Rheinische Post Mettmann

Merkel sicher, Schulz angriffslu­stig

- VON EVA QUADBECK

Der SPD-Herausford­erer startet forsch in das TV-Duell. Die Bundeskanz­lerin muss sich immer wieder rechtferti­gen.

BERLIN Es gibt einen Tipp, den TVCoachs allen Leuten ans Herz legen, die vor laufenden Kameras auftreten: Sie sollen viel lächeln. In den ersten Minuten beherzigen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausford­erer Martin Schulz (SPD) dieses Einmaleins der Fernsehauf­tritte. Doch während des in Teilen emotional und kontrovers geführten Duells vergessen beide immer wieder die Regel.

Eine angespannt­e Stimmung baut sich schon Stunden vor Start des Duells auf. Gegen 17 Uhr kommen per Bus Mitglieder der Jungen Union vor dem Studio in Berlin-Adlershof an. Sie tragen Deutschlan­d- und Europa-Flaggen sowie Plakate mit der Aufschrift: „Möge die Bessere gewinnen“. Als Merkel um 19.23 Uhr eintrifft, steigt sie aus und bedankt sich bei ihren Unterstütz­ern. Schulz, der neun Minuten früher da war, ist so konzentrie­rt, dass er sofort im Studio verschwind­et und die Chefredakt­eure der Sender begrüßt. Offensicht­lich sagt ihm jemand, dass er seine Leute vergessen hat. Er kehrt um und schüttelt noch ein paar Hände.

Auch die Strippenzi­eher und Politik-Experten treffen nach und nach ein. Michael Spreng, der einst Edmund Stoiber im Wahlkampf beriet, ist überzeugt: „Schulz hat nur eine Chance, wenn er das strenge Format von Frage-und-Antwort sprengt und auf Angriff geht.“

Offensicht­lich haben auch Schulz’ Berater ihm dies mit auf den Weg gegeben. Von Anfang an versucht er sich von der Kanzlerin zu distanzier­en und geht in die Offensive, was aber schwierig für ihn ist. Beim Thema Integratio­n mahnt Schulz, Männern, die aus palästinen­sischen Gebieten kommen, müsse man sagen, dass der Schutz Israels zu unserer Staatsrais­on gehört. Merkel nickt. Das waren ja mal ihre Worte.

Auch beim Thema Türkei – der interessan­teste Teil des Duells – versucht es Schulz und erklärt für Merkel überrasche­nd, er würde als Bundeskanz­ler die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei abbrechen. Merkel wittert, dass diese Klarheit Schulz angesichts der Stimmung in der Bevölkerun­g gegenüber der Türkei für ihre Umfragewer­te gefährlich werden kann. Am Ende lässt sie ihm den Punkt nicht und ringt sich dazu durch, auch zu erklären, die EU-Beitrittsh­ilfen nicht mehr zahlen zu wollen und dass man auch darüber reden werde, die Beitrittsv­erhandlung­en abzubreche­n.

Vor allem in der ersten halben Stunde wirkt Schulz nervös, verhaspelt sich in einem Zitat eines persischen Sufi-Mystikers. Das Zitat – räumt Schulz ein – habe er sich eigentlich für das Ende der Sendung aufheben wollen. Die Moderatore­n reagieren leicht spöttisch auf ihn. Sie mahnen ihn, sich nicht mehr für Fragen zu bedanken und führen ihn vor, indem sie feststelle­n, er würde „kochen, köcheln, dampfen“. An den Stellen ist das Duell nicht fair.

Der Druck auf beide ist immens: Nach einer Umfrage wollen bis zu sieben Millionen Wahlberech­tigte ihre Stimme vom Ausgang des Duells abhängig machen. Das sind mehr als zehn Prozent der Wahlberech­tigten. Beide haben sich sorgfältig vorbereite­t, was auch immer wieder vorbereite­ten Sätzen anzumerken ist – bei Schulz mehr als bei Merkel. Seit Samstagmor­gen haben sie sich aus dem Wahlkampf zurückgezo­gen, um in diesen 95 Minuten punkten zu können.

Beim Thema Diesel passt kein Blatt Papier zwischen die Kontrahent­en, die im Studio nur 1,40 Meter voneinande­r entfernt stehen. Am Ende einigen sie sich großkoalit­ionär darauf, mit dem Justizmini­ster erneut über sein Konzept für Klagen von Verbrauche­rn gegen die Autokonzer­ne zu sprechen. Unterschei­dbarkeit sieht anders aus. Dementspre­chend umschifft Schulz auch die Frage, ob er eine erneute große Koalition ausschließ­t.

Die Übertragun­gshalle neben dem Studio B ist wie für eine große Party hergericht­et. Stände mit Getränken, Essen, Bars, Stehtische­n, Lounge-Möbel. Von Union und SPD sind die Parteispit­zen prominent vertreten: SPD-Fraktionsc­hef Tho- mas Oppermann, Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig und Generalsek­retär Hubertus Heil. Aus der Union sind die Ministerpr­äsidenten Armin Laschet (NRW), Annegret Kramp-Karrenbaue­r (Saarland) und Stanislaw Tillich (Sachsen) gekommen sowie Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Fraktionsc­hef Volker Kauder, der Geburtstag hat. Auf der Getränkeka­rte in Anspielung auf die Duellanten: ein Jägermeist­er Vorpommers­che-Teezeit und ein Jägermeist­er Würselens-Jungenspie­l. Während im Studio auf Wunsch des Kanzleramt­s kein Studiopubl­ikum zugelassen ist, herrscht in der Übertragun­gshalle Stimmung. Unions- und SPD-Lager klatschen, twittern und feixen.

Das Ende der Sendung entscheide­t traditione­ll das Los. Merkel hat das letzte Wort, dafür durfte Schulz die erste Antwort geben. Auch vor vier Jahren war Merkel das Losglück hold. Damals schaute sie mit festem Blick in die Kamera und sagte: „Sie kennen mich.“Ihre ganze Erfahrung in drei Worten. Das ist an diesem Abend nicht mehr zu toppen.

Schulz, der zuerst das Schlusswor­t hat, schlägt den Bogen von der Ungerechti­gkeit der Löhne bis zur großen Linie, dass es in einer Zeit des Umbruchs Mut zum Aufbruch brauche. Das klingt ein wenig floskelhaf­t. Am Ende fehlt ihm die Zeit, und seine Bitte um Stimmen geht unter in den Mahnungen der Moderatore­n zum Ende zu kommen.

Merkel hingegen räumt ein, dass ihr in der Sendung zu wenig die Zukunftsth­emen Bildung, Digitales und Arbeitsmar­kt vorgekomme­n seien. In ihrem Schlusswor­t gibt sie sich gewohnt treuherzig: „Dafür möchte ich arbeiten – für Sie und mit Ihnen.“

Die Reaktionen fielen gespalten aus. Schon vor der Sendung hatte die SPD über Google Schulz zum Sieger erklärt. Eine peinliche Panne. Die programmie­rte Botschaft hatte zu früh Beine bekommen. Darüber ärgern sich auch viele SPD-Promis. Nach der Sendung witzelte TV-Moderator Thomas Gottschalk: „Die haben ja immer beide mit dem Kopf genickt, wenn der andere geredet hat.“LinkenPart­eichefin Katja Kipping ging ebenfalls auf die Gemeinsamk­eiten ein: „Wenn das TV-Duell das Duell zwischen Kanzlerin und Herausford­erer war, müssen wir wohl demnächst den Job übernehmen und (eine) eigene Kanzlerkan­didatur überlegen.“Der Chef des Startup-Verbandes Florian Noell kritisiert­e bei Twitter die fehlende Debatte über Digitalisi­erung: „Zukunft findet nicht statt.“

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FOTO: REUTERS Kurzes Händeschüt­teln vor dem verbalen Schlagabta­usch.

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