LEICHTATHLETIK
mehr alleine schaffen. Warum auch? Man kann doch sagen: So wie ich zu einem Physiotherapeuten gehe, so arbeite ich auch mit einem Psychologen zusammen. Für mich war dieses Eingeständnis eine Erleichterung“, sagt sie. Anderen Leichtathleten käme dieses Eingeständnis schwerer, manchen unter keinen Umständen über die Lippen. Noch immer gilt mentales Training in der Szene vielen als Zeichen von Schwäche und nicht etwa als Ergänzung des Trainingsalltags, um Potenziale besser auszuschöpfen. „Das ist bei uns noch nicht so akzeptiert wie zum Beispiel in Amerika. Dabei glaube ich, dass man gerade an dieser Stellschraube die Leistung noch stark verbessern kann“, sagt Baumann.
Zu Beginn dieser Freiluftsaison drehte die Hürdenläuferin an den richtigen Stellschrauben und schraubte ihre Bestzeit Anfang Juni in Genf auf 55,72 Sekunden. Zuvor war sie in Rehlingen schon 56,05 gelaufen. Die WM-Norm war geknackt, die Entwicklung Richtung Weltspitze schien auf dem richtigen Weg. Doch es folgte die U23-EM im polnischen Bydgoszcz und ein enttäuschender siebter Platz statt der erhofften Medaille. „Ich dachte, ich hätte es kapiert. Aber das musste ich wieder revidieren. Stabil ist das alles noch nicht. Im Moment lerne ich viel mehr aus Niederlagen als aus Erfolgen“, sagt Baumann, die von Mutter Isabelle trainiert wird.
Also probierte sie etwas anderes aus, um die Kurve wieder Richtung London zu kriegen. Keine Brechstange, kein Druck, zurück zum Spaß an der Leichtathletik. Dazu gehörte auch, den Sport mal an die Seite zu stellen und dem Lehramtsstudium von Geschichte und Mathe mehr Zeit einzuräumen. „Für mich als Kopfmensch wäre es schwierig, neben dem Sport nichts anderes zu machen, auf das man mal die Gedanken richten kann. Dafür habe ich neben dem Training ja auch einfach zu viel Zeit“, sagt sie.
So wie Jackie Baumann ihr Leben derzeit zwischen Sport und Studium splittet, so kann sie auch aus jedem der beiden Bereiche einen Traum für die Zukunft formulieren. Der sportliche lautet: „Vielleicht bin ich ja in der Lage, mal eine Rolle in Europa zu spielen und auch mal ein Olympisches Finale zu bestreiten.“Der geschichtlich motivierte ist noch ein bisschen ambitionierter: „Am liebsten würde ich Zeit reisen können und in allen möglichen Zeiten leben“, sagt sie. Dann könnte sie auch mal nach Barcelona reisen. Und zum 8. August 1992. Einfach mal zugucken, wie der Vater Olympiasieger wird. Und diesen Moment dann doch noch zum Teil des eigenen Lebens machen.