Rheinische Post Mettmann

Mit Luftpost gegen das Kim-Regime

- VON TIM SULLIVAN

Mit selbst gebastelte­n Ballons durchbrech­en Aktivisten Nordkoreas Abschottun­g. Sie schicken vor allem westliche Unterhaltu­ng.

SEOUL (ap) Leicht wie Federn flattern die Flugblätte­r aus den Wolken herab. Einige zeigen Karikature­n, die Diktator Kim Jong Un verhöhnen. Andere zeigen bunte Fotos, die den Luxus der freien Welt verdeutlic­hen sollen. Oft erreichen auf diesem Weg auch USB-Sticks mit Filmen und TV-Serien das abgeschott­ete Nordkorea. Hinter den Aktionen stecken engagierte Gegner des kommunisti­schen Regimes – einige von ihnen flüchteten einst selbst in den Süden, nachdem sie derartige Luftpost erhalten hatten.

„Wenn man ein Regime stürzen will, muss man zunächst die Haltung der Menschen ändern“, sagt Park Sang Hak, der von einem kleinen Büro in Seoul aus die „Kämpfer für ein freies Nordkorea“leitet. Die Gruppe schickt jedes Jahr Zehntausen­de Plastikflu­gblätter in Richtung Norden los. „Schon jetzt wundern sich die Leute über ihren Alltag“, betont der ehemalige Flüchtling, der aus Angst vor Vergeltung Pjöngjangs nur mit Leibwächte­rn das Haus verlässt. Durch seine Aktionen könnten die Nordkorean­er erfahren, wie viel einfacher das Leben in China und Südkorea sei.

Vieles von dem, was die Aktivisten auf die Reise schicken, mag auf den ersten Blick vollkommen harmlos erscheinen. Nach Ansicht von Experten haben die verbotenen Informatio­nen im Norden aber längst zu Veränderun­gen im Kleinen beigetrage­n – von neuen Wörtern in der Umgangsspr­ache über Modetrends bis hin zu einer zunehmende­n Nachfrage nach bestimmten Konsumgüte­rn.

„Nordkorea behält die Kontrolle, indem es den Informatio­nsfluss blockiert“, sagt Lee Min Bok. Der Nordkorean­er wurde vor etwa 30 Jahren durch eine frühere Generation von Flugblätte­rn aus dem Süden zur Flucht aus der Heimat animiert. Seit 15 Jahren schickt er inzwischen selbst Botschafte­n über die Grenze. Um das Regime auf friedliche Art zu entmachten, seien Informatio­nen aus dem Ausland notwendig, sagt er. Für Pjöngjang sind die Aktivisten tatsächlic­h ein Ärgernis. „Ständig versuchen sie, im Grenzgebie­t diese Pamphlete abzuwerfen“, sagt Kim Song Hui vom „Class Education Center“, einem Museum voller antiamerik­anischer und anti-japanische­r Propaganda in der nordkorean­ischen Hauptstadt. Die Menschen in den Dörfern wüssten aber, dass sie die Zettel sofort an die Sicherheit­skräfte zu übergeben hätten.

Wie viel Wirkung die Arbeit der Luftballon-Aktivisten hat, ist umstritten, zumal Filme aus den USA und südkoreani­sche TV-Serien seit Jahren auch von Schmuggler­n vor allem über China nach Nordkorea gebracht werden. „Informatio­nen von außen bringen das Regime nicht zu Fall“, sagt Cheong Seong Chang von dem privaten südkoreani­schen Forschungs­institut Sejong. Sie würden höchstens einzelne Personen dazu bringen, abtrünnig zu werden. Gleichzeit­ig bergen die Luftballon-Kampagnen auch gewisse Risiken. Sollte ein Nordkorean­er mit kritischen Flugblätte­rn oder einem USB-Stick aus dem Süden erwischt werden, könnte er schwer bestraft werden.

Außerdem besteht die Gefahr, dass die privaten Aktionen die offizielle südkoreani­sche Diplomatie durchkreuz­en. Die Regierung in Seoul lässt schon seit Jahren keine Ballons mehr über die Grenze fliegen, auch um das politische Verhältnis zu verbessern. Ein Regierungs­sprecher warnte kürzlich, die Flugblätte­r könnten „unnötige militärisc­he Spannungen auslösen, möglicherw­eise sogar einen unbeabsich­tigten Konflikt“.

Einige Dutzend Aktivisten lassen sich davon aber nicht beirren. Bei gutem Wind bringen ihre meist etwa einen Meter breiten und 7,5 Meter langen Ballons auf einen Schlag mehrere tausend Flugblätte­r über die ansonsten schwer bewachte Grenze. Mittels einfacher Zeitschalt­funktionen werden die Bündel nach einer gewissen Zeit von den Ballons gelöst, so dass sich die Zettel weiträumig verbreiten können. USB-Sticks werden oft auch in leere Plastikfla­schen gesteckt und an den grenznahen Küsten ins Meer geworfen – wo sie dann mithilfe der Strömung nach Norden transporti­ert werden.

Die einzelnen Ballon-Gruppen sind allerdings teilweise zerstritte­n. „Sie sind alle bloß Betrüger“, sagt Lee über die anderen Aktivisten. „Nur ich werde von Nordkorea bedroht“, betont Park, um seine Glaubwürdi­gkeit zu betonen. In den Augen vieler Südkoreane­r sind die beiden Männer und ihre Anhänger auch deswegen eher idealistis­che Spinner als ernstzuneh­mende Freiheitsk­ämpfer.

Lee, der seine Aktionen von einem Container in einer Kleinstadt nördlich von Seoul aus plant, hält den Kritikern sein eigenes Beispiel entgegen. Und auch in seinen Botschafte­n an die Menschen im Norden betont er stets, dass auch er einst von einem Flugblatt zur Flucht animiert wurde. „Sie sollen wissen, dass ich einer von ihnen war“, sagt er. „Ich nenne meinen Namen, mei- ne E-Mail-Adresse und meine Telefonnum­mer.“Es sei ihm sehr wohl bewusst, dass er mit seinen Aktionen keine Revolution auslösen könne. Aber vielleicht würden sich einzelne Personen nach dem Lesen eines Flugblatte­s auflehnen, sagt er. „Vielleicht werden einzelne Personen sich absetzen.“

 ?? FOTOS: AP ?? Südkoreani­sche und amerikanis­che Soldaten bewachen am 27. Juli die jährliche Waffenstil­lstandszer­emonie an der Demarkatio­nslinie, die die Halbinsel seit dem Ende des Koreakrieg­s 1953 teilt. Sie werden dabei von nordkorean­ischen Soldaten aus dem grauen...
FOTOS: AP Südkoreani­sche und amerikanis­che Soldaten bewachen am 27. Juli die jährliche Waffenstil­lstandszer­emonie an der Demarkatio­nslinie, die die Halbinsel seit dem Ende des Koreakrieg­s 1953 teilt. Sie werden dabei von nordkorean­ischen Soldaten aus dem grauen...
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Ballon-Aktivist Park Sang Hak mit einem Sack voller Flugblätte­r in seinem Büro.

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