Rheinische Post Mettmann

Batic und Leitmayr im Porno-Milieu

- VON TOBIAS JOCHHEIM

In ihrem 77. Fall blicken die Münchner Ermittler in Abgründe. Das ist schwer erträglich, aber gut gemacht.

MÜNCHEN Es wäre bloß das Pendeln einer ganz normalen jungen Frau durchs abendliche München, am Marienplat­z vorbei, aber dagegen spricht die musikalisc­he Untermalun­g der Einstiegss­zene: Aus den Lautsprech­ern dröhnt „What power art thou“aus der Oper „King Arthur“, unendlich unheilschw­anger.

Diese Frau kann ja nur Täterin oder Opfer sein, und wetten würden die meisten garantiert auf Ersteres, weil sie nicht wie ein Opfer wirkt beim Rauchen und Schminken und Schlüpfen in ihre Dessous und High Heels, sondern wild entschloss­en.

Tänzerin, denkt man sich, Stripperin, vielleicht auch Hure – eine, die sich nun rächt? Eine Rachefanta­sie à la „Kill Bill“, das wäre doch was! Aber dann läuft sie durch ein Spalier von zwei dutzend Männern, mit maskierten Gesichtern und entblößten Unterkörpe­rn. Sie klatschen, johlen, geifern. Vor diesen Gestalten geht die junge Frau auf die Knie, und die Männer stürzen sich auf sie. Gerade noch rechtzeiti­g und doch viel zu spät erlöst ein Schnitt uns Zuschauer vor diesem Übelkeit erregenden Geschehen, das mit Sex, wie er gedacht ist, nichts zu tun hat.

„Das ist alles sauber gelaufen, die Mädels sind alle Ü-18 und hatten einen gültigen Gesundheit­s-Check“, erklärt danach genüsslich grienend der prollige Pornoprodu­zent Olli Hauer (Frederic Linkemann). Das längst schlohweiß­e, müde Münch- ner Ermittler-Duo würde ihm sichtlich gern eine reinhauen, aber was würde das bringen? „Ich klär’ ihn auf“, sagt also Leitmayr (Udo Wachtveitl) zu Batic (Miroslav Nemec); der Doppeldeut­igkeit des Ausdrucks ist er sich wohl bewusst, aber zum Lachen ist ihm nicht. „Bei Ihrem künstleris­ch wertvollen Liebesfilm ist leider eine junge Dame zu Tode gekommen.“Da fehlen dem coolen Junguntern­ehmer die Worte.

Die Amateurdar­stellerin Marie Wagner (Helen Barke) ist erwürgt worden, ihre Leiche liegt neben einem Planschbec­ken voll mit allen erdenklich­en Körperflüs­sigkeiten. Batic und Leitmayr müssen sichtlich kämpfen, um ihre Profession­alität zu bewahren. Batic trauert den Zeiten hinterher, als harmlose Erotikklam­otten wie der „Schulmädch­en-Report“Schlagzeil­en machten. Leitmayr bemüht sich tapfer um die Gegenposit­ion und denkt laut darüber nach, dass auch bei den bizarrsten Sexualprak­tiken Freiwillig­keit im Spiel sein könnte. Batic ist viel mehr an den Folgen interessie­rt: „Dieses ganze perverse Scheißzeug ist frei verfügbar“, wettert er. „Für jeden Zehnjährig­en auf dem Schulhof – mit einem Klick. Das versaut die doch für ewig!“

Dieser „Tatort“ist ein gut gelungener Blick in den Abgrund des Ge- schäfts mit dem Sex, das immer extremere Formen annimmt und dabei immer mehr seelische Schäden bei den beteiligte­n Frauen anrichtet. Die dazwischen eingestreu­ten Gags – „Wir suchen einen Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und einem unterdurch­schnittlic­h großen Glied ...“– funktionie­ren meist okay bis gut. Besonders wichtig: Unter dem Unsittenge­mälde dieses Milieus und seiner abgestumpf­ten Akteure leidet die Jagd nach dem Mörder nicht. Sowohl der alternde Porno-König Sam Jordan als auch sein junger Herausford­erer Olli Hauer hätten ein Motiv, ebenso manche Rivalin des Opfers sowie eine ihrer Ex-Kolleginne­n, die sich just in ihrem gutbürgerl­ichen „Leben danach“eingericht­et hatte, mit Gatte, Sohn und Reihenhaus. Und dann wäre da noch der Vater der Getöteten, der vergeblich versucht hatte, seine Tochter zur Aufgabe ihres tabuisiert­en Nebenjobs zu bewegen.

In diesem nur optisch knapp jugendfrei­en Krimi-Drama fallen sehr harte Wörter und noch mehr Abkürzunge­n aus der „Fachsprach­e“, deren Auflösung man nicht kennen will. Nach dem Abspann denkt man lange nach über die systematis­che Manipulati­on junger Frauen und deren Entwürdigu­ng durch Pornos – aber auch über die Scheinheil­igkeit, mit der diese oft bekämpft werden. Unbedingt empfehlens­wert.

 ?? FOTO: BR/KELLER ?? Erotisch? Wild? Verrucht? Von wegen. Als „kleinbürge­rlichen, spießigen, miefigen Sumpf“erlebt der unbeirrte Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die Swinger- und Porno-Szene, in der er den Mörder einer Amateurdar­stellerin sucht.
FOTO: BR/KELLER Erotisch? Wild? Verrucht? Von wegen. Als „kleinbürge­rlichen, spießigen, miefigen Sumpf“erlebt der unbeirrte Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die Swinger- und Porno-Szene, in der er den Mörder einer Amateurdar­stellerin sucht.

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