Stühlerücken auf der Titanic
Wird die Digitalisierung von der Wirtschaft wie eine Party gefeiert, deren Untergang schon begonnen hat? In Deutschland rangieren solche Sorgen vor dem Blick auf die tatsächlichen Chancen.
Wenn Christopher P. Peterka, seines Zeichens Unternehmer und Digitalphilosoph, Chef der gannaca global think tank group aus Köln, eine Grundbefindlichkeit der Menschen von heute charakterisieren will, greift er zu einer griffigen Formulierung: Viele haben das Gefühl, alles laufe besser als zuvor, aber die Hütte brenne. Das Problem dabei: Man sehe keine Flammen. Es geht um das Thema Digitalisierung: Was passiert da, welche Folgen hat sie?
Peterka konfrontiert mit dem Thema die Finanzexperten beim elften RP-Finanzforum „Privatbanken“im Mu- seum Folkwang in Essen. Denn die Finanzbranche zählt zu den Branchen, die von der Digitalisierung gerade besonders heftig gebeutelt werden.
„Wir haben gesellschaftlich gesehen noch nicht mal begonnen, die Digitalisierung wirklich zu verstehen“, räumt Peterka ein, obwohl die Denkmuster vieler Menschen ja of- fenkundig recht digital funktionierten – „entweder eins oder null, dafür oder dagegen. Wir müssen aber komplexer denken.“Man achte nicht genug auf die Machtverschiebungen im Hintergrund.
Auf dem Arbeitsmarkt werde es ein „Massaker“geben, sagt der Digitalexperte, 20 bis 50 Prozent aller Arbeitsplätze sei- en betroffen. Das verstärke natürlich die Tendenz, die „Digitale Moderne“apriori negativ zu bewerten. Dennoch warnt Peterka: „Wir sehen nicht die Chancen.“
Natürlich halten nun Silicon Valley-Größen her, einen anderen Fahrtwind aufzuzeigen. Peterka zitiert den FacebookGründer Mark Zuckerberg mit dem Satz: Bewege dich schnell und zerbreche Dinge. Wenn du keine Dinge zerbrichst, bewegst du dich nicht schnell genug.
Neue Generationen X, Y oder Z, neue Märkte, Robo-Advice, digital first oder BlockchainTechnologien sind die Stichworte, die die Zukunft bewegen. Und die Entwicklungskurve spreche für ein exponentielles Wachstum, sagt Peterka, „wir sind da noch ganz unten“.
Doch auch für diejenigen, die sich jetzt schon als Eingeladene auf der Party wähnen, drohen Gefahren im Hintergrund, ein „Stühlerücken auf der Titanic“. Eine Entwicklung werde von vielen völlig unterschätzt: „Wer besitzt Bitcoins?“Peterka hält die Internet-Währung für einen Schlüssel zum Zugang zu den Märkten und Kunden. Eine noch bessere Technologie sei Ethereum; die Schweizer Ethereum-Stiftung arbeite gerade bereits mit tausenden von Partnern weltweit an einem ganz neuen, dezentralen Internet.
Alles Beispiele, mit denen der Digital-Vordenker zeigt: „Wir erleben den Einzug von neuen Denkformen.“Vernetzung werde zu einem „harten Asset“im Wirtschaftsleben, und künstliche Intelligenz werde viele Mitarbeiter ersetzen. Die Konsequenz für Führungskräfte: eine „radikale Offenheit“sei nun gefordert: „Bestehende Prozesse digitalisieren – das reicht nicht.“Es gehöre zu den Führungsaufgaben, hier mehr zu tun, betont Peterka.
Die Thesen lösen erwartungsgemäß ein großes Echo bei den Finanzexperten aus. Steffen Pörner (Bankenverband NRW) sieht die Banken im Prinzip auf einem guten Weg: „Der Bankenverband nimmt auch Fintechs als Mitglieder auf, wir lernen voneinander.“Man befasse sich durchaus auch mit „neuen Geschäftsmodellen, über die wir zuvor nicht nachgedacht haben“. Zudem seien Banken die „Finanzierungsexperten aller Digitalbestrebungen in Deutschland“. Pörner warnt andererseits vor Gefahren der Blockchain-Technologie. Bei Bitcoins bilde sich gerade „eine der größten Spekulationsblasen, die je entstanden sind“. Die Regulierung werde hier aber bestimmt noch manches in geordnete Bahnen lenken.
„Wir arbeiten nicht an der Digitalisierung des Geschäftsmodells, sondern am Banking in einer digitalen Welt“, dreht Ulrich Endemann (Deutsche Bank) den Gedanken weiter. Vier Innovationslabore und eine Digitalfabrik seines Instituts arbeiten an neuen Entwicklungen. Die Branche investiere viel Geld in die Vereinfachung und Verschlankung von Prozessabläufen, die für den Kunden auch spürbar werden.
Die Bethmann Bank suche ebenfalls nach zukunftsfähigen Geschäftsmodellen, sagt Jens Ennenbach für die Bank. Als Beispiel nennt er die Vermögensverwaltung: Selbstverständlich gebe es bereits Kunden, die eine digitale Lösung bevorzugten. Die Frage sei: „Wie nutzen wir moderne Technologien, um unsere Kundenbeziehungen noch individueller zu gestalten, ohne die Kostenkontrolle zu verlieren oder Sicherheitsrisiken einzugehen?“
Das Bankhaus Lampe profitiere durchaus von Erfahrungen der Muttergesellschaft, der Oetker-Gruppe, erklärt Oliver Plaack von der Privatbank. Früh habe sich das Bielefelder Unternehmen gefragt, wie die Digitalisierung zum Beispiel den Pizza-Konsum verändert. „So denken auch wir erst einmal darüber nach, wie unsere Kunden von der Digitalisierung profitieren können.“Doch ein Asset können Digitalunternehmen den Privatbanken nicht wegnehmen, ist Plaack überzeugt: „Unsere Netzwerke bringen den Kunden einen entscheidenden Mehrwert. Wir bringen Menschen zusammen, ermöglichen Zugänge zum Beispiel zu Unternehmerfamilien als Investoren, suchen nach den richtigen Investments für unsere Kunden.“
Bernhard Freytag (Quirin Privatbank) geht ebenfalls davon aus, dass die Digitalisierung die Beratung nicht ersetzen wird: „Robo Advice ist wichtig und richtig. Deshalb haben wir mit quirion ein eigenes Online-Angebot geschaffen. Und dennoch kommen unsere Quirin PrivatbankKunden unverändert gern und oft zu uns. Das liegt auch daran, dass es sehr beratungsintensive Themen gibt – und immer geben wird – wie Altersvorsorge, Erbschaftsplanung, Vermögensübertragung und so weiter. Hier kommt dem Berater aus Fleisch und Blut auch in Zukunft eine unverändert wichtige Rolle zu.“
Martin Rosenthal (BWBank) unterstreicht die Bedeutung der partnerschaftlichen Bewältigung der digitalen Herausforderungen von Bank und Kunde. So hat sein Haus gemeinsam mit einem Kunden erstmals ein Schuldscheindarlehen auf Basis der Blockchain-Technologie aufgelegt.