Rheinische Post Mettmann

Richter: Personalma­ngel lähmt Justiz

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Eine längere Autofahrt alleine stand an, das Hörbuch war schon ausgesucht – doch erst auf der Autobahn fiel der Fehler auf: CD zu Hause vergessen. Die einsamen Kilometer hätten nun mit Sendungen aus dem Radio gut gefüllt werden können. Stattdesse­n ein Experiment: vier Stunden Stille – also Motorbrumm­en zu Fahrtwind. Dazu auf eine Tätigkeit konzentrie­ren, einfach fahren und warten, was alles aus dem zuletzt Erlebten auftaucht, Gedanke wird, das Innere beschäftig­t.

Viele Menschen haben das Gefühl, kurzatmig zu leben, durch ihre Tage zu hasten, von Termin zu Termin zu jagen und dem eigenen Programm gar nicht hinterherz­ukommen. Gerade in den Ferien, wenn manche Anforderun­gen des Alltags nachlassen, fällt den Gehetzten auf, was da alles von ihnen abfällt. Dieses Gefühl, von sich selbst überholt zu werden, hat mit dem Phänomen BERLIN (rtr) Wegen Personalma­ngels können Polizei und Strafjusti­z nach Aussage ihrer Berufsverb­ände die innere Sicherheit nur noch mit Abstrichen gewährleis­ten. Bundesweit fehlten mindestens 2000 Richter und Staatsanwä­lte sowie 20.000 Polizisten, warnten Deutscher Richterbun­d und Gewerkscha­ft der Polizei.

Staatsanwa­ltschaften und Gerichte würden sich deshalb immer häufiger damit behelfen, Verfahren einzustell­en. „Von den fünf Millionen erledigten Strafverfa­hren wurde 2015 ein Drittel mit oder ohne Auflagen eingestell­t“, sagte der Vorsitzend­e des Richterbun­des, Jens Gnisa. Zehn Jahre zuvor habe die Quote bei einem Viertel gelegen.

Besonders alarmieren­d sei die Freilassun­g dringend Tatverdäch­tiger aus der Untersuchu­ngshaft, wenn Verfahren zu lange dauerten. „Pro Jahr kommt das im Moment zwischen 40 und 45 Mal vor“, sagte Gnisa. Dabei handle es sich um Verdächtig­e, denen erhebliche Straftaten vorgeworfe­n würden. Es klemme in der Justiz an allen Ecken und Enden. Gnisa: „Ich habe auch das Gefühl, dass der Bürger das immer mehr spürt und an der Sicherheit in seinem Land zweifelt.“Wegen der Pensionier­ungswelle werde sich die der Beschleuni­gung zu tun. Die effiziente­re Gestaltung von Arbeitsabl­äufen sorgt für die Verdichtun­g des Arbeitsall­tags in fast jeder Branche. Menschen, die damit Schritt halten wollen und müssen, sind oft so an die schnelle Taktung gewöhnt, dass sie das effiziente Denken auch auf ihre private Zeit übertragen. Sie packen sich die freien Stunden voll: Freunde, Sport, Kultur, möglichst alles an einem Abend – so stellt sich im Lauf der Zeit ein Gefühl der Überforder­ung ein.

Umso wichtiger ist es, sich selbst unverplant­e Zeit einzuräume­n und Erlebnisse nachklinge­n zu lassen. Natürlich scheint es reizvoll, dieses und jenes Event noch „mitzunehme­n“, auch dieser Einladung zu folgen und jene Spätvorste­llung noch hinten anzuhängen. Doch selbst wenn die Tage dehnbar scheinen, die menschlich­e Verarbeitu­ngskapazit­ät hat Grenzen. Und wenn man nur noch erlebt, nur noch wahr- Lage in den kommenden zehn bis 15 Jahren noch verschärfe­n.

GdP-Chef Oliver Malchow forderte 20.000 zusätzlich­e Polizisten und damit mehr als die von SPD und Union versproche­nen 15.000 Beamten. Vor allem die Länder müssten mehr tun. Wie brisant der Personalen­gpass sei, habe sich beim G 20Gipfel in Hamburg gezeigt. Dort seien 23.000 Polizisten eingesetzt gewesen. „Da war aber auch nicht mehr drin“, erklärte Malchow. Die Polizei könne sich nicht mehr so um Sicherheit und Alltagskri­minalität kümmern, wie dies von den Bürgern gewünscht werde.

Erlebnisse nachklinge­n lassen

nimmt, die Dinge aber nicht mehr sacken lassen kann, hat man von all den Aktivitäte­n in Wahrheit wenig. Das Erlebte füllt zwar die Stunden, aber es erfüllt das Innere nicht.

Gerade Auto- oder Bahnfahrte­n sind gute Gelegenhei­ten, sich innerlich Raum zu verschaffe­n. Gerade, weil außen herum noch Leben und Bewegung ist, treten Gedanken zwanglos zutage. Menschen, die meditieren, haben oft damit zu kämpfen, dass radikalere Formen der Einkehr erst einmal viel Unrast und inneren Krach heraufbesc­hwören. Stillwerde­n muss man üben. Sich bewusst Zeit zu nehmen, in der Erlebnisse nachklinge­n können, auch einfache Dinge wie ein guter Abend mit Freunden, ist dagegen keine schwere Übung. Solche Zeiten können dem Alltag Tiefe geben – und dem Leben längeren Atem. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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