Rheinische Post Mettmann

Zwei Deutsche liefen gegen Bolt

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Jamaikas Leichtathl­etik-Superstar hat 15 Goldmedail­len in Einzelrenn­en bei einer WM oder bei Olympia gewonnen. Nur in einem dieser Finalläufe standen auch deutsche Sprinter. Till Helmke und Sebastian Ernst erinnern sich an die Junioren-WM 2002 auf Jamaika.

DÜSSELDORF/LONDON 15 Jahre ist es inzwischen her, dass Sebastian Ernst im Nationalst­adion von Kingston stand, die Hände in die Hüfte gestützt, den Blick gen Boden gesenkt. 15 Jahre ist es her, dass Ernst auf den Startschus­s zum 200Meter-Finale der Junioren-WM auf Jamaika wartete. Aber die Erinnerung an diesen Moment ist nach wie vor frisch. „Ich habe nie wieder so eine gute Atmosphäre erlebt. Ich hätte mich vor Nervosität fast übergeben“, erzählt Ernst. Er ist damals 17, aber er weiß, der, um den es geht, der, den die knapp 30.000 Zuschauer ekstatisch bejubeln, der läuft auf Bahn drei – und ist erst 15. Sein Name: Usain Bolt.

Minuten später an diesem 19. Juli 2002 wird jener Usain Bolt in 20,61 Sekunden seine erste Goldmedail­le in einem internatio­nalen Einzelrenn­en gewinnen. Bis heute sind bei Weltmeiste­rschaften und Olympische­n Spielen 14 weitere über 100 und 200 Meter hinzugekom­men. Das Finale von 2002 bleibt indes die deutsche Garnitur der Goldläufe des Superstars, denn es sollte das einzige Finale bleiben, das Bolt gewann, in dem auch der Deutsche Leichtathl­etik-Verband (DLV) vertreten war. Und das sogar mit zwei Athleten.

Da war eben Sebastian Ernst, der damals für Schalke 04 startete, später lange für den TV Wattensche­id lief und nur als Ersatzmann mit zur WM geflogen war. Doch weil Markus Malucha sich mit Eisspray verbrannte und ausfiel, schlug Ernsts Stunde. Er lief im Vorlauf Bestzeit und erreichte das Finale. Dort traf er auf DLV-Kollege Till Helmke, damals 18, vom hessischen TSV Friedberg-Fauerbach. Auch bei ihm hat das Finale von Kingston eine bleibende Erinnerung hinterlass­en. Vor allem eine Episode aus dem Warteberei­ch („Call-Room“).

„Als es endlich soweit war und wir aufstanden, klatschte Usain Bolt jeden von uns als Geste des Miteinande­rs ab. Dieses Verhalten war alles andere als üblich unter Sprintern, wie ich dann in den Jahren danach bei anderen internatio­nalen Meistersch­aften festgestel­lt habe. Das war schon etwas Besonderes, und deswegen habe ich ihm den Aufstieg zum Su- perstar auch gegönnt“, sagt Helmke. Ernst bestätigt dieses Bild des kollegiale­n Bolt. „Unnahbar war er nur vor der Kamera, in den Katakomben war er für jeden Spaß zu haben“, erklärt er. Ernst weiß auch noch, wie er Bolt plötzlich hinter dem Stadion bei einer ganz besonderen Übungseinh­eit erblickte. „Auf dem Einlaufpla­tz hat er Posen geübt, die er nach dem Finalsieg zeigen würde. Und am Ende hat er dann doch eine andere Pose gezeigt.“Damals wählte Bolt den Sa- lut, um sich bei seinen frenetisch­en Landsleute­n auf den Rängen zu bedanken. „Wenn du vor so einer Kulisse läufst, dann läufst du wie Gott“, findet Ernst.

Wer heute ein Video des Endlaufs von 2002 sieht, erlebt einen Usain Bolt als Rohdiamant­en. Schon damals unnachahml­ich im Einsatz seiner langen Hebel, aber noch wild, ungelenk. Mit viel Luft nach oben im Zusammensp­iel von Armen und Beinen. Ernst sagt: „Usain Bolt war für seinen Körper einfach zu

schnell und deswegen auch so oft verletzt.“Experten verglichen Bolts Laufstil damals mit US-Sprinterin Marion Jones. Und Donovan Bailey, kanadische­r Olympiasie­ger von 1996 über 100 Meter, war ob der Vorstellun­g Bolts einfach nur platt: „Er hat so viel Kraft, und das Potenzial, das er hat, ist einfach unglaublic­h.“

Ernst und Helmke waren 2002 nur Beiwerk der ersten großen BoltShow. Aber sie waren dabei und wurden am Ende Sechster und Siebter – ein Starter der Bahamas kam nicht ins Ziel. Für beide sollte es der größte internatio­nale Einzelerfo­lg bleiben. Ernst wurde Junioreneu­ropameiste­r (2003) und U23-Vizeeuropa­meister (2005) über 200 Meter, und er erreichte bei Olympia 2004 in Athen das Halbfinale. Helmke holte Silber über 100 Meter bei der Junioren-EM 2003.

Bolts Weg war seit Kingston ein anderer. Hinauf zum polarisier­enden Superstar. Und als der will er aufhören. Mit 30 Jahren. Bei der heute beginnende­n WM in London. Die Frage, die sich die Leichtathl­etik stellt, lautet deswegen: Was bleibt ohne Bolt? „Er ist einmalig. Wenn er weg ist, wird sich für die Leichtathl­etik ein Loch öffnen“, sagt Ernst. Helmke sieht die Situation nicht so dramatisch. „Die Leichtathl­etikWelt wird auch ohne Bolt ganz normal weiterlauf­en. Superstars hat es immer wieder gegeben. Einen Carl Lewis kennen vielleicht noch viele. Einen Bob Beamon, Jan Zátopek oder Paavo Nurmi hat die Welt leider schon fast vergessen“, meint Helmke.

Doch egal, was sein wird, wenn Bolt die große Bühne verlässt, Helmke und Ernst wissen: Sie waren dabei, als er sie betrat. Mit 15.

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FOTO: IMAGO Sebastian Ernst (links) und Till Helmke bei den Deutschen Jugend-Hallenmeis­terschafte­n 2003 in Leverkusen nach dem 200-m-Finale, das Helmke vor Ernst gewann.

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