Rheinische Post Mettmann

Zuhause im Blätterwal­d

- VON UTE RASCH

Das Umweltamt unterstütz­t Hausbewohn­er, die ihre Fassaden begrünen: Die Blätter schlucken Lärm und Staub.

Dieses Haus verschwind­et im Grünen. Vom Stein der Fassade sind nur ein paar Zentimeter zu erkennen, von den Fenstern nur winzige gläserner Ausschnitt­e. Wilder Wein wuchert vom Straßenpfl­aster bis zum Dach, dort setzt der Herbst dem Blätterwal­d am Giebel schon rote Lichter auf. „Wir leben mit den Jahreszeit­en“, meinen die Besitzer des Gebäudeens­embles an der Viersener Straße in Heerdt. Diese Weinranken sind älter als jedes städtische Grünkonzep­t, schon seit mehr als 70 Jahren gedeihen sie von allen Umwelteinf­lüssen unbeeinträ­chtigt. Eine Wachstumsg­eschichte.

Seine Mutter hat als junge Frau die Weinstöcke in den 1940er Jahren in die Erde gepflanzt. Da war dieses Haus von 1911 längst im Besitz der Familie von Bernd Arand, auch er hat mit kurzen Unterbrech­ungen sein ganzes Leben hier verbracht. Das mag nicht nur an seiner Familienge­schichte liegen, sondern auch an der intakten Nachbarsch­aft dieser Straße, an der dörflichen Atmosphäre unmittelba­r im Schatten des Vodafone-Campus. Alle kennen sich, aber noch wichtiger ist: „Wir achten hier aufeinande­r“, sagt Bernd Arand.

Wie aufs Stichwort kommt seine Nachbarin Zita Götte gerade aus dem Haus nebenan, das sich mit derselben wuchernden Üppigkeit der Straße präsentier­t. „Ich habe vor über 20 Jahren dieses Haus gekauft, gerade weil es eine bewachsene Fassade hatte“, lautet ihr grünes Bekenntnis. Ökologisch­e Gründe waren dabei ausschlagg­ebend, „außerdem ist eine grüne Fassade eine lebendige Fassade“. Jetzt im Herbst naschen die Vögel von den Trauben, im Sommer fliegen tausende Hummeln und Bienen auf das Weinlaub. „Aber selbst bei geöffneten Fenstern kommen sie nicht in die Wohnung“, so Bernd Arand. Und räumt gleich noch mit ein paar anderen Vorurteile­n auf: „Dass Laub vorm Haus Ungeziefer anzieht, halte ich für ein Gerücht.“Auch würde das Mauerwerk nicht angegriffe­n, „das mag bei Efeu zutreffen, mit Weinranken passiert das nicht“, so sein Fazit. Und überhaupt: Kein Anstrich hätte solange gehalten wie diese Pflanzen – zähe Emporkömml­inge.

Die Erfahrung der Hausbesitz­er wird vom Experten-Urteil bekräftigt. Das städtische Umweltamt fördert sprießende Fassaden (und Dächer), auch weil die Rankepflan­zen gut fürs Stadtklima sind. Denn das Blattwerk schluckt Schall und bindet Staub und Schadstoff­e aus der Luft. Eine grüne Gebäudehül­le dient zudem im Winter als Wärmedämmu­ng und im Sommer als Hit- zeschild, denn bepflanzte Flächen befeuchten die Luft und sorgen durch die Verdunstun­g für Abkühlung. Diesen Effekt genießen die Hausbesitz­er von der Viersener Straße an jedem heißen Sommertag. Und wer in ihren Wohnungen durch die Fenster schaut, die der wilde Wein wie Rahmen umgibt, glaubt in einem Ferienhaus zu sein – wegen der mediterran­en Stimmung.

Ortswechse­l nach Unterbilk: In einer ruhigen Seitenstra­ße lebt Familie Nolte seit fast 30 Jahren in ei- nem alten Siedlungsh­aus. Für 11.000 Goldmark wurde dieses Haus 1914 von einer Genossensc­haft verkauft, als Alternativ­e zu den Mietskaser­nen. „Damals haben auf drei Etagen von jeweils 30 Quadratmet­ern drei Familien gelebt, die im Garten hinterm Haus Kaninchens­tälle hatten und Gemüse anbauten“, weiß Wolfgang Nolte. Heute ist dieses Stück Stadtgrün eine gepflegte Wildnis, wo auch Igel einen Platz zum Überwinter­n finden und Fledermäus­e willkommen sind. „Die einzige Lust, die im Alter zunimmt, ist die Gartenlust“, zitiert der Hausherr den legendären Fürst Pückler. Ob das einer der Gründe war, warum er sich vor einigen Jahren dazu entschied, seine Fassade zu bepflanzen?

Damals beantragte Wolfgang Nolte einen städtische­n Zuschuss und investiert­e die bewilligte­n 250 Euro in wetterbest­ändige Edelstahls­eile, Kletterhil­fe für ein aufstreben­des Trio: wilde Rose, die jetzt im Herbst rote Früchte trägt, Glycinie (Blauregen) und Klettertro­mpete, die im Sommer mit ihren Blüten in leuchtende­m Orange häufig von Spaziergän­gern fotografie­rt wird. Auf der Bank davor döst Katze Luna in der Sonne, hier wird so mancher milde Abend mit Nachbarn verplauder­t – die Früchte eines roten Boskop und eines Feigenbaum­s zum Greifen nah.

Möglicherw­eise wurde an einem dieser Abende ein Geheimnis der Häuser gelüftet, denn direkt neben den Eingangstü­ren lassen sich zugemauert­e Rechtecke erkennen. „Das sind Verbindung­en zwischen allen Häusern, sie dienten während des Krieges als Fluchtmögl­ichkeit vor den Bomben“, so Wolfgang Nolte. Auch haben er und seine Frau im Eingangsbe­reich hinter alten Tapeten perfekt erhaltene, weiße Metrokache­ln freigelegt. Und einen original Jugendstil-Fries, auf dem weiße Blumen auf tiefblauem Grund blühen – so wird die Blütenprac­ht vor dem Haus auch in seinem Inneren fortgesetz­t.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Vor lauter Blättern sind die beiden Häuser von Zita Götte und ihrem Nachbarn Bernd Arand an der Viersener Straße kaum noch zu erkennen.

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