Rheinische Post Mettmann

WOCHENENDE 23./24. SEPTEMBER 2017

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ben Rock-Musik in Perfektion und einer visuellen Show der Extra-Klasse gibt es auch noch eine brachiale Kampfansag­e obendrauf. Am 45. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten arbeitet sich der Rock-Star vor allem im zweiten Teil seines über zweistündi­gen Auftritts ab: Donald Trump als Hitler, mit KuKlux-Klan-Kapuze, als Baby in den Armen Putins oder mit einem auf das Notwendigs­te reduzierte­n Phallus – all diese Bilder flimmern minutenlan­g über die riesigen Bühnenlein­wände.

Dass ihn das auch Sympathien kosten kann, ist Roger Waters egal. Einige Fans in Kansas sollen seine Show mit Buh-Rufen quittiert und das Konzert vorzeitig verlassen haben. Auch soll ein Sponsor der Tour abgesprung­en sein. Doch Waters hält dagegen: „Die Trump-Anhänger werde ich sowieso nie erreichen können“, sagt er. Und: „Wer jetzt gegen meine Songs protestier­t, hat sie ohnehin nie verstanden.“

Vielleicht muss man dafür die Zeit auch noch einmal ziemlich genau um 50 Jahre zurückspul­en: Roger Waters ist ein Kind aus der FlowerPowe­r-Ära. 1967, als von Kalifornie­n die Hippie-Welle nach Europa schwappt, steht er in kleinen Londoner Clubs mit einer seltsamen Band auf der Bühne. Sie hat gerade ihr erstes Album veröffentl­icht, das, untermalt von sphärische­r Musik, von Vogelscheu­chen, Zwergen und dem Weltall erzählt. Bei ihren Auftritten setzt die Gruppe als eine der ersten überhaupt Lichteffek­te als Stilmittel ein. Der psychodeli­sche Rock ist geboren. Er passt gut in eine Zeit, in der Drogen Bestandtei­l der Jugendkult­ur sind.

Die Band gehört zum Untergrund, zur Avantgarde, aber mit „Piper At The Gates Of Dawn“landen Pink Floyd gleich auf Platz sechs der britischen Charts. Und schlagen dann einen Weg ein, den man wohl kaum vorhersehe­n konnte. Obwohl ihr ursprüngli­cher Kopf, Syd Barret, im Drogenraus­ch versinkt und die Band verlässt, wird sie in den 1970er Jahren zu einer der zugkräftig­sten im gesamten Musikgesch­äft. Da hat der Bassist Roger Waters bereits die Zügel in der Hand. Es entstehen Alben, die zu den meistverka­uften der Pop-Geschichte gehören: Mit „The Dark Side Of The Moon“(1973) kann sich nur Michael Jacksons „Thriller“messen.

Auch hinter den weiteren Konzeptalb­en, die sich millionenf­ach verkaufen – „Whish You Were Here“, „Animals“und „The Wall“–, steckt hauptsächl­ich Roger Waters, Moralist, Weltverbes­serer. Er schreibt die Texte zu den meisten Songs, die von Schmerz und Verlust, Geld- und Machtgier, Wahnsinn, Isolation und Unterdrück­ung handeln. Es sind Lieder über eine Welt, wie sie nicht sein sollte. „Is This The Life We Really Want“heißt sein in diesem Sommer veröffentl­ichtes letztes Solo-Album, und die Antwort gibt der Titel ja schon selbst. 25 Jahre dauerte es, bis sich Roger Waters wieder mit neuen Songs zu Wort meldete. Und man könnte glauben, er habe nur auf einen Mann wie Donald Trump gewartet, um jetzt erneut zur Hochform auflaufen zu können.

Fünf der neuen Songs hat Roger Waters in seiner Tour untergebra­cht. Der Rest besteht aus Pink Floyd-Material aus den Jahren 1973 bis 1979. Nostalgie pur, sollte man also meinen. Doch der Eindruck täuscht. Denn Waters gelingt das Kunststück, den alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Er gibt seinen Songs eine neue Deutung. An wen anders als an Donald Trump könnte man denken, wenn man jetzt „Pigs“vom wunderschö­nen „Animals“-Album hört: „Großer Mann, Schweinehi­rt, Du reicher Pinkel, Du große Nummer, was bist Du für eine Farce.“Der Text wurde vor über 40 Jahren geschriebe­n.

Beim Konzert in Brooklyn kommt das gut an. Brian etwa, ein gemütlich wirkender Mittfünfzi­ger aus Queens, hält es nicht auf seinem Sitz. Als in riesigen Lettern „Trump Is A Pig“(Trump ist ein Schwein) auf den Leinwänden eingeblend­et wird, springt er auf und ballt die Faust. Ebenso wie Waters, der auf der Bühne mehr wie ein Aktivist denn ein alternder Rockstar wirkt.

Selbst will Waters übrigens nicht in die Politik gehen. „Zu viele Meetings und zu viele Babys, die geküsst werden müssen“, winkt er ab. Und wahrschein­lich auch zu viele Kompromiss­e, die er eingehen müsste. Da ist er seinem Lieblingsf­eind, den er vorzugswei­se mit dem herrlich englischen Wort „nincompoop“(Einfallspi­nsel) belegt, wohl nicht ganz unähnlich.

Trotzdem gibt es auch Versöhnlic­hes. Am Ende seines Auftritts in Brooklyn fahren bei „Comfortabl­y Numb“auf der Leinwand zwei Hände aufeinande­r zu – bis sie einander zu fassen kriegen, sich halten. „Es gibt kein Us And Them – kein wir und die – sondern nur uns alle“, sagt Waters. Das ist seine Botschaft.

Im Sommer nächsten Jahres wird Waters nach Deutschlan­d kommen. Für seine Europa-Tournee will er sein Trump-lastiges Programm überarbeit­en. Wie seine Show dann aussehen wird? „Ich weiß es selbst noch nicht“, sagt er.

Aber da wird ihm schon noch etwas einfallen. Als Waters in Brooklyn die Bühne verlässt, regnen abertausen­de Papierschn­ipsel von der Decke auf denen die Aufforderu­ng „Resist!“zu lesen steht. Auch in Europa gibt es eine Menge Dinge, denen man besser widerstehe­n sollte. Der Autor reiste auf Einladung der Konzertage­ntur „Live Nation“nach New York.

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