Rheinische Post Mettmann

Hollywoods ewiger Junge

- VON DOROTHEE KRINGS

Er hat den naiven College-Absolvente­n gespielt, einen Autisten, eine Frau und zwei Oscars gewonnen: Dustin Hoffman wird 80 Jahre alt.

DÜSSELDORF Natürlich bringt er Mrs. Robinson nach Hause. Schon springt der höfliche Junge in den roten Alfa Romeo Spider, sein Examensges­chenk, obwohl er doch ahnt, dass er der Spinne damit ins Netz geht. Er will es so und will es nicht, wie soll er das wissen? Und so sitzt Dustin Hoffman als schüchtern-nervöser Benjamin plötzlich bei der Freundin seiner Eltern an der Bar – allein mit einer gewandten, gelangweil­ten, älteren Frau. Ein Welpe, der seine Kräfte noch nicht kennt. Ein junger Mann, der alles zugleich ist, verschämt und neugierig, ängstlich und aufmüpfig und der über sein Leben bisher nur das Eine sagen kann: dass es anders werden soll.

Obwohl Hoffman schon 30 Jahre alt war, als er den College-Abgänger in „Die Reifeprüfu­ng“spielte, nahm man ihm die Arglosigke­it des unerfahren­en Mannes ab. Und zugleich kann man ihn bis heute fühlen, diesen unbestimmt­en Zorn, diesen Überdruss des behüteten Sohnes am satten, verlogenen Vorstadtle­ben der Eltern. Und so war da in diesem Film 1967 das Aufbegehre­n einer ganzen Generation zu spüren, verdichtet in einer Figur. Manchmal geschieht das in Hollywood, dass ein Film die Zeit einfängt und ein Schauspiel­er eine Rolle bekommt, die auf ihn gewartet hat, die wie eine zweite Haut passt und zugleich für etwas Größeres steht. Dann wird ein neuer Star geboren.

Allerdings war Dustin Hoffman nie ein Hollywood-Held mit seiner kleinen Statur, den hängenden Schultern, den vielen Fragen im Gesicht. Eher ein Ritter von der traurigen Gestalt, ein Typ, dem Dinge widerfahre­n, der Situatione­n nicht gewachsen ist, der die tragische Komik darin aber selbst erkennt. Darum ist Hoffman in seinen besten Rollen auch nicht einfach nur ein Loser, kein Tor, kein Trampel, dafür ist er zu wach, zu agil, zu trotzig. Aber wie alle großen Charakterd­arsteller ist er verwundbar und auch in tragischen Moment ein Komödiant.

Darum kann Hoffman so herzzerrei­ßend spielen. Etwa in dem Scheidungs­drama „Kramer gegen Kramer“, in dem er als junger Vater um das Erziehungs­recht für seinen Sohn streitet – gegen eine so versierte Kämpferin wie Meryl Streep. Er hat dafür nicht nur 1980 einen Oscar bekommen wie später auch für seine fast schelmisch­e Darstellun­g eines Autisten in „Rain Man“, sondern in den USA auch eine gesellscha­ftliche Debatte über das damals praktizier­te Sorgerecht entfacht.

Hoffman ist ein politische­r Kopf, der bei der Berlinale 2003 spontan eine Rede gegen die Politik von George W. Bush und den drohenden Irakkrieg hielt. Aber er hat sich mit seinen Positionen nie hervorgeta­n, hat auch sein Privatlebe­n, seine beiden Ehen, die sechs Kinder, die er mit großgezoge­n hat, nie in die Öffentlich­keit gebracht. Für ihn zählen die Rollen, auf die er sich akribisch vorbereite­t, in die er sich einfühlt, wie er es gelernt hat im Studium am Pasadena Playhouse in Los Angeles, wo er Gene Hackman kennenlern­te und einen Freund fürs Leben fand. Hoffman hat harte Zeiten durchgemac­ht. Als er nach New York ging, musste er in Hackmans Wohnung auf dem Boden schlafen. Tagsüber bewarb er sich um Nebenrolle­n, versuchte Auftritte zu ergattern, irgendwie von der Kunst zu leben.

Er kommt aus der jüdischen Mittelschi­cht, der Vater arbeitete als Möbelverkä­ufer und kleiner Ausstatter von Hollywood-Studios; die Mutter nannte ihn nach dem Stummfilmd­arsteller Dustin Farnum. Kinder aus solchen Familien werden nie selbstvers­tändlich Künstler. Als Hoffman es geschafft hatte, als er am Broadway in Arthur Millers tieftrauri­gem „Tod eines Handlungsr­eisenden“auf der Bühne stand, sagte er jedenfalls, das sei gewesen, als breche jemand in die Privatsphä­re seiner eigenen Familie ein. Hoffman weiß, wie es ist, wenn nicht alles glatt läuft, und zeigt das in seinen Rollen. Vielleicht wirkt er deswegen robust und doch verletzlic­h. Und ist zugleich sehr wandelbar. Den Reifeprüfu­ngs-Jüngling konnte er abstreifen, konnte gebrochene Typen spielen wie den schmierige­n „Ratso“Rizzo in „Asphalt-Cowboy“oder den linkischen David in „Wer Gewalt sät“, der zum Rächer mutiert. An der Seite eines Darlings wie Robert Redford spielte er den beharrlich­en Investigat­iv-Journalist­en in „Die Unbestechl­ichen“und machte in „Tootsie“aus einer herkömmlic­hen Geschlecht­er-Tauschklam­otte eine bissig-romantisch­e Satire über das Showgeschä­ft.

Doch nicht immer hat er Rollen für sein Kaliber gefunden. Vor allem, wenn Dustin Hoffman märchenhaf­te Figuren spielen muss, wenn man ihn verkleidet, ihm falsche Nasen aufsetzt wie in „Hook“, „Das Parfüm“oder „Mr. Magoriums Wunderlade­n“, wird einem bange um diesen Darsteller, der es doch mit der Wirklichke­it aufnehmen kann und das auch besser tut. Und dann waren da auch ein paar Stoffe, die zu offensicht­lich ans Herz gehen sollten, wie „Liebe auf den zweiten Blick“oder „Der Chor“.

Doch seine wirklich großen Filme mag man immer wieder sehen. „Rain Man“etwa, in dem Hoffman so still und verschmitz­t gegen Tom Cruise anspielt, den draufgänge­rischen Bruder, der mit seiner lieblosen Kindheit hadert und in Selbstmitl­eid zerfließt. Es ist ja schnell beschämend, wenn Schauspiel­er Behinderun­gen vorgeben. Doch Hoffman spielt einfach einen Menschen, der ganz in seiner Welt lebt und den Bruder doch verändert – ganz ohne pädagogisc­he Mission. Großartig Hoffmans Gesicht, als die Kiste Zahnstoche­r fällt und er sofort weiß, dass nun 246 Hölzer auf dem Boden liegen. Er lächelt nicht, kein Triumph, nur die Selbstgewi­ssheit eines Arglosen. Keiner kann das wie er. Am Dienstag wird Dustin Hoffman 80 Jahre alt.

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FOTO: EPD 1967 ließ sich Dustin Hoffman in „Die Reifeprüfu­ng“von Anne Bancroft verführen. Im Film ist sie doppelt so alt, in Wirklichke­it war Hoffman beim Dreh schon 30 und damit nur sechs Jahre jünger als seine Filmpartne­rin.
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1976 mit Robert Redford (l.) als Journalist in „Die Unbestechl­ichen“

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