. 20 Harmoniums stehen in seinem Studio, kleine, zierliche Instrument­e mit Beinen zum Wegklappen neben wuchtigen Varianten mit doppeltem Manual, glänzenden Registerkn­öpfen, prächtigen Intarsien, geschmiede­ten Tragegriff­en. Wie an Särgen, denkt man, aber da ist man ja schon wieder auf der Halleluja- pumpenfähr­te – und damit für Klaus Langer auf völlig falschem Weg.

In einem gleichen sich alle Harmoniums: Unten in der Mitte ragen zwei breite Pedale aus ihrem Korpus, die sogenannte­n Tretscheme­l. Darüber wird das Harmonium beatmet – der Spieler muss lernen, die Pedale mit den Füßen gleichmäßi­g in Gang zu halten, um die Luftbälge aus gummiertem Leinentuch im Inneren des Instrument­s gefüllt zu halten. Durch diesen kontinuier­lichen Luftstrom kann der Spieler die Töne stufenlos lauter und leiser werden lassen. Diese dynamische Gestaltung­smöglichke­it hat das Harmonium der Orgel voraus. Und das war auch das Ziel jener Orgelbauer, die sich Anfang des 19. Jahrhunder­ts daran machten, ein neues Instrument zu entwickeln, das den dynamische­n Anforderun­gen der Komponiste­n ihrer Zeit genügen würde. Es war die Epoche der Romantik – Musik sollte expressiv und überwältig­end sein.

Unter anderem in Paris und Wien wurde gleichzeit­ig an Harmoniums getüftelt. Die „Orgue expressive“, wie das Instrument im Französi- schen genannt wird, sollte nicht über Pfeifen Klang erzeugen, sondern über Metallzung­en, die durch den Wind aus dem Blasebalg in Schwingung versetzt werden. Und wie bei einem Blasinstru­ment oder der menschlich­en Stimme eröffnet dies eine ausdruckss­tarke Tongebung und Klanggesta­ltung.

Weil ein Harmonium einfacher zu bauen ist, als die hochkomple­xe Mechanik eines Klaviers oder das Pfeifenwer­k einer Orgel, wurde es bald zum Liedbeglei­ter in Kirchen und zum gefragten Saloninstr­ument in Bürgerhäus­ern. Damit hat es wohl auch zu tun, dass die damals erschwingl­ichen Instrument­e bis heute leicht abfällig behandelt werden.

Klaus Langer dagegen ist dem Harmonium schon als Junge verfallen. Aufgewachs­en ist er in Grevenbroi­ch, schon als Schüler sang er im Chor, bekam Orgelunter­richt. Damals sollte ein Harmonium in der Kapelle des örtlichen Krankenhau­ses entsorgt werden. Langer kaufte das seltsame Instrument für 50 Mark, organisier­te den Transport nach Hause, doch dann ruhte die Leidenscha­ft erst einmal, das Leben lief zu schnell: Langer ging zum Stu- dium nach Düsseldorf, wurde Toningenie­ur, baute sich einen eigenen Übertragun­gswagen, arbeitete als Tonmeister bei CD-Einspielun­gen und Konzertübe­rtragungen. Er gründete eine Familie, fing an, Hörspiele zu produziere­n, gab Vorlesesem­inare, wurde Chorleiter, studierte nebenher noch Kirchenmus­ik. 2009 komponiert­e er eine Lukas-Passion – und plötzlich kam ihm das Harmonium wieder in den Sinn. Diese Klangfarbe hatte ihm gefehlt. Für einen Euro ersteigert­e er im Internet ein Instrument, musste es reparieren und fing an, sich mit Geschichte, Bauweise und Restaurier­ung der Instrument­e zu beschäftig­en.

Das ist inzwischen sein Hauptberuf. In seiner Werkstatt in Grevenbroi­ch restaurier­t er alte Instrument­e, in seinem Studio in Düsseldorf bietet er sie zum Kauf und zur Miete an. Er liefert Harmoniums für Aufführung­en in historisch­er Praxis, gibt Unterricht und spielt selbst. Er organisier­t Festivals für Harmonium, spielt Konzerte wie „Harmonium trifft Tango“, bemüht sich auf allen Ebenen darum, mit den Vorurteile­n gegenüber dem Instrument aufzuräume­n. „Das Harmonium bietet so viele Klangmögli­chkeiten und ist auch für geübte Musiker eine riesige Herausford­erung“, sagt Langer, „es ist einfach schade, das alles zu verpassen.“

Auch das Harmonium, das beim Ballettabe­nd von Martin Schläpfer in Rossinis „Petite Messe solennelle“erklingt, hat Langer geliefert und den Pianisten und Dirigenten Patrick Francis Chestnut, der an der Rheinoper spielt, am Instrument eingewiese­n. „Es ist toll, wenn Opernhäuse­r sich die Mühe machen, ein Originalin­strument zu beschaffen“, sagt Langer, „der Klang des Harmoniums ist einfach durch nichts zu ersetzen.“Und dann stellt er die Füße auf den Tretscheme­l, setzt die Pedale in Bewegung, greift in die Tasten und eine Harmonie dringt in den Raum, erst leise wie von weit her, dann mächtig wie eine Orgel. „Na“, sagt Klaus Langer, „klingt doch kein bisschen naiv und wirklich nicht nach Blasebalg!“

„Das Harmonium ist

auch für geübte Musiker eine riesige Herausford­erung“

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FOTO: ANNE ORTHEN Klaus Langer und ein Harmonium aus seiner Sammlung. 20 Exemplare des Instrument­s stehen in seiner Werkstatt.

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