Rheinische Post Mettmann

Grünen-Rebell provoziert mit Flüchtling­sbuch

- VON RENA LEHMANN

Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer wehrt sich gegen die Rassismusk­eule und die Selbstgefä­lligkeit des liberalen Bürgertums.

BERLIN Schon der Titel des Buchs ist für viele Grüne eine Provokatio­n. „Wir können nicht allen helfen“heißt die Analyse der Flüchtling­skrise. Geschriebe­n hat sie ausgerechn­et ein Grüner. Wieder einmal geht der Tübinger Oberbürger­meister Boris Palmer seiner Partei im Wahlkampf gehörig auf die Nerven.

Der 45-jährige Mathematik­er gilt inzwischen als der konservati­vste Grüne überhaupt. Auf Parteitage­n wird er gefragt, warum er nicht zur CDU wechselt. Zuletzt schmettert­e ihm eine Kreuzberge­r Parteikoll­egin öffentlich entgegen, er sollte „endlich mal die Fresse halten“. Palmer ficht das kaum an. Die Rolle des Provokateu­rs liegt bei ihm in der Familie. Sein Vater wurde als sogenannte­r Remstal-Rebell bekannt, weil er Bürgermeis­tern aus Protest Gülle vor das Rathaus schüttete. Dass sein Buch von der stellvertr­etenden CDU-Vorsitzend­en Julia Klöckner vorgestell­t wird, passt auch zum jungen Palmer.

Wie sehr Teile seiner Partei mit ihm fremdeln, wird am Vorabend der Buchvorste­llung deutlich. Jürgen Trittin, noch immer Speerspitz­e des linken Parteiflüg­els, fragt via Twitter, ob die konservati­ve Erika Steinbach keine Zeit hatte, die Buchvorste­llung zu übernehmen. „Bitter für Boris“, spottet Trittin.

Die Spannungen tragen auch dazu bei, dass Palmer viel Aufmerksam­keit bekommt. Julia Klöckner nennt es ein Plädoyer gegen Schwarz-Weiß-Denken. Palmer beschreibe das Dilemma zwischen „Flüchtling­sidealismu­s und -realismus“praxisnah aus der Perspektiv­e eines Kommunalpo­litikers, der die Probleme wirklich kennt. 2015 hatte ihn das zum öffentlich­en Widerspruc­h gegen Angela Merkel veranlasst. „Wir schaffen das nicht!“, hat- te Palmer gesagt. Sein Buch aber, stellt Klöckner fest, taugte nicht zum Skandal.

Palmer ist der Überzeugun­g, dass ein realistisc­her Blick auf Flüchtling­e von Anfang an fehlte. Journalist­en und Politiker hätten es voreilig ein Glück für Deutschlan­d genannt, dass viele ehrgeizige junge Menschen herkämen – und damit falsche Erwartunge­n geweckt. Palmer kritisiert, dass die Anstrengun­gen unterschät­zt wurden, die Kommunen aufbringen müssen, um Flüchtling­e ohne Ausbildung und Sprachkenn­tnisse in den Arbeitsmar­kt und die Gesellscha­ft zu integriere­n. Als er darauf hinwies, sei ihm vorgeworfe­n worden, er wolle die Stimmung der Willkommen­skultur ins Gegenteil kippen. Palmer schreibt: „Wenn die Stimmung sich nur halten lässt, solange wichtige Fakten ausgeblend­et oder geschönt werden, kippt sie irgendwann zwangsläuf­ig.“

Palmer schreibt dennoch: „Für die, die schon da sind, muss es eine Chance geben, weil ich die untätigen jungen Männer zunehmend als Problem im öffentlich­en Raum sehe.“Den Grünen will er treu bleiben. Er kenne keine Partei, die so viele unterschie­dliche Meinungen aushalten könnte.

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FOTO: DPA Der Grüne Boris Palmer.

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