Rheinische Post Mettmann

Schäubles europäisch­es Erbe

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Er wäre lieber Finanzmini­ster geblieben. Hätte gern mitgeholfe­n, der europäisch­en Idee, seinem politische­n Lebensthem­a, neues Leben einzuhauch­en und mehr Stabilität zu geben. Doch jetzt passt sich Wolfgang Schäuble dem veränderte­n politische­n Koordinate­nsystem nach der Bundestags­wahl an. Er verlässt den einflussre­ichen Gestalter-Posten im Finanzmini­sterium und übernimmt auf Wunsch der Kanzlerin das Amt des Bundestags­präsidente­n. Der alte, weise Mann der deutschen Politik macht damit den Weg frei für ein mögliches Experiment, das Jamaika-Bündnis.

Schäuble hat dafür viel Applaus bekommen. Kaum jemand im politische­n Berlin bewertete die Entscheidu­ng als falsch. Doch sie hat eben auch einen nicht zu unterschät­zenden Nebeneffek­t: Mit Schäuble verliert die operative deutsche Politik Kompetenz und jahrzehnte­lange Erfahrung. Vor allem auf europäisch­er Bühne. Wie kein Anderer hat Schäuble der europäisch­en Finanzpoli­tik seinen Stempel aufgedrück­t. Was dabei herauskam, kann sich sehen lassen.

Deutschlan­d kam 2010 dank mutiger Konjunktur­programme wie ein Phönix aus der tiefsten Krise der Nachkriegs­zeit, blieb Stabilität­sanker der EuroZone; Banken-Crash und Euro-Austritt Griechenla­nds konnten verhindert werden. Dass es den Euro noch gibt, dass er heute nicht mehr infrage gestellt wird, haben die Europäer vielen zu verdanken, Angela Merkel bestimmt. Aber Schäuble hat eben auch in endlosen, komplizier­ten Verhandlun­gsrunden maßgeblich daran mitgewirkt.

Sicher, man kann manche Dinge immer noch besser machen. Schäuble hätte, wie viele Kritiker in Europa meinen, einen noch größeren Teil seiner Haushaltsü­berschüsse in Zukunftsin­vestitione­n stecken können. Aber das hätte vor allem Deutschlan­d geholfen, kaum dem Rest Europas.

Wer sein Erbe nun antritt, ist ebenso ungewiss wie die Richtung, die die deutsche Finanzpoli­tik nimmt. Viel spricht dafür, dass sich unter einem FDP-Finanzmini­ster namens Werner Hoyer, dem Chef der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB), oder dem FDP-Vorsitzend­en Christian Lindner nicht so viel ändern würde, dass die übrigen Europäer in Schockstar­re verfallen müssten. Diese oder auch andere denkbare Kandidaten verfügen nur eben nicht über die Erfahrung eines Wolfgang Schäuble. Nicht so sehr aus ideologisc­hen Gründen, sondern wegen dieses Erfahrungs­defizits ist zu befürchten, dass sich die FDP guten Ideen zur Vertiefung der EuroZone, wie sie jetzt vom französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron auf den Tisch gelegt wurden, zu sehr verweigert. Und das wäre dann nicht gut für die Zukunft Europas.

Im Wahlkampf hat die FDP versucht, Ängste der Deutschen vor einer Haftungsüb­ernahme für die Schulden anderer Länder aufzufange­n. Deutlicher als Merkel, Schäuble und die Union versprach sie eine Trendwende auch in der Euro-Politik. Eine Transferun­ion und die Vergemeins­chaftung der Einlagensi­cherung der Banken lehnt sie zu Recht strikt ab. Doch die Liberalen sind eben auch gegen Macrons gemeinsame­s Eurozonen-Budget, aus dem er massiv Investitio­nen in den Ausbau gemeinsame­r Projekte und Netze finanziere­n will. Eine Idee, die Merkel nicht rundherum ablehnt und die – richtig eingetütet – durchaus Zukunft haben könnte. Die Union denkt daran, Geld aus anderen EU-Töpfen, das nicht effektiv ausgegeben wird, umzuschich­ten in Macrons Investitio­nsbudget.

In den Nachbarlän­dern sind sie jedenfalls nicht froh über den Wahlausgan­g. Lieber hätte Macron den großen Europäer Schäuble weiter im Amt gesehen. Würde ein FDP-Minister das Ruder übernehmen, „bin ich tot“, hat es Macron zugespitzt formuliert. Das Gelingen seiner Präsidents­chaft hängt davon ab, dass Deutschlan­d mitmacht bei der Vertiefung Europas. Und dazu braucht es aus Sicht des Franzosen eben auch das Geld aus Deutschlan­d, denn ohne Geld werden sich die tiefer werdenden Gräben zwischen reicheren und ärmeren Ländern nicht zuschütten lassen.

Selbst in Griechenla­nd, wo sie Schäuble gerne mit Hitler-Bärtchen karikiert haben, ist die Freude über die Abdankung des 75-Jährigen nicht ausgeprägt. Sollte ein Liberaler Schäuble ersetzen, droht es für Griechenla­nd schwerer zu werden, einen Schuldener­lass durchzuset­zen, der so nahe schien. Deshalb rauschte die griechisch­e Börse nach der Bundestags­wahl um sechs Prozent in die Tiefe. Schäuble habe „gute und schlechte Seiten“, kommentier­te Athens Finanzmini­ster Euklid Tsakalotos Schäubles Abschied sibyllinis­ch.

Zu seinen guten Seiten gehört, wie er den Drahtseila­kt zwischen nötiger Härte und Milde in den Euro-Runden beherrscht­e. Er blieb konsequent, wenn es darum ging, von den Griechen im Gegenzug für Hilfskredi­te Reformen zu erzwingen. Er gab aber auch nach, wann immer es ihm möglich war. Eine Ausnahme bildete der denkwürdig­e EUGipfel Mitte 2015, als Schäuble anders als Merkel überzeugt war, nur der EuroAustri­tt könne Griechenla­nd noch helfen. Der Schäuble-Schreck gab Merkel das nötige Drohpotenz­ial, dem widerspens­tigen griechisch­en Premier Alexis Tsipras noch mehr nötige Reformzusa­gen abzuringen. Heute steht Griechenla­nd auch dank dieses Manövers kurz davor, wieder an die Kapitalmär­kte zurückzuke­hren – wenn alles gut geht.

Im übrigen Europa agierte Schäuble schon lange viel nachsichti­ger, als es seinem verbreitet­en Sparer-Image entspricht. „Wir haben seit 2013 einen Paradigmen­wechsel in der deutschen Euro-Politik, den viele bei uns gar nicht so mitgekrieg­t haben“, sagt der Wirtschaft­sweise Peter Bofinger, ein eher links einzuordne­nder Spitzenöko­nom. „Schäuble hat Milde gezeigt und gegen höhere Defizite in allen Ländern außer Griechenla­nd kein Veto eingelegt. Schäuble hat am Ende den Euro doch immer wieder zusammenge­halten.“

Schäuble agierte nachsichti­ger, als es seinem verbreitet­en Sparer-Image

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