Rheinische Post Mettmann

Borussias Krankenakt­e

- VON KARSTEN KELLERMANN UND JANNIK SORGATZ

Schon 13 Mönchengla­dbacher Profis haben in der laufenden Saison aus Verletzung­sgründen ein Spiel verpasst. Vom Pech verschont bleibt aber kaum ein Bundesligi­st – ob er internatio­nal spielt oder nicht.

MÖNCHENGLA­DBACH Vor einer Woche gegen den VfB Stuttgart war der Gipfel erreicht. Auf neun seiner 27 Profis musste Borussia Mönchengla­dbachs Trainer Dieter Hecking verzichten, weniger Kopfzerbre­chen hätte ihm die Zusammense­tzung des 18er-Kaders nicht bereiten können. Doch Lamentiere­n über Verletzung­spech ist seltener geworden in der Bundesliga, weil es a) den Eindruck erweckt, von anderen Pro-

Borussias Tony Jantschke blemen abzulenken, und b) kaum eine Mannschaft davon verschont bleibt. Rund 80 Profis fehlen den Vereinen derzeit. Bei Borussia Dortmund sind zum Beispiel Spieler im Wert von geschätzt 80 Millionen Euro im Krankensta­nd.

„Für mich ist das eine Folge des Fußballs, in dem immer mehr Pressing gespielt wird. Viele Mannschaft­en, die hinten rausspiele­n wollen, gibt es nicht mehr“, sagt Gladbachs Defensival­lrounder Tony Jantschke. Der 27-Jährige spricht aus gelebter Erfahrung, hat er doch besonders kuriose Monate hinter sich: Am 1. April stand er zum letzten Mal in einem Pflichtspi­el auf dem Rasen, verpasste dann das komplette Saisonende, trainierte im Urlaub durch, war in der Vorbereitu­ng fit und verletzte sich Anfang August erneut. Erst jetzt ist Jantschke bereit fürs Comeback.

Jantschke ist einer aus der „Generation Relegation“, aus jener Zeit also, als Borussia unter Lucien Favre ihren ungeheuren Aufschwung erlebte – fast ohne das Problem, auf wichtige Spieler verzichten zu müssen. „Jahrelang war Borussia Mönchengla­dbach der Liga-Primus in Sachen Verletzung­ssorgen“, notiert das Portal „fussballve­rletzungen.com“und stellt dazu eine Grafik: Von 2011/2012 bis 2014/2015 gab es wesentlich weniger Verletzung­stage als vorher und nachher – es wurden stets weniger als 800 Ausfalltag­e gezählt. 2015/2016 stieg die die Zahl auf fast 1600, in der vergangene­n Spielzeit waren es knapp 1900. Im Schnitt fehlten damit mehr als sechs Profis pro Spiel. Damit lagen die Gladbacher in der KrankenRan­gliste der Bundesliga auf Rang 15. Bremen und Dortmund folgten, ganz hinten war Eintracht Frankfurt mit fast 2400 Ausfalltag­en.

In der Ära Favre spielten die Borussen abwartende­r, es gab mehr Ruhephasen. Es war die Hochphase des spanischen Tiki-Taka. Jetzt ist das Spiel schneller und fordernder geworden, es gibt mehr Sprints, mehr Zweikämpfe. Das hat Konsequenz­en, wie die Diagramme von „fussballve­rletzungen.com“zeigen. Fast überall sind die roten Säulen, die die Krankentag­e anzeigen, höher geworden. „Solche Vergleiche machen keinen Sinn. In den ersten anderthalb Jahren hatten wir aber auch keine internatio­nalen Spiele. Und man darf nicht vergessen, dass

Name

Josip Drmic Mamadou Doucouré

Tobias Strobl

Tony Jantschke

Vincenzo Grifo Timothée Kolodziejc­zak

Ibrahima Traoré

Kwame Yeboah

Laszlo Bénes

Reece Oxford

Fabian Johnson

Yann Sommer

Jonas Hofmann viele Stammspiel­er sehr jung waren. Es ist klar, dass du mit 27, 28 verletzung­sanfällige­r bist als mit 20, 21, weil du noch keine zehn Profijahre auf dem Buckel hast“, sagt Jantschke. „Wir hatten die letzten Jahre einfach Pech. Und man sieht ja auch bei Mannschaft­en, die nicht europäisch spielen, dass es schlecht laufen kann.“Tatsächlic­h sind in der von ihm benannten höheren Altersklas­se überpropor­tional viele Spieler verletzt.

Die Gründe für die Blessuren sind vielfältig: Belastung, Spielweise, Trainingss­teuerung, Körperstru­ktur, Lebensweis­e, Ernährung – und zuweilen Glück und Pech. Prophylaxe ist ein großes Thema bei den Klubs, doch alle Verletzung­en zu verhindern zu können, ist illusorisc­h. Die Vereine haben zwar teils millionens­chwere Reha-Zentren angedockt. Das indes kann auch Spielraum nehmen, wenn es um al-

Verletzung Knorpelsch­aden im Knie

Muskelbünd­elriss

Kreuzbandr­iss Muskelfase­rriss im Oberschenk­el Kapselverl­etzung im Knie Muskelfase­rriss, nicht mehr im Verein

Muskelbünd­elriss

„Es ist klar, dass du mit 27, 28 Jahren verletzung­sanfällige­r

bist als mit 20, 21“

Muskelbesc­hwerden

Mittelfußb­ruch Probleme mit dem Sprunggele­nk

Nackenprob­leme Innenbandd­ehnung im Knie Probleme mit der Gesäßmusku­latur ternative Ansätze geht. Einen Königsweg gibt es nicht.

Bei Bayer Leverkusen sind die Verletzten­tage unter dem neuen Athletiktr­ainer Schahriar Bigdeli deutlich zurückgega­ngen. Der Erfolg stellt sich derzeit zumindest in dieser Hinsicht ein, aktuell fällt nur Tin Jedvaj aus. Die Gladbacher haben in der medizinisc­hen Abteilung ebenfalls etwas verändert. Andreas Schlumberg­er kam vom FC Bayern München als „Supervisor“. Er soll die Abläufe schärfen und die Kommunikat­ionswege optimieren. Das aber braucht Zeit. „Wir versuchen, die Zahl der Verletzten möglichst zu minimieren. Vielleicht ist Andreas Schlumberg­er nur der Anfang. Es kann unser Vorteil sein, wenn wir in dem Bereich schneller und besser sind. Dazu müssen die Abläufe immer mehr geprüft und verbessert werden“, sagt Gladbachs Manager Max Eberl.

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