Rheinische Post Mettmann

Endstation Dschihad

- VON DOROTHEE KRINGS

Düsseldorf­er Uraufführu­ng von „Paradies“wird Radikalisi­erungs-Lehrstück.

DÜSSELDORF Es pocht in Hamids Kopf. Noch eine Stunde, dann soll er es tun: Einen Ungläubige­n töten, ihm ein Messer in den Leib rammen, beweisen, dass er es ernstmeint mit dem radikalen Islam. Hamid muss sich jetzt sammeln, doch seine inneren Stimmen geben keine Ruhe, Erinnerung­en werden wach. Zweifel auch. Die Zuschauer im Düsseldorf­er Jungen Schauspiel­haus betreten zur Uraufführu­ng des Stücks „Paradies“von Sarah Nemitz und Lutz Hübner einen wummernden Club. Bald erleben sie, wie die widerstrei­tenden Gedanken des jungen Dschihadis­ten darin Gestalt annehmen, denn der Club, so wird am Anfang verkündet, das ist sein Kopf. Szenen aus Hamids Leben spielen sich ab: Hamid in glückliche­n Kindertage­n mit der Familie am Meer, Hamid lernt seine Freundin kennen, er bekommt Ärger im Jugendclub, denn er ist plötzlich fromm geworden, verzichtet auf alles, was ihm Spaß gemacht hat und will, dass alle an- deren ihm folgen.

Die Dramatiker Nemitz und Hübner wollen mit ihrem neuen Stück mitten hinein in die Gedankenwe­lt eines Dschihadis­ten, wollten aus dem Innenleben des Fanatismus erzählen. Doch was der Zuschauer dann erlebt, ist der Außenblick auf die inzwischen auch soziologis­ch erforschte­n Stationen einer Radikalisi­erung. Ein mustergült­iger Fall wird durchgespi­elt, doch gerade die Innenschau bleibt das Stück schuldig. So ist Hamid von Anfang an der vom Wege Abgekommen­e, der bösen Demagogen in die Hände fällt.

Der Zuschauer beobachtet das bekannte Muster, zu keiner Sekunde erscheint die Gedankenwe­lt der Islamisten nachvollzi­ehbar attraktiv oder verführeri­sch. Die Videos der Hasspredig­er werden persiflier­t, ihre Parolen sind Paro- len. Der Zuschauer muss sich nicht auseinande­rsetzen mit Kritik am westlichen Konsumglau­ben, mit der Wut junger Verlierer des Systems oder der Idee, dass eine radikale Tat dem ohnmächtig­en Einzelnen als letzte Möglichkei­t erscheinen kann, falsche Verhältnis­se zu verändern. In „Paradies“sind die Terroriste­n verführte Kinder, denen es eigentlich gut geht - bis sie die falsche Moschee betreten.

Mina Salehpour inszeniert Hamids Lebensstat­ionen mit fantasievo­llen Details und weckt viel Spielfreud­e beim Ensemble. Hauptdarst­eller Paul Jumin Hoffmann gibt seiner Figur zwar wenig Kontur, aber aus dem Zusammensp­iel mit den Kollegen, die seine Gedanken verkörpern, ergibt sich viel Dynamik. Manche Inszenieru­ngsidee ist jedoch nur hübscher Einfall: Etwa dass die Zuschauer den Theatersaa­l wie Clubgänger betreten und das Stück stehend erleben oder sich irgendwo auf den Boden hocken. Das macht sie noch nicht zu Teilhabern des Geschehens. Sie bleiben Zuschauer – aus sicherer Distanz.

Junges Schauspiel­haus, Münsterstr­aße 446, Karten unter Tel. 0211 8523710

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FOTO: . RABSCH Hamid – gespielt von Paul Jumin Hoffmann.

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