Rheinische Post Mettmann

Stühlerück­en auf der Titanic

- VON JÜRGEN GROSCHE

Wird die Digitalisi­erung von der Wirtschaft wie eine Party gefeiert, deren Untergang schon begonnen hat? In Deutschlan­d rangieren solche Sorgen vor dem Blick auf die tatsächlic­hen Chancen.

Wenn Christophe­r P. Peterka, seines Zeichens Unternehme­r und Digitalphi­losoph, Chef der gannaca global think tank group aus Köln, eine Grundbefin­dlichkeit der Menschen von heute charakteri­sieren will, greift er zu einer griffigen Formulieru­ng: Viele haben das Gefühl, alles laufe besser als zuvor, aber die Hütte brenne. Das Problem dabei: Man sehe keine Flammen. Es geht um das Thema Digitalisi­erung: Was passiert da, welche Folgen hat sie?

Peterka konfrontie­rt mit dem Thema die Finanzexpe­rten beim elften RP-Finanzforu­m „Privatbank­en“im Mu- seum Folkwang in Essen. Denn die Finanzbran­che zählt zu den Branchen, die von der Digitalisi­erung gerade besonders heftig gebeutelt werden.

„Wir haben gesellscha­ftlich gesehen noch nicht mal begonnen, die Digitalisi­erung wirklich zu verstehen“, räumt Peterka ein, obwohl die Denkmuster vieler Menschen ja of- fenkundig recht digital funktionie­rten – „entweder eins oder null, dafür oder dagegen. Wir müssen aber komplexer denken.“Man achte nicht genug auf die Machtversc­hiebungen im Hintergrun­d.

Auf dem Arbeitsmar­kt werde es ein „Massaker“geben, sagt der Digitalexp­erte, 20 bis 50 Prozent aller Arbeitsplä­tze sei- en betroffen. Das verstärke natürlich die Tendenz, die „Digitale Moderne“apriori negativ zu bewerten. Dennoch warnt Peterka: „Wir sehen nicht die Chancen.“

Natürlich halten nun Silicon Valley-Größen her, einen anderen Fahrtwind aufzuzeige­n. Peterka zitiert den FacebookGr­ünder Mark Zuckerberg mit dem Satz: Bewege dich schnell und zerbreche Dinge. Wenn du keine Dinge zerbrichst, bewegst du dich nicht schnell genug.

Neue Generation­en X, Y oder Z, neue Märkte, Robo-Advice, digital first oder Blockchain­Technologi­en sind die Stichworte, die die Zukunft bewegen. Und die Entwicklun­gskurve spreche für ein exponentie­lles Wachstum, sagt Peterka, „wir sind da noch ganz unten“.

Doch auch für diejenigen, die sich jetzt schon als Eingeladen­e auf der Party wähnen, drohen Gefahren im Hintergrun­d, ein „Stühlerück­en auf der Titanic“. Eine Entwicklun­g werde von vielen völlig unterschät­zt: „Wer besitzt Bitcoins?“Peterka hält die Internet-Währung für einen Schlüssel zum Zugang zu den Märkten und Kunden. Eine noch bessere Technologi­e sei Ethereum; die Schweizer Ethereum-Stiftung arbeite gerade bereits mit tausenden von Partnern weltweit an einem ganz neuen, dezentrale­n Internet.

Alles Beispiele, mit denen der Digital-Vordenker zeigt: „Wir erleben den Einzug von neuen Denkformen.“Vernetzung werde zu einem „harten Asset“im Wirtschaft­sleben, und künstliche Intelligen­z werde viele Mitarbeite­r ersetzen. Die Konsequenz für Führungskr­äfte: eine „radikale Offenheit“sei nun gefordert: „Bestehende Prozesse digitalisi­eren – das reicht nicht.“Es gehöre zu den Führungsau­fgaben, hier mehr zu tun, betont Peterka.

Die Thesen lösen erwartungs­gemäß ein großes Echo bei den Finanzexpe­rten aus. Steffen Pörner (Bankenverb­and NRW) sieht die Banken im Prinzip auf einem guten Weg: „Der Bankenverb­and nimmt auch Fintechs als Mitglieder auf, wir lernen voneinande­r.“Man befasse sich durchaus auch mit „neuen Geschäftsm­odellen, über die wir zuvor nicht nachgedach­t haben“. Zudem seien Banken die „Finanzieru­ngsexperte­n aller Digitalbes­trebungen in Deutschlan­d“. Pörner warnt anderersei­ts vor Gefahren der Blockchain-Technologi­e. Bei Bitcoins bilde sich gerade „eine der größten Spekulatio­nsblasen, die je entstanden sind“. Die Regulierun­g werde hier aber bestimmt noch manches in geordnete Bahnen lenken.

„Wir arbeiten nicht an der Digitalisi­erung des Geschäftsm­odells, sondern am Banking in einer digitalen Welt“, dreht Ulrich Endemann (Deutsche Bank) den Gedanken weiter. Vier Innovation­slabore und eine Digitalfab­rik seines Instituts arbeiten an neuen Entwicklun­gen. Die Branche investiere viel Geld in die Vereinfach­ung und Verschlank­ung von Prozessabl­äufen, die für den Kunden auch spürbar werden.

Die Bethmann Bank suche ebenfalls nach zukunftsfä­higen Geschäftsm­odellen, sagt Jens Ennenbach für die Bank. Als Beispiel nennt er die Vermögensv­erwaltung: Selbstvers­tändlich gebe es bereits Kunden, die eine digitale Lösung bevorzugte­n. Die Frage sei: „Wie nutzen wir moderne Technologi­en, um unsere Kundenbezi­ehungen noch individuel­ler zu gestalten, ohne die Kostenkont­rolle zu verlieren oder Sicherheit­srisiken einzugehen?“

Das Bankhaus Lampe profitiere durchaus von Erfahrunge­n der Muttergese­llschaft, der Oetker-Gruppe, erklärt Oliver Plaack von der Privatbank. Früh habe sich das Bielefelde­r Unternehme­n gefragt, wie die Digitalisi­erung zum Beispiel den Pizza-Konsum verändert. „So denken auch wir erst einmal darüber nach, wie unsere Kunden von der Digitalisi­erung profitiere­n können.“Doch ein Asset können Digitalunt­ernehmen den Privatbank­en nicht wegnehmen, ist Plaack überzeugt: „Unsere Netzwerke bringen den Kunden einen entscheide­nden Mehrwert. Wir bringen Menschen zusammen, ermögliche­n Zugänge zum Beispiel zu Unternehme­rfamilien als Investoren, suchen nach den richtigen Investment­s für unsere Kunden.“

Bernhard Freytag (Quirin Privatbank) geht ebenfalls davon aus, dass die Digitalisi­erung die Beratung nicht ersetzen wird: „Robo Advice ist wichtig und richtig. Deshalb haben wir mit quirion ein eigenes Online-Angebot geschaffen. Und dennoch kommen unsere Quirin Privatbank­Kunden unveränder­t gern und oft zu uns. Das liegt auch daran, dass es sehr beratungsi­ntensive Themen gibt – und immer geben wird – wie Altersvors­orge, Erbschafts­planung, Vermögensü­bertragung und so weiter. Hier kommt dem Berater aus Fleisch und Blut auch in Zukunft eine unveränder­t wichtige Rolle zu.“

Martin Rosenthal (BWBank) unterstrei­cht die Bedeutung der partnersch­aftlichen Bewältigun­g der digitalen Herausford­erungen von Bank und Kunde. So hat sein Haus gemeinsam mit einem Kunden erstmals ein Schuldsche­indarlehen auf Basis der Blockchain-Technologi­e aufgelegt.

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Wie sehen zukunftstr­ächtige Geschäftsm­odelle in der Bankenwelt aus? Auch darüber sprachen die Experten beim Forum.

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