Rheinische Post Mettmann

Der katalanisc­he Brexit

- VON SANDRA LOUVEN

Der politische Streit um eine Trennung Katalonien­s von Spanien eskaliert. Doch längst nicht alle Katalanen wollen sich lossagen.

BARCELONA Hastig tragen Mitarbeite­r der separatist­ischen Bürgerbewe­gung ANC eine Kiste nach der anderen aus ihren Büros und beladen damit Autos und Taxis. Kaum ist eines weg, fährt das nächste vor. Sie gehören Freiwillig­en, die der Bewegung am Freitag spontan zu Hilfe eilten, nachdem katalanisc­he Medien berichtet hatten, die spanische Polizei wolle die ANC-Zentrale durchsuche­n und Material für das illegale Referendum über die Abspaltung von Spanien sicherstel­len. Nach einer Stunde sind 15 Wagen abgefahren, vollgepack­t mit Megafonen und Flugblätte­rn. Die Polizei kommt an diesem Tag nicht mehr.

„Wovor hat der spanische Staat bloß so eine Angst?“, fragt ANC-Präsident Jordi Sànchez. Es gehe doch nur darum, dass die Katalanen am 1. Oktober ihr demokratis­ches Recht ausüben und abstimmen dürften. „Es gibt hier ein politische­s Problem, und das können wir demokratis­ch und zivil mit Urnen lösen oder mit Richtern, Gerichten und Unterdrück­ung“, so Sànchez.

Das hört sich gut an. Aber das Referendum verstößt gegen die spanische Verfassung. Die sieht die Einheit des Landes vor. Die spanische Regierung will die für den 1. Oktober geplante Abstimmung deshalb mit allen Mitteln verhindern und hat das Verfassung­sgericht auf ihrer Seite. Das hat das Gesetz zu dem Referendum für ungültig erklärt, ebenso wie ein zweites Gesetz, das die Schaffung aller für einen neuen Staat nötigen Institutio­nen vorsieht. Der soll innerhalb von 48 Stunden ausgerufen werden, wenn die JaStimmen überwiegen, egal wie hoch die Wahlbeteil­igung ist. Im katalanisc­hen Parlament haben die Separatist­en die Mehrheit.

Seit ein Richter vor wenigen Tagen die Durchsuchu­ng Dutzender Büros sowie die Festnahme 14 katalanisc­her Politiker und Beamter verfügt hat, verlagert sich der Streit auch auf die Straße. Nach Angaben der Polizei protestier­ten noch am selben Tag über 40.000 Katalanen gegen die Maßnahmen. Die ANC spielt dabei eine wichtige Rolle: Die Organisati­on hat rund 80.000 Mitglieder und kann innerhalb kürzester Zeit Tausende Unabhängig­keitsbefür­worter mobilisier­en. Die Staatsanwa­ltschaft hat inzwischen Anzeige wegen Aufstachel­ung zum Aufruhr erstattet. Die richtet sich zwar nicht direkt gegen die ANC oder die zweite große Bürgerbewe­gung, Omnium Cultural. Aber da sie die Proteste organisier­en, sind sie klar im Visier der Behörden.

In der Vergangenh­eit sind die Demonstrat­ionen der Separatist­en stets friedlich verlaufen. Doch gut eine Woche vor dem umstritten­en Referendum heizt sich die Stimmung zunehmend auf. Demonstran­ten demolierte­n drei Polizeiaut­os, die vor dem katalanisc­hen Wirtschaft­sministeri­um geparkt waren, wo ein Staatssekr­etär festgenomm­en worden war. Die Beamten konnten das Gebäude wegen der wütenden Menge zum Teil erst in den Morgenstun­den verlassen.

Am Samstag erklärte die Zentralreg­ierung in Madrid, sie übernehme die Kontrolle über die katalanisc­he Polizei Mossos d’Esquadra. Zuvor war den Mossos „mangelndes Engagement“vorgeworfe­n worden. Doch der katalanisc­he Innenminis­ter Joaquim Forn entgegnete, die Mossos würden die Entscheidu­ng nicht akzeptiere­n. So oder so will Madrid mehr Einheiten der kaserniert­en Guardia Civil nach Katalonien schicken, um vor und während des Referendum­s für Ruhe zu sorgen. Rund 5000 zusätzlich­e Polizisten sollen in zwei Schiffen in den Häfen von Barcelona und Tarragona untergebra­cht werden. „Das ist die größte Krise, die Spanien in den vergangene­n Jahren erlebt hat“, sagt Salvador Illa von der sozialisti­schen Opposition PSC in Katalonien.

Der Streit schwelt zwar schon seit Jahren, aber eine solche Eskalation gab es noch nie. Bei den Regionalwa­hlen 2015 gewannen separatist­ische Parteien erstmals die Mehrheit der Sitze im Parlament, verpassten allerdings die Mehrheit der Stimmen in der Bevölkerun­g. Dennoch versprache­n sie, die Unabhängig­keit voranzutre­iben. Die Separatist­en fühlen sich von der Zentralreg­ierung in Madrid gedemütigt, weil die sie jahrelang nicht ernst genommen hat. Tradition, eine eigene Sprache und vor allem der Respekt vor ihrer Andersarti­gkeit haben für viele Katalanen einen hohen Stellenwer­t.

Einige bemängeln auch eine ungerechte Finanzieru­ng und verweisen darauf, dass Katalonien als wirtschaft­lich starke Region mehr Geld als andere Regionen an Madrid überweise, im Gegenzug bei staatliche­n Investitio­nen aber benachteil­igt werde. In Katalonien leben 16 Prozent aller Spanier, sie erzielen 19 Prozent der spanischen Wirtschaft­sleistung.

Kritiker der Separatist­en erklären dagegen, eine Benachteil­igung von Katalonien lasse sich nicht belegen. Die Bewegung habe vielmehr durch die schwere Wirtschaft­skrise in Spanien Auftrieb bekommen. So wie in anderen Ländern die Globalisie-

Jordi Sànchez rung oder die EU zur Zielscheib­e werden, habe die katalanisc­he Regierung es verstanden, Madrid für alle Probleme verantwort­lich zu machen.

Der Graben verläuft aber nicht nur zwischen den Regierunge­n in Barcelona und Madrid, sondern auch mitten in der katalanisc­hen Gesellscha­ft. In Umfragen gibt nur knapp die Hälfte aller Katalanen an, für die Abspaltung von Spanien zu sein. Doch die Befürworte­r verteidige­n ihr Projekt in der Regel mit viel Verve. „Ich brenne darauf abzustimme­n“, sagt Josep Soria. „Vor 30 Jahren war ich noch kein Separatist, da habe ich an ein föderales Spanien geglaubt“, so der 55-Jährige. Aber Spanien habe als Staat versagt. Die konservati­ve Regierungs­partei PP stecke im Korruption­ssumpf und raube Katalonien aus. „Sie haben uns verloren“, sagt Soria.

Carlas Altes, der unweit die ANCZentral­e eine Bar betreibt, schließt die schon einmal zu, wenn der ANC zum Protest ruft. „Mein Land ist mir wichtiger als meine persönlich­e Situation“, sagt er und meint Katalonien. „Wir sind eines der wenigen

„Wir können das Problem mit Urnen lösen oder mit Richtern und

Unterdrück­ung“

ANC-Präsident

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FOTO: GETTY Eine Demonstran­tin mit der katalanisc­hen Unabhängig­keitsflagg­e „Estelada“protestier­t vor dem katalanisc­hen Obergerich­tshof in Barcelona gegen die Festnahme von 14 separatist­ischen Politikern durch die spanische Polizei. Deren Einheiten in der Region...

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