Rheinische Post Mettmann

Im Rentenalte­r nicht arm sein müssen

- VON BIRGIT MARSCHALL VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER „KEINER WOLLTE HILFE LEISTEN“, SEITE A 3 VON MARTIN KESSLER JOHNSON PRESCHT VOR, SEITE A 6

Dass vor allem in Nordrhein-Westfalen das Altersarmu­tsrisiko stark zunimmt, muss auch die Bundespoli­tik beunruhige­n, schließlic­h wohnt hier gut ein Fünftel aller Deutschen. Der jahrzehnte­lange Strukturwa­ndel im Ruhrgebiet schlägt sich eben auch in geringeren Alterseink­ünften nieder. Noch ist der Anteil derer, die auf Sozialhilf­e im Alter angewiesen sind, mit drei, vier Prozent gering. Doch er wird steigen. Experten gehen von bundesweit sieben bis acht Prozent in 20 Jahren aus. Auch danach gibt es kaum Entwarnung.

Die nächste Bundesregi­erung wird sich unbedingt mit dem wachsenden Armutsrisi­ko der kommenden Rentnergen­erationen ab 2030, 2040, 2050 beschäftig­en müssen. Das Rentennive­au einfach mit einem tiefen Griff in die Steuerkass­e zu stabilisie­ren, wie es SPD, Grüne und Linke wollen, greift dabei zu kurz. Denn viele, die von Altersarmu­t bedroht sind, werden wegen zu geringer Beitragsza­hlungen auch bei einem höheren Rentennive­au keine auskömmlic­he Rente beziehen können. Klüger ist eine energische­re Wirtschaft­s- und Bildungspo­litik, die darauf zielt, möglichst alle Menschen zu befähigen, im Erwerbsalt­er ein so hohes Einkommen zu erwirtscha­ften, dass sie im Rentenalte­r nicht arm sein müssen. BERICHT ALTERSARMU­T TRIFFT NRW . . ., TITELSEITE

Situation verkannt

Der Vorfall in der Essener Bank hatte vor einem Jahr eine bundesweit­e Debatte über die Verrohung unserer Gesellscha­ft ausgelöst. Ein Aufschrei der Entrüstung war durch die Republik gegangen. Die Tat wurde zu einem Symbol für Gefühlskäl­te. Wie können vier Menschen einem am Boden liegenden Rentner nicht helfen?

Dass es Menschen gibt, die im Notfall lieber wegsehen als einzugreif­en, ist leider nicht ungewöhnli­ch. Die Beweggründ­e für ein solches Verhalten sind so vielschich­tig wie situations­abhängig. Manche haben schlichtwe­g Angst, etwas falsch zu machen oder selbst zum Opfer zu werden. Oder sich strafbar zu machen. Andere meinen, gerade wenn mehrere Menschen vor Ort sind, dass die anderen schon helfen werden – oder es sogar schon getan haben.

Im Essener Fall griffen die Angeklagte­n nicht ein, weil sie die Situation verkannten. Sie hielten den Verletzten für einen schlafende­n Obdachlose­n. Das macht ihr Verhalten nicht besser, aber etwas erklärbar. Sie haben den Mann also nicht bewusst seinem Schicksal überlassen – sie haben ihn „nur“ignoriert. BERICHT

Die Brexit-Provokatio­n

Man muss Boris Johnson lassen, dass er es meisterhaf­t versteht, größtmögli­chen Schaden anzurichte­n. In der Brexit-Debatte griff er geschickt die antieuropä­ischen Ressentime­nts vieler Briten auf, vermengte sie mit Halbwahrhe­iten und glatten Lügen und manövriert­e das Königreich damit in eine schier ausweglose Lage.

In den folgenden Schockwell­en drohte das Schiff der britischen Konservati­ven fast zu kentern. Und kaum hat Premiermin­isterin Theresa May etwas Oberwasser mit einer leicht realistisc­heren Sicht auf den Austritt, da grätscht ihr Außenminis­ter dazwischen. Hätte die Pfarrersto­chter in Downing Street ihre Regierung im Griff, müsste sie Johnson entlassen. Doch angesichts ihrer geschwächt­en Stellung nach der desaströse­n Unterhausw­ahl muss sie den Unruhestif­ter weiter einbinden. Das Chaos bleibt.

Trotzdem hat May keine andere Wahl, als einen gemäßigten Brexit-Kurs zu fahren. Sie muss sich bei den Europäern Zeit kaufen, um im Genuss der Zollunion zu verbleiben. Handelssch­ranken zur EU würden der britischen Wirtschaft den Garaus machen. BERICHT

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