Rheinische Post Mettmann

Auf dem Zeltdach der Erinnerung

- VON NATASCHA PLANKERMAN­N

Die Zirkustrup­pe „Les 7 doigts de la main“begeistert beim Düsseldorf Festival.

Was verbindet uns mit dem Leben unser Groß- oder gar der Urgroßelte­rn? Bei den kanadische­n Zirkusarti­sten „Les 7 doigts de la main“(die sieben Finger der Hand) scheint es vor allem eins zu sein: Schon die Vorfahren haben ihre Heimat verlassen – manche freiwillig, andere mussten gehen. Und die acht Akrobaten selbst tun es jetzt, um die Menschen in aller Welt auf der Bühne mit Höchstleis­tungen zu beeindruck­en. Dafür bauen sie erst einmal abweisend wirkende Betonfassa­den auf und stellen sich davor, um vom Großvater oder der Oma zu erzählen.

„Réversible“– also umkehrbar – ist das Leben aber natürlich nicht, und so weist der Titel des aktuellen Stücks wohl darauf hin, dass hier bei der Rückbesinn­ung auf die Vergangenh­eit ständig etwas umgekehrt und auf den Kopf gestellt wird: Die Fassaden drehen sich, deuten Au- ßenwände und holzvertäf­elte Innenräume an, die ständig beklettert oder im Wortsinn übersprung­en werden. Türen und Fenster sind darin nur Ankerpunkt­e für die Körper, die sich durch sie winden, hindurch springen oder scheinbar aus ihnen hinausgewo­rfen werden. Aus klappbaren Wänden purzeln die Akrobaten schon mal im zerzausten Brautkleid heraus oder verschwind­en lautlos darin, um mit der Fassade davongerol­lt zu werden.

Die Szenen von „Réversible“wechseln von virtuosen Gruppenins­zenierunge­n, bei denen etwa alle in eine rasante Jongliersz­ene mit roten Bällchen einbezogen werden, zu teils intim wirkenden Paar- und Einzelauft­ritten. Atemberaub­end, wie einer elfenhaft zarten Tänzerin der Handstand auf einer Hand gelingt, während sie wie nebenbei ihren Körper von links nach rechts neigt. Kommen Accessoire­s wie Reifen oder Ringe ins Spiel, wird die Situation ebenso ruhig und konzentrie­rt. Diese Ruhepausen wechseln sich ab mit aufregende­n Momenten, in denen sich ein Paar gegenseiti­g mit Fächer und knallender Peitsche umtänzelt – zwischen Verführung und Bedrohung changieren­d. Dann wiederum kommt die ganze Truppe zu einem Pole Dancing der besonderen Art zusammen: Gemeinsam krabbeln oder rutschen sie eine Stange bis fast zur Zeltdecke hoch, oben stellen sich Einzelne auf Hände oder Köpfe der Anderen, während einzelnen Zuschauern die Kinnlade herunterkl­appt. Die Musik begleitet das Geschehen mit einer gelungenen Mischung aus Poprhythme­n, Tangokläng­en und ruhiger Klaviermus­ik. Überrasche­nd mündet der Abend lockerleic­ht im Himmel (bei den Vorfahren?), der durch weiße Stoffwolke­n angedeutet wird – wieder eine sehenswert­e, perfekte Inszenieru­ng der Kanadier.

Wiederholu­ng heute, 20 Uhr, im Zelt am Burgplatz

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