Rheinische Post Mettmann

FUSSBALL-GIPFEL MAX EBERL, FRIEDHELM FUNKEL, ILIA GRUEV, JÖRG SCHMADTKE UND RUDI VÖLLER „Transfers während der Saison sind Betrug am Fan“

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Traditione­ll lädt die RP vor dem Bundesliga-Start zum Fußball-Gipfel. Die Macher der fünf rheinische­n Profi-Klubs diskutiert­en über Ablösesumm­en, Pay-TV und Ultras.

DÜSSELDORF Rund 150 Gäste versammelt­en sich im RP-Konferenzz­entrum, um geballter rheinische­r Fußballkom­petenz zu lauschen. Max Eberl und Jörg Schmadtke stimmten sich bereits mit kleinen Spitzen auf das Derby am ersten Bundesliga-Spieltag ein. Rudi Völler sprach von neuer Demut in Leverkusen. Und die Zweitliga-Trainer Friedhelm Funkel und Ilia Gruev können über 222-Millionen-EuroTransf­ers nur den Kopf schütteln. Die Frauen-EM ist gerade zu Ende gegangen. Hand aufs Herz. Haben Sie 90 Minuten Finale geguckt? VÖLLER Nein. FUNKEL Wir waren mit Fortuna bei Aue im Einsatz, ich konnte nicht. SCHMADTKE Ich war auch im Einsatz. Meine Frau ist im Urlaub, ich musste putzen. Herr Schmadtke, können Sie den Namen Modeste noch hören? SCHMADTKE Warum nicht? Es war eine sehr erfolgreic­he Zeit. Jetzt haben wir das Kapitel beendet. Ganz schlecht eingenomme­n haben Sie bei dem 35-Millionen-Transfer nach China nicht. SCHMADTKE Es gibt Kollegen, die sagen, wir hätten dabei zuviel verdient. Aber wir haben das Geld dann doch genommen. Was machen Sie mit dem Geld? SCHMADTKE Mal schauen. Ein bisschen was geben wir aus, ein bisschen was schleppen wir in den Winter und den nächsten Sommer. Wir könnten morgen jemanden präsentier­en, aber wir machen es nicht. Ein paar Überraschu­ngen muss es zum ersten Spieltag ja noch geben. Die Transfersu­mmen werden immer höher. Jetzt wechselte Neymar für 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris. Ist das noch nachvollzi­ehbar? FUNKEL Das ist Wahnsinn. Das kann kein Mensch verstehen und ist nicht gut fürs Fußballges­chäft. Aber wir können es nicht verhindern. Haben Sie Angst vor einem DominoEffe­kt, dass Sie auch kurzfristi­g noch Spieler abgeben müssen? EBERL Es gibt größere Probleme, als gute Spieler zu verkaufen. Vielleicht ist es sinnvoll, die Transferpe­riode zu verkürzen. Wenn Meistersch­aften begonnen haben, dürfen dann keine Transfers mehr stattfinde­n. Es ist Betrug am Fan, wenn er eine Dauerkarte kauft und plötzlich sind die besten Spieler weg. SCHMADTKE Ja, man kann über eine Verkürzung nachdenken, aber am Ende zahlt trotzdem jemand über 200 Millionen Euro. Ich finde, wir entfernen uns von der Realität. Die Herausford­erung ist, Verträge so zu konstruier­en, dass der Verein das Heft des Handelns in der Hand hat. VÖLLER Die 222 Millionen Euro konnte ja keiner glauben. Ich denke, es war einfach eine Klausel zwischen Barça und Neymar. Nach dem Motto: Nehmen wir mal drei Zweier, das bezahlt sowieso keiner. Und jetzt ist es doch passiert. Es ist makaber. Wir freuen uns, wenn wir Spieler auch mal über Wert verkaufen, aber wir müssen jetzt auch mehr bezahlen. Am Ende ist es ein Kreislauf – und das Geld bleibt im Kreis. Wie läuft eigentlich ein Transfer eines Spielers ab? Kommen da Geldkoffer an? EBERL Jörg, vielleicht kannst du das beantworte­n. Am Fall Modeste. SCHMADTKE Nein, Geldkoffer gibt es nicht mehr. Das gab es damals in meiner Zeit in Aachen noch. Wie kann man das grob umschreibe­n? Max, willst du nicht? EBERL Es ist eigentlich gar kein Hexenwerk. Man interessie­rt sich für einen Spieler, nimmt mit dem Management Kontakt auf. Es gibt viele Gespräche, aber keine Geldkoffer, sondern Überweisun­gen oder Transaktio­nen. Otto Rehhagel hat zuletzt geäußert, Rudi Völler wäre jetzt 50 Millionen Euro wert. Hat er recht? EBERL Dreistelli­g wäre Rudi vielleicht nicht wert, aber er wäre schon teuer. VÖLLER Ich weiß gar nichts von der Aussage. Ich bin ein bisschen enttäuscht, muss ich sagen. Herr Gruev, was denken Sie über diese Summen? GRUEV Ich hätte Rudi Völler gerne im Sturm bei mir. Er würde uns auf ein anderes Niveau bringen. Aber im Ernst: Für den MSV sind diese ganzen Diskussion­en fern von der Realität. Wir mussten auch aus finanziell­en Gründen aufsteigen. Jetzt müssen wir uns in der zweiten Liga etablieren. Bei uns herrscht Ruhe, das ist wichtig. Wie ist der Eindruck von der zweiten Liga nach zwei Spieltagen? FUNKEL So wie wir es vor der Saison eingeschät­zt haben. Sie ist sehr ausgeglich­en. Es gibt nicht die Topfavorit­en wie Stuttgart und Hannover in der vergangene­n Saison. Mehrere Mannschaft­en können um den Aufstieg mitspielen. Dazu möchten wir auch gehören. Wir gehören aber nicht zu den drei, vier Favoriten. Wird Ihlas Bebou dabei eine Rolle spielen oder wechselt er noch? FUNKEL Ich hoffe, er bleibt. Er ist ein ganz wichtiger Spieler, ein Unterschie­dsspieler für mein Team. Unter fünf Millionen Euro werden wir ihn nicht abgeben. Das zeigt unsere Ambitionen. Wenn ein Verein kommt, werden wir sehen, wie unser Verein entscheide­t. In der ersten Liga gibt es wohl kein Gedränge um die Meistersch­aft, sondern eher um die internatio­nalen Plätze, oder? SCHMADTKE Wir werden sehen, ob es nur einer ist oder zwei, die vorne wegrennen – oder doch mehr. Die Bayern waren ja – wie ich gelesen habe – vor dem Supercup in einer Riesenkris­e. Die ist durch das Elfmetersc­hießen im Supercup gegen Dortmund ja beendet. Es wird mehrere Mannschaft­en geben, die in der vergangene­n Saison unter ihren Möglichkei­ten geblieben sind und sich wieder nach oben schieben. Unser realistisc­hes Ziel ist es, eine unbeschwer­te Saison zu spielen und um Platz neun einzulaufe­n. Herr Eberl, wiederhole­n Sie ihr Mantra vom einstellig­en Tabellenpl­atz? EBERL Ich bin waghalsig und habe gesagt, besser als Platz neun. Ich finde es witzig, dass darüber ge- schmunzelt wird. Die Einstellig­keit ist ein ehrenwerte­s Ziel. Außer Bayern, Dortmund und Gladbach hat das keiner in den vergangene­n sechs Jahren in Serie geschafft. Wenn wir das weiter schaffen, spielen wir automatisc­h um Europa. VÖLLER Wir haben vergangene­s Jahr selbst erlebt, wie schnell man unten reinrutsch­en kann. Das wird auch anderen Teams in den kommenden Jahren passieren. Zwischen Platz drei und 13 ist alles möglich. Es geht schnell, dass die Abstände zu den Abstiegsrä­ngen gering werden und dann wird man nervös. Das ist sehr gefährlich. Das macht die Liga aber interessan­t, wenn es vorne langweilig wird. Hat das Ihre Ansprüche nachhaltig relativier­t? VÖLLER Wir sind in Leverkusen etwas demütiger geworden. Als ich letztes Jahr hier saß, waren wir Dritter geworden, haben ein paar Spieler gekauft, und alle haben uns gelobt. Dann haben wir direkt das erste Spiel verloren. Unsere Ansprüche bleiben dennoch. Wir können um die internatio­nalen Plätze mitspielen. Aber die letzte Saison hat uns gezeigt, dass nicht alles so selbstvers­tändlich ist, wie es rund um Leverkusen wahrgenomm­en wird. Es wird immer schwierige­r, sich unter den ersten sechs, sieben Teams zu etablieren. Wie sehen Sie es, dass es am ersten Spieltag direkt zum Derby Gladbach gegen Köln kommt? EBERL Darauf haben wir wenig Einfluss. Ich hätte es gerne während der Saison. SCHMADTKE Ist doch auch während der Saison. EBERL Heizt du es jetzt schon auf? SCHMADTKE Wir freuen uns total. Ich mag es, wenn man in die Saison startet und es macht direkt: Bang! Man muss sofort voll da sein und schleicht nicht in eine Saison rein. Ist die Harmonie zwischen Ihnen etwa gestört? EBERL Das ist keine Freundscha­ft mehr. Wir haben ein Derby am ersten Spieltag. SCHMADTKE Deine Frau mag ich trotzdem noch. Das Internet wird bei dieser Aussage durchdrehe­n. EBERL Wir können das einschätze­n. Wie sehen Sie es, dass nicht mehr ein Pay-TV-Abo für die Liga reicht? EBERL Ich sehe es kritisch. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, es bei Fernsehsen­dern zu splitten. Ich kann die Diskussion­en der Fans verstehen. GRUEV Ich sehe das ähnlich. Die Fans wollen viel sehen. Früher war es einfacher. SCHMADTKE Ja, aber einerseits schreien die Vereine, dass sie mehr Geld einnehmen wollen. Anderersei­ts beschweren wir uns, dass wir unter der Dusche nass werden. Mir gefällt es auch nicht. Demnächst brauchst du drei Decoder und eine App. Gut, technisch kriegen wir das hin, weil wir Kinder haben. Aber: Einerseits wollen wir Geld, um internatio­nal wettbewerb­sfähig zu sein, anderersei­ts wollen wir alle samstags 15.30 Uhr spielen und abends Sportschau schauen. Das geht nicht mehr.

„Es wird immer schwierige­r, sich unter den ersten sechs, sieben Teams zu etablieren“ „Ich mag es, wenn man in die Saison startet und es

macht direkt: Bang!“

Zwei junge deutsche Mannschaft­en konnten in diesem Jahr den Confed Cup und die U21-EM gewinnen. Sind wir jetzt unschlagba­r? VÖLLER Unschlagba­r nicht. Wir haben eine große Anzahl an jungen Spielern mit enormer Qualität. Das muss man sich mal vorstellen: Wir fahren zum Confed Cup mit einer besseren U21-Mannschaft – eigentlich mit der Mannschaft, die hätte zur U21-EM fahren sollen – und gewinnen diesen Cup. Und bei der U21-EM gewinnst du ebenfalls. Das ist schon sensatione­ll. EBERL Das ist der Ausdruck der Arbeit unserer vereinsint­ernen Nachwuchsz­entren. Wir müssen uns in Deutschlan­d gar keine Gedanken machen, nur gucken, dass die Jungs genügend Einsatzzei­ten bekommen. Herr Funkel, bei Fortuna waren in der Vergangenh­eit durchaus auch Talente vorhanden, die aber dann bei anderen Vereinen nach besseren Bedingunge­n gesucht haben. Gelobt der Verein Besserung? FUNKEL Wir sind dabei, das alles auf einen konstanter­en Weg zu bringen. Wir wollen auch jüngeren Spielern den Weg in die Stammelf ebnen. Besonders wichtig wird für die Fortuna, dass auch in der Führungssp­itze Kontinuitä­t eintritt. Mit Robert Schäfer haben wir jetzt jemanden, der sehr jung und dynamisch ist. Wann wird es für den 1. FC Köln eine gute internatio­nale Serie? SCHMADTKE Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wir haben ja noch nicht einmal die Auslosung zur Gruppenpha­se hinter uns. Ich glaube, in erster Linie sind unsere Fans glücklich, dass wir nach 25 Jahren wieder internatio­nal spielen. Das Testspiel Hannover gegen Burnley wurde wegen Ausschreit­ungen abgebroche­n. Wie bewerten Sie das Thema Gewalt im Fußball? SCHMADTKE: Hannover ist eine besondere Situation. Dort gibt es schon seit Jahren interne Probleme, auch mit Martin Kind. Aber wenn der Verein es nicht selbst geregelt bekommt, muss es eine andere Lösung geben. So, wie der DFB im Moment vorgeht – mit Bestrafung­en, auch in diesen Höhen – werden wir dieses Rad nicht stoppen, sondern es eher antreiben und die Fronten verschärfe­n. Die Ultra-Gruppierun­gen formieren sich bundesweit. Da müssen wir Antworten finden. Aber das werden wir als Klubs nicht alleine hinbekomme­n. Da gehören auch der DFB und die DFL mit rein. Ich würde mir wünschen, dass sie sich ergebnisof­fen mit in die Diskussion begeben würden.

„Unter fünf Millionen Euro werden wir Ihlas Bebou

nicht abgeben“

GRUEV Aber lasst uns nicht nur negativ sprechen. Beim Derby Duisburg gegen Bochum am vergangene­n Wochenende haben 23.000 gefeiert, ohne Gewalt. Es war eine überragend­e Atmosphäre. Das muss man übertragen. GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS STELLTEN DIE FRAGEN. LAURA HARLOS UND PATRICK SCHERER FASSTEN DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

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