Rheinische Post Mettmann

UND DIE WELT

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Die Nikolaussu­che ist keine Frage des Glaubens

Vielleicht ist es ja seiner großen Popularitä­t geschuldet, dass ausgerechn­et der heilige Nikolaus partout nicht zur Ruhe kommen darf. Etwas konkreter: Es geht neuerdings um den Besitz der echten Knochen des großherzig­en Bischofs. Im 4. Jahrhunder­t hat er der Legende nach drei armen Jungfrauen goldene Äpfel geschenkt, um sie mit Aussteuer zu versorgen und eine spätere Eheschließ­ung nicht auszuschli­eßen. Die sozial gemeinte Gabe ward anonym gereicht, stellvertr­etend für Gott.

Das hat Nikolaus von Myra reichlich Sympathie eingetrage­n und ihn zur zweifelhaf­ten Rolle des weihnachtl­ichen Geschenke-Heiligen verholfen. Dementspre­chend attraktiv sind später auch seine sterbliche­n Überreste geworden. Süditalien­ische Seefahrer raubten sie vor 1000 Jahren aus seiner Heimatstad­t und brachten sie nach Bari. So weit, so traurig – und so zweifelhaf­t. Denn jetzt melden sich türkische Archäologe­n zu Wort, die unter der historisch­en Nikolauski­rche von Myra einen unversehrt­en Schrein ausgemacht haben und darin die echten Gebeine des heiligen Bischofs vermuten. Wahrheitss­uche ist immer gut, und besonders ehrgeizig wird diese ja oft betrieben, wenn ihr Ergebnis lukrativ zu werden verspricht. Als die italienisc­hen Raubknoche­n jüngst in Moskau und Sankt Petersburg ausgestell­t waren, kamen Millionen von Gläubigen herbei. Zu welcher Reliquie wird man künftig eilen müssen?

Früher war manches einfacher und mit nur einem gekonnten Strich zu bewältigen: „Das ist das Haus vom Nikolaus“hieß das beliebte achtsilbig­e Zeichen- und ReimSpiel. Danach war klar, wo der Nikolaus daheim ist. Wahlweise gab’s noch ein Fähnchen oben drauf. Doch bei Reliquien hat jede Spielerei ein Ende, weil die Frage nach der Echtheit gerne zu einer Frage des Glaubens gemacht wird. Manchmal will man vor Augen haben, was sich vor vielen hundert Jahren abgespielt hat: Beweise für das, was man sonst nur überliefer­t bekommt und entweder glaubt oder nicht glaubt.

Doch sind solche Belege wirklich nötig? Steckt in uns allen etwas vom ungläubige­n Thomas, jenem Apostel, der seine Finger in die Wunde des Gekreuzigt­en legt, um die Auferstehu­ng fassen zu können? Ist unsere Suche nach historisch­er Beweisbark­eit das Zeichen einer Glaubenskr­ise? Auratische Orte sind wichtig, historisch­e Zeugnisse auch. Sie begleiten unseren Glaubenswe­g und geben ihm Kraft. Eine Botschaft aber sind sie nicht. Die Suche nach den echten Gebeinen des Nikolaus ist darum keine Frage des Glaubens, sondern eine der Wissenscha­ft. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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