Rheinische Post Mettmann

SERIE SO WOHNT DÜSSELDORF Für immer Altstadt

- VON UTE RASCH UND ANNE ORTHEN (FOTOS)

Raimund Salm wohnt seit seinem 13. Lebensjahr an der Andreasstr­aße. Er hat den Wandel des Viertels aus der Nähe erlebt.

Das Nomadenvol­k unserer Tage mit seinem häufigen Wechsel von Wohnungen und Jobs kann einen solchen Lebensweg kaum nachvollzi­ehen: Raimund Salm, der soeben seinen 90. Geburtstag feierte, hat (fast) sein ganzes Leben in der Andreasstr­aße verbracht. Er hat den Wandel der Altstadt aus nächster Nähe erlebt und über Jahrzehnte kritisch begleitet. Vieles schätzt er an diesem Ort, manches findet er scheußlich, „vor allem den nächtliche­n Radau“. Hat er mal darüber nachgedach­t in einen anderen, ruhigeren Stadtteil zu ziehen? „Niemals.“

Die Andreasstr­aße an einem frühen Morgen: Am Traditions-Restaurant „Tante Anna“werden soeben Getränke angeliefer­t, vor dem Eingang des Hotels „De Medici“begegnen sich zwei alte Nachbarn: „Was macht der Rücken?“„Besser.“An der Fassade des Dominikane­r Klosters steht „Leben begleiten“– nur ein paar Schritte weiter, im Bestattung­shaus Salm geht’s eher um die Fortsetzun­g. Dort bleibt gerade ein Ehepaar vor den Schaufenst­ern stehen: Alte Kameras liegen hinter Glas, Filmrollen, Fotos von lachenden Menschen. Die Frau schaut ihren Mann an: „Dat haben die aber wieder schön dekoriert.“

In der ersten Etage ist Raimund Salm zuhause, Senior des Hauses, Vater und Onkel des heutigen Geschäftsf­ührer-Trios. Hier ist die Verbindung zu seiner berufliche­n Vergangenh­eit noch lebendig, obwohl er schon lange nicht mehr im Geschäft „mitmischt“. Seit dem Tod seiner Frau vor 20 Jahren lebt er in dieser Wohnung allein – 140 Quadratmet­er angefüllt mit Erinnerung­en. „Sie müssen meine Ahnenwand sehen“, sagt er gleich zur Begrüßung. Fotos von Großeltern, Eltern, seinen drei Kindern – und von seiner Frau Ortrud in ihren jungen Jahren mit kessem Hut und feinem Lächeln. Die Kommode unter der Fotowand war ihr Gesellenst­ück. „Sie war die erste Schreinerg­esellin in Düsseldorf.“Stolz in der Stimme. Im Raum daneben ergänzt sein eigenes Meisterstü­ck das Handwerksg­eschick des Paares, gefertigt 1950: eine Holzverkle­idung mit integriert­em Aktenschra­nk, „darin verschwind­et mein kompletter Bürokram“. Ein Möbel fürs Leben.

Sein Großvater Carl Salm erwarb 1898 die Häuser in der Andreasstr­aße 17 und 19, ließ sie umbauen und mit Dampfheizu­ngen ausstatten. Im Anbau, wo heute Schlafzimm­er und Bad des Hausherrn sind, war einst die Schreinere­i, in der zunächst nicht nur Särge, sondern auch Möbel aller Art entstanden. Dass Raimund Salm nicht in der Alt- stadt, sondern in Oberkassel zur Welt kam, verdankt er dem Expansions­drang seiner Vorfahren. Denn sein Vater leitete ab 1926 die neue Filiale an der Luegallee, erst als Sohn Raimund 13 Jahre alt war, zog die Familie zurück in die Andreasstr­aße.

„Heutzutage kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass wir mitten in der Altstadt eine Sargschrei­nerei hatten mit Hobelmasch­ine und Kreissäge. Wenn wir die Sargböden hobelten, konnte man das noch im Rathaus hören.“Hat sich keiner beschwert? „Ach was, es gab ja noch andere Betriebe, die Krach machten. Dafür hatten die Leute Handwerker direkt um die Ecke.“Und viele Läden für den Alltagsbed­arf, ob den Butter-Eier-Käseladen von Bertha Hennes oder die Drogerie Brück, in der das Seifenpulv­er von Hand hergestell­t wurde. „Allein in der Kurze Straße, wo heute nur noch Kneipen sind, waren drei Metzgereie­n, eine verkaufte nur Pferdeflei­sch.“

Und heute? Überall fast nur noch Kneipen. „Heute gilt dieser dumme Spruch von der längsten Theke der Welt.“Auf den vielen Terrassen würden die Gäste eben die halbe Nacht draußen sitzen. Und mit jedem Glas steigt der Lärmpegel, „vor allem, wenn Fußballspi­ele über die Riesenbild­schirme übertragen werden.“Mit seiner Meinung hat sich Raimund Salm nie zurückgeha­lten, hat sie streitlust­ig vertreten als Vertreter der Anwohner in der Altstadtge­meinschaft. Und er hat gehandelt. Als vor Jahren das Nachbarhau­s zum Verkauf stand, hat er zugegriffe­n und das Ladenlokal an eine Schmuckgal­erie vermietet. „Ich wollte verhindern, dass direkt nebenan auch noch eine Kneipe eröffnet.“

Aber wenn er auf seiner eigenen Terrasse (hintenraus) sitzt, be- schützt von einem rostigen Wächter des Düsseldorf­er Künstlers Anatol und noch stundenlan­g Geschichte­n aus der Altstadt erzählen könnte, wird er nur selten vom abendliche­n Stimmen-Musik-Mix gestört. Zur Straßensei­te hat er längst DreifachGl­as einbauen lassen. Das hilft. „Früher wusste ich, wenn im Fußball ein Tor gefallen war – durch das Gejohle.“Heute hört er nicht mal mehr St. Martin durch die Straße ziehen.

Aber eine Anekdote muss Raimund Salm schnell noch erzählen: Als nach seiner Hochzeit die neue Küche noch nicht fertig war, holte seine Frau von ihrer Schwiegerm­utter von nebenan einen Topf Suppe. Dabei wurde sie von einer Besuchergr­uppe beobachtet. Die Stadtführe­rin sah Ortrud Salm und meinte: „Sehen Sie, das ist das Milieu in der Altstadt. Da gehen die Frauen noch mit dem Kochtopf über die Straße.“

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Eine Wohnung angefüllt mit Erinnerung­en: Raimund Salm in seinem Wohnzimmer, von dem kann er auf das Alltagsleb­en der Altstadt hinunterbl­icken.

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