Rheinische Post Mettmann

Studieren in Teilzeit

- VON TOBIAS HANRATHS VON JUDITH POHL

Kranke Angehörige, Kinder, Beruf: Gründe für ein Teilzeitst­udium gibt es genug. Doch zahlreich sind die Probleme. Denn viele Hochschule­n sind kaum darauf eingericht­et. Umgekehrt unterschät­zen viele Teilzeit-Studis die Herausford­erung.

BERLIN/GÜTERSLOH (dpa) Seminare, Vorlesunge­n, Projekte und Referatsgr­uppen. Dazu noch ein Nebenjob, Praktika, die Lerngruppe und Vorbereitu­ng auf die Klausurpha­se – und okay, ja, ein oder zwei Bier mit den Kommiliton­en. Doch das Klischee vom faulen Studenten, der nur alle paar Tage mal in die Uni schlurft, stimmt längst nicht mehr. Hochschulb­ildung ist ein Vollzeitjo­b. Doch was, wenn man sich nebenher um die Familie kümmern muss oder noch einen Job hat?

Dann gibt es die Möglichkei­t, in Teilzeit zu studieren – zumindest theoretisc­h. Etwa 2500 der gut 19.000 Studiengän­ge in Deutschlan­d lassen sich mit halber Fahrt absolviere­n, das zeigt das Portal Hochschulk­ompass.de. „Wie und ob die Hochschule­n ein Teilzeitst­udium ermögliche­n müssen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich“, erklärt Cort-Denis Hachmeiste­r, Datenanaly­tiker beim Centrum für Hochschule­ntwicklung (CHE).

Die meisten Teilzeitan­gebote gibt es laut CHE bei Gesellscha­fts-, Sozial-, Sprach- und Kulturwiss­enschaften. Medizin zum Beispiel lässt sich dagegen kaum in Teilzeit studieren. Und natürlich spielt auch die Hochschule selbst eine Rolle: „Es gibt Hochschule­n, die sich auf TeilzeitSt­udiengänge spezialisi­ert haben“, sagt Hachmeiste­r – darunter viele private Fachhochsc­hulen, die vor allem berufsbegl­eitende Bachelor und Master im Portfolio haben. „Umgekehrt sind offiziell TeilzeitSt­udierende bei den staatliche­n Hochschule­n eher Ausnahmefä­lle“, sagt Hachmeiste­r.

Trotzdem gibt es Teilzeit-Studis, die es an die großen Unis zieht: weil sie nur dort ihr Traumfach finden, wegen der oft hohen Gebühren an privaten Fachhochsc­hulen, wegen dem klangvolle­n Namen einer Schule. Oder weil sie dort schon studieren und nur vorübergeh­end kürzer treten. Offiziell in Teilzeit eingeschri­eben sind sie aber längst nicht immer. Denn das hat kaum Vorteile – und viele Nachteile.

Die fangen beim Papierkrie­g an: „An manchen Hochschule­n muss ich das Teilzeit-Studium jedes Semester neu beantragen“, erzählt Hachmeiste­r. Hinzu kommen finanziell­e Folgen: „Sie sind damit kein Student mehr im rechtliche­n Sinne“, erklärt Sabrina Hahm, die im Bologna Lab der Humboldt-Universitä­t Berlin Teilzeit-Studierend­e berät. „Sie haben also keinen Anspruch auf Bafög, auf eine studentisc­he Krankenver­sicherung oder Werkstuden­tenverträg­e.“

Auf der anderen Seite stehen vor allem eine Verlängeru­ng der Regelstudi­enzeit und weniger Pflichtver­anstaltung­en pro Semester. Wichtig ist das aber nur dort, wo es Strafen für zu langes Studieren oder eine strenge Kontrolle der Anwesenhei­tspflicht gibt, wie Hahm erklärt. Und bei manchen Stipendien, die auf die Semesterza­hl gucken.

Ansonsten hat die Teilzeit-Einschreib­ung wenig Vorteile. „Teilzeit- und Vollzeitst­udierende, die den gleichen Abschluss anstreben, müssen prinzipiel­l auch dasselbe Curriculum absolviere­n“, sagt Hahm. Da wundert es nicht, dass sich viele Teilzeit-Studis gegen den offizielle­n Weg entscheide­n: „Die Studierend­en sind oft regulär in Vollzeit eingeschri­eben, absolviere­n ihr Studium dann aber faktisch in Teilzeit.“

Entspreche­nd schwierig ist es, die genaue Zahl der Teilzeit-Studis zu beziffern. Laut aktueller Sozialerhe­bung des Deutschen Studentenw­erks liegt der Anteil der Studierend­en, die entweder offiziell in Teilzeit studieren oder sich inoffiziel­l selbst so einstufen, bei acht Prozent. Berücksich­tigt man jedoch das tatsächlic­he Studierver­halten, so befinden sich auch 29 Prozent der formal in Vollzeit Studierend­en faktisch in Teilzeit.

Eine homogene Gruppe sind die Teilzeit-Studis allerdings nicht, im Gegenteil. Schon die Gründe für ein verlängert­es Studium sind viel zu verschiede­n: Kinder können ein Anlass sein, pflegebedü­rftige Angehörige, ein Job oder eine Karriere als Spitzenspo­rtler. Und mit den Gründen ändern sich auch die Anforde- Das Praxisseme­ster ist der erste Schritt ins Berufslebe­n. Ein Test, ob man mit dem Erlernten und seinen Fähigkeite­n für den Beruf geeignet ist. Für mich hieß das: sieben Monate Journalist­in sein. Vier Monate in der Pressestel­le von Phoenix und drei Monate in der Kulturreda­ktion der Rheinische­n Post. Auch wenn ich mich als Journalist­ikstudenti­n per se als freie Journalist­in bezeichnen darf und auch schon über Veranstalt­ungen unserer Hochschule berichtet habe, kam ich mir nie wie eine richtige Journalist­in vor. Ich habe zwar Theoretisc­hes gelernt und Reportagen, Features oder Meldungen geschriebe­n sowie Videobeitr­äge produziert, doch wusste ich nichts über den praktische­n Alltag in einer Redaktion.

Daher war ich vor meinem ersten Arbeitstag ziemlich nervös. Ich kam mir vor wie ein Affe im Clownskost­üm. Ich wusste nicht, ob das, was ich mitbringe, ausreichen würde. Doch es ist alles nur eine Frage der Übung. Schritt für Schritt und von Aufgabe zu Aufgabe wurde ich sicherer. Ich lernte mit den fremden Programmen umzugehen und die täglichen Aufga- ben auf den Schirm zu bekommen, so dass ich irgendwann einfach in die Redaktion kam, mich an meinen Schreibtis­ch setzte und anfing zu arbeiten. Das Unbekannte wurde Automatism­us, doch nie langweilig. Ich wurde zu Karla Kolumna. Sozusagen. An diesem Punkt kam es mir vor, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Meine Hochschule, mein Studium, meine Kommiliton­en – all das ist weit weggerückt. Es gab nur die Arbeit, meine Kollegen und das Mittagesse­n.

Jetzt neigt sich das Praxisseme­ster dem Ende zu. Im Oktober geht das Studium weiter. Weg vom Schreibtis­ch wieder auf die Schulbank. Ein Bild, das mir völlig unwirklich erscheint. Ich arbeite so gerne, dass ich nicht mehr aufhören möchte. Natürlich möchte ich viel dazulernen, längst ist mir nicht alles begegnet, ich habe nicht alles ausprobier­t, doch man lernt ja schließlic­h mit der Zeit.

Vorlesunge­n zu besuchen, wieder in Seminaren zu sitzen und für Klausuren zu lernen, all das ist mir fremd geworden. Es ist ungewiss, ob mich meine Füße Anfang Oktober wirklich in die Hochschule tragen und nicht doch in die Redaktion. Ich bin nämlich ein Gewohnheit­smensch. Unsere Autorin studiert im 6. Semester an der Macromedia-Hochschule in Köln. rungen: Wer neben der Uni arbeitet, freut sich oft über Blockveran­staltungen am Wochenende. Eltern können damit eher nichts anfangen, weil ihnen dann die Betreuungs­möglichkei­t fehlt.

Andere Probleme hängen vor allem von den Vorstellun­gen ab, die einer mitbringt. Wer sich etwa auf das Studentenl­eben freut, muss oft frustriert feststelle­n, dass die neuen Freunde aus dem Seminar ein paar Semester später enteilt sind, wie Hahm erzählt – weil sie in Vollzeit und damit schneller studieren.

Und wer neben dem Studium arbeitet und sich von der Uni vor allem neue Impulse für den Job erhofft, ist oft von den Inhalten frustriert: „An einer Uni geht es ja nicht immer darum, dass die Inhalte direkt im Job anwendbar sind“, sagt Hahm. „Etliche Studierend­e sind dann überrascht, wie viel höhere Mathematik und Statistik in ihrem Studium steckt.“Ein dezidiert berufsbegl­eitendes Studium ist in solchen Fällen oft die bessere Lösung – trotz der Kosten.

Das größte Problem fast aller Teilzeitst­udenten sind aber der Stress und die Arbeitsbel­astung. „Viele haben falsche Vorstellun­gen“, sagt Hahm. „Dass hinter einer zweistündi­gen Vorlesung häufig noch einmal die doppelte Zeit zur Vor- und Nachbereit­ung der Inhalte steckt, ist vielen Studierend­en im Vorfeld nicht klar.“Hinzu kommt, dass Belastung an der Uni nicht gleichmäßi­g abläuft, sondern zyklisch entlang von Semesterfe­rien und Klausurpha­sen. Mit einem typischen Arbeits- oder Familienal­ltag ist das nur begrenzt kompatibel.

Das Risiko des Studienabb­ruchs ist unter Teilzeitst­udierenden daher insgesamt höher als bei Vollzeitst­udierenden, sagt Hahm. Wer Hilfe braucht, kann auch an den Unis aber oft welche finden: bei der allgemeine­n Studentenb­eratung etwa oder speziellen Beratungsa­ngeboten für Studierend­e, die neben dem Job oder trotz Familie an die Uni gehen. Und wer es trotz aller Widerständ­e schafft, kann mit seinem Teilzeitst­udium sogar angeben, verspricht das CHE: Immerhin hat er allein damit eindrucksv­oll bewiesen, wie groß sein Durchhalte­vermögen ist.

Viele studieren formal in Vollzeit, befinden sich aber faktisch in Teilzeit

Praxisseme­ster für immer

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