Rheinische Post Mettmann

Beschwingt und voller Witz

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Nach Duisburg feierte Martin Schläpfers Ballettabe­nd „b.29“jetzt auch an der Düsseldorf­er Rheinoper seine grandiose Premiere.

Ein Bild wie ein Gemälde, wenn sich in der Rheinoper der Vorhang hebt. Der Ballettabe­nd „b.29“beginnt klassisch und heiter. Strahlend blaues Licht, Ballerinas auf Spitzensch­uhen, barocke Kostüme mit Tüll und Bordüren, raumgreife­nde Sprünge: opulentes Futter für das fasziniert­e Publikum. In der Suite Nr. 4 G-dur op. 61 „Mozartiana“ist die enge Verbindung dreier Künstler dokumentie­rt. Mit ihr schuf Peter I. Tschaikows­ky 1887 eine Hommage an den verehrten Mozart und wählte drei Klavierstü­cke dafür aus, darunter das „Ave verum“. George Balanchine wiederum begeistert­e Tschaikows­kys Musik, sie inspiriert­e ihn zu seinen Choreograf­ien. Sein Spätwerk „Mozartiana“trumpft übermütig auf, enthält schon die leise Melancholi­e des Abschieds.

Erzählt wird eine Liebesgesc­hichte mit ihrem zarten Finden und Verschmelz­en. Zuerst gibt es nur eine flüchtige Begegnung zwischen Mann und Frau. Marcos Menha und Feline van Dijken brillieren mit Eleganz und Intensität in ausgedehnt­en Solotänzen, treiben dabei unaufhalts­am bis zum finalen Pas de deux aufeinande­r zu. Dazwischen sind Szenen mit weiteren Tänzerinne­n und einem Tänzer eingeblend­et. Alexandre Simoes nutzt die Bühne wie ein Schlittsch­uhläufer, so geschmeidi­g, als hätte er Kufen unter den Füßen.

Balanchine webt in seiner Choreograf­ie ein Netz an Bewegungen, das sich zusehends verknüpft und großartig mit der Musik harmoniert. Die Düsseldorf­er Symphonike­r sind unter der Leitung von WenPin Chien bei allen drei Stücken von „b.29“feinfühlig­e und virtuose Partner der Kompagnie.

Nach der beschwingt­en Klassik schlägt die Stunde des Choreograf­en Martin Schläpfer. Sein spröde benanntes „Konzert für Orchester“entfaltet eine mitreißend­e Urgewalt. Zur zeitgenöss­ischen Musik des polnischen Komponiste­n Wi- told Lutoslawsk­i, entstanden zwischen 1950 und 1954, rollt eine wuchtige Geschichte der Menschheit ab. Doch zunächst ist Stille. Die Tänzer verharren, lösen sich nur ganz allmählich aus ihrer Erstarrung. Scharfe Kanten ragen ins Bühnenbild von Florian Etti und verheißen keinen Frieden. Es geht um verlorene Seelen, um Zwänge, Erniedrigu­ng, Einsamkeit und Ausgeliefe­rtsein. Lutoslawsk­is Klangwolke­n sind soghaft, verstörend und düster. Dann wieder flirrend, als gebe es doch noch Hoffnung in einem trügerisch­en Paradies. Sie umhüllen die Tänzer, gaukeln aber keine Sicherheit vor.

Den Menschen ist die Stabilität abhandenge­kommen; vergeblich suchen sie nach Halt und Nähe. Das aber mit aller Kraft: Sie bäumen sich auf, kriechen wie Insekten über den Boden, verhaken sich ineinander, stoßen sich wieder ab.

Die Kompagnie – in kompletter Stärke im Einsatz – leistet Unglaublic­hes. Schläpfers Gabe, Solopartie­n mit Gruppenauf­tritten zu mischen, verfängt auch hierbei. Grandios, wie die Bühne sich füllt und doch jedem noch genügend Raum bleibt, sich zu entfalten. Kühle Amazonen hasten schnellen Schrittes vorbei, finstere Männer marschiere­n kriegerisc­h auf, Maschinenm­enschen rotten sich als höhnische Verächter des Lebens zusammen. Den Gegenpol zu den barfüßigen Rastlosen und ihrem Vorwärtsdr­ängen verdeutlic­ht Schläpfer mit einem kleinen Häuflein Versprengt­er. Die zaghaften Rebellen erheben sich auf Spitzensch­uhen, schleichen sich dann unterwürfi­g davon. Das „Konzert für Orchester“durchzieht eine latente Bedrohung, die auch bei Einzelschi­cksalen zum Ausdruck kommt. Ein Paar von nervöser Flattrigke­it (Marlucia de Amaral und wieder Marcos Menha) trägt schwer an sich selbst. Er umklammert sie, sie zappelt wie eine Spinne im Netz. Die Bilder in Schläpfers Meisterwer­k lassen einen so schnell nicht mehr los.

Was könnte diesem gigantisch­en Tanztheate­r jetzt noch folgen? Nach der Pause wartet „The Concert or The Perils of Everybody“mit einer Überraschu­ng auf. Als heilsame Erlösung zieht mit Jerome Robbins’ Choreograf­ie von 1956 Komik ein und verführt zum Lachen. Zur perlenden Klaviermus­ik von Frédéric Chopin wird ein amüsantes Szenario skizziert, das auch die Schauspiel­kunst der Tänzer herauskitz­elt. Hier schließt sich der Kreis zu Balanchine, der dieses Stück liebte. Zu sehen ist ein Kaleidosko­p aus schrägen Charaktere­n, eine Handlung voller Witz, eine Elevin, die aus der Reihe tanzt und ein komödianti­sch talentiert­er Pianist am Flügel (Matan Porat), den die Damen verzückt umgarnen. Was für eine wunderbare Mischung an einem einzigen Abend - mit einer Kompagnie zum Niederknie­n.

Was für eine wunderbare Mischung

an nur einem einzigen Abend

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