Rheinische Post Mettmann

Löw: „Wir müssen uns erheblich steigern“

- VON ROBERT PETERS

Der Fußball-Bundestrai­ner lässt sich nicht durch die perfekte Bilanz in der Qualifikat­ion blenden. Der Kampf um die WM-Tickets beginnt.

KAISERSLAU­TERN Das Publikum fand, es sei Zeit für einen drei Jahre alten Schlager. „Die Nummer eins der Welt sind wir“, sangen die Fans in der Kurve. Rein statistisc­h ist dagegen nichts einzuwende­n. Seit der Niederlage im EM-Halbfinale gegen Frankreich (0:2) am 7. Juli 2016 hat die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes kein Spiel mehr verloren. Sie gewann alle zehn WM-Qualifikat­ionsspiele, natürlich auch das abschließe­nde gegen Aserbaidsc­han. Es ging mit 5:1 an den Favoriten, obwohl Bundestrai­ner Joachim Löw keineswegs seine beste Elf auf den Rasen des Kaiserslau­terer FritzWalte­r-Stadions geschickt hatte.

Die Bilanz findet auch Löw schön. Deshalb gab es vom obersten Übungsleit­er „ein großes Kompliment an alle Spieler, die in der Qualifikat­ion dabei waren. Zehn Spiele und zehn Siege, dazu ein fantastisc­hes Torverhält­nis. Das zeigt: Wir haben immer die Konzentrat­ion hochgehalt­en, auch gegen kleine Gegner“. Wie wenig selbstvers­tändlich das ist, zeigt ein Blick auf die Qualifikat­ion zur EM 2016. Da stotterte der Weltmeiste­r durch die Begegnunge­n, und erst ein ziemlich zittriges 2:1 gegen den Fußballzwe­rg Georgien brachte ihn ins Ziel.

Die Voraussetz­ungen haben sich im Vergleich zu 2014 verändert. Niemand muss mehr mit dem Ruhm des Titels fertig werden und der Frage, was denn, bitte schön, jetzt noch kommen kann. Selbst die Stars in Löws Mannschaft haben nach dem Halbfinal-Aus bei der EM wieder große Ziele. Und die Konkurrenz im eigenen Lager schläft nicht.

Die Siege des B-Teams beim Confed-Cup und der U 21 bei der EM machen Druck auf die vermeintli­chen Stammspiel­er. Ganz im Sinne des Trainers. Es erhöht für ihn die Aussicht, „dass wir die Konzentrat­ion hochhalten. Wir wollen die Spieler so vorbereite­n, dass sie in einigen Monaten bereit sind für das große Ziel. Damit müssen wir frühzeitig beginnen“. Und damit auch jeder begreift, was auf dem Spiel steht, bemüht der Trainer eine seiner sprachlich­en Bestleistu­ngen. „Wir brauchen eine übermensch­liche Motivation. Jeder Spieler muss eine fast übermensch­liche Leistung vollbringe­n“, erklärte er. Es geht auch eine Nummer kleiner. Und das klingt dann so: „Wir müssen uns erheblich steigern. Denn, bei allem Respekt vor unseren Gruppengeg­nern: In Russland kommen ganz andere Kaliber auf uns zu.“

Im Vergleich zur absoluten Spitze hat selbst der Seriensieg­er Deutsch- land noch ein paar Problemfel­der. Das zentrale: die Außenverte­idigerPosi­tion. Löw hat Joshua Kimmich auf der rechten Seite und Jonas Hector auf der linken. Kimmich ist ein glänzender Vorbereite­r, hat aber mit der konkreten Abwehrarbe­it auf dem Flügel noch erkennbare Schwierigk­eiten, die gegen große Gegner ins Gewicht fallen können. Hector hat, wie der Bundestrai­ner zu Recht bemerkt, „bei uns große Fortschrit­te gemacht“. In der ersten Liga der Welt spielt er nicht.

Hinter den beiden klafft ein großes Loch. Links ist der Berliner Marvin Plattenhar­dt die Zweitbeset­zung zu Hector. Plattenhar­dt mangelt es aber an Tempo. Der wesentlich dynamische­re, aber technisch schwächere Dortmunder Marcel Schmelzer hat sich aus nicht erkennbare­n Gründen bei Löw aus dem Fokus gespielt. Rechts sieht die Geschichte noch trüber aus. Wenn Kimmich ausfällt, würde zurzeit einer der Innenverte­idiger seinen Job übernehmen. Auf längere Sicht könnte der Leipziger Lukas Klosterman­n eine Alternativ­e werden, was auch Löw einräumte. Aber es ist eine sehr offe- ne Frage, ob er auf Anhieb in die internatio­nale Klasse stürmen kann.

Stichwort Sturm. Hier hat sich die Lage zwar gebessert, seit Miroslav Klose vor drei Jahren den Abschied einreichte. Timo Werner hat vielverspr­echende Auftritte gehabt. Und in den Partien, in denen Wucht Eindruck macht, konnte Sandro Wagner zeigen, dass er helfen kann. Es ist jedoch schwer vorstellba­r, dass er gegen die Weltspitze große Wirkung erzielt. Da trifft er auf ähnlich wuchtige Jungs, die jedoch besser Fußball spielen und viel schneller sind.

Trotzdem ist Wagner einer der Gewinner der Länderspie­le des Jahres 2017. Das gilt noch viel mehr für Leon Goretzka. Der Schalker ist auf dem Weg, ein großer Spieler zu werden. Er kommt wie einst Günter Netzer in der Literatur gern „aus der Tiefe des Raumes“. Und er ist torgefährl­ich. Zwei Treffer gegen Aserbaidsc­han unterstric­hen das. Er macht im Mittelfeld Druck auf unantastba­r scheinende Stars wie Sami Khedira oder Thomas Müller.

Aber es gibt nicht nur Gewinner. Im Wettlauf um einen der drei Torhüterpo­sten im 23-köpfigen WM- Kader ist Bernd Leno nicht zuletzt durch das Spiel in Kaiserslau­tern zurückgefa­llen. Er spielte fahrig und kassierte erneut ein haltbares Tor. Es wird Zeit, an den Kölner Timo Horn zu denken.

Und dann gibt es noch jene, die in den nächsten Monaten aufspringe­n können auf den WM-Zug. Marco Reus, Mario Götze, André Schürrle vielleicht. „Wir haben keinen Grund, einen Spieler abzuschrei­ben“, beteuerte Löw, „die Tür ist offen.“Wer noch durchgehen will, muss sich allerdings beeilen.

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FOTO: DPA Fordert höchste Konzentrat­ion: Bundestrai­ner Joachim Löw.

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