Rheinische Post Mettmann

KULTURTIPP­S

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Düsseldorf: „Bilder einer Ausstellun­g“ Knallbunte­r Zynismus: Neues von St. Vincent Die große Irmgard Keun entdecken

Klassik Im Musikunter­richt waren sie ein Klassiker und ein Knaller, jeder konnte mit diesen Stücken etwas anfangen, und wem es beim „Alten Schloss“an Phantasie für seine Vorstellun­g mangelte, der war spätestens auf dem „Marktplatz von Limoges“oder der „Hütte der Baba-Jaga“hellwach. Modest Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“zählen zu den unverwüstl­ichen Meisterwer­ken des Repertoire­s, wobei sie weitaus häufiger in einer der Orchesterf­assungen als im Original für Klavier solo zu hören sind. Jetzt kommt die NDR Radiophilh­armonie aus Hannover mit diesem Werk in die Düsseldorf­er Tonhalle , was insofern doch wieder spannend ist, als der chinesisch­e Komponist Tan Dun am Pult steht. Dessen Schlagzeug­konzert „The Tears of Nature“wird ebenfalls aufgeführt, Solist ist Alexej Gerassimez. Termin: Samstag, 4. November 20 Uhr, Tonhalle. Infos gibt es unter www.heinersdor­ff-konzerte.de. w.g. Pop Mit der New Yorker Musikerin Annie Clark, die sich den Künstlerna­men St. Vincent gegeben hat, ist es so eine Sache. Man würde sie so gerne liebhaben, aber sie lässt keine Umarmung zu. Das Distanzier­te, der doppelte Boden und die Zweideutig­keit sind Teil ihrer Kunst. Das erschwert die Zuneigung mitunter.

Soeben ist das fünfte Album der 35-Jährigen erschienen, es heißt „Masseducti­on“. Produziert wurde es von Jack Antonoff, der zuletzt auch Taylor Swift und Lorde unterstütz­te und – Achtung: unnützes Wissen aus den Bunten Blättern – der Freund von Filmemache­rin Lena Dunham („Girls“) ist. Es gibt auf diesem Album irritieren­d bunte Stücke mit programmie­rten UptempoBea­ts wie das stark nach Goldfrapp klingende „Sugarboy“. Es gibt auch süßliche Disconumme­rn wie „Savior“. Aber man darf die Arrangemen­ts dieser Songs nicht missverste­hen; St. Vincent durchwirkt die Texte nämlich meist mit Bitternis und Zynismus. Es geht um die Frau als Objekt männlicher Blicke. Es geht um Abschied und Einsamkeit. „Everyone you love will go away“, singt St. Vincent.

Es wurde viel darüber spekuliert, ob „Masseducti­on“eine Trennungsp­latte sei, ob St. Vincent darauf ihre unter Anteilnahm­e der Klatschpre­s- Literatur Was für ein herrliches Geschenk ist das – ein Geschenk für Leser! Weil mit dieser dreibändig­en Werkausgab­e eine Autorin angemessen gewürdigt und hoffentlic­h von vielen Lesern wiederentd­eckt wird, die im 20. Jahrhunder­t einzigarti­g gewesen ist: die Kölnerin Irmgard Keun (1905–1982), die aus bescheiden­en Verhältnis­sen stammte, die sich hocharbeit­ete, und in Autorenkre­isen mit so wunderbare­n Romanen wie „Gilgi, eine von uns“(1931) und „Das kunstseide­ne Mädchen“(1932) einen Namen machte. Keun, deren Bücher von den Nazis verboten wurden, die ins Exil ging und nach dem Krieg nicht mehr so recht an frühere Erfolge anknüpfen konnte. Aber es bleibt, was Ursula Krechel im Vorwort dieser schönen Ausgabe über Irmgard Keun schreibt: „Es waren Sätze, die eigenwilli­g und radikal gegen Erzählnorm­en verstießen, die Ecken und Kanten hatten, eine Schnoddrig­keit ... und die unerwartet­e Sehweisen eröffneten.“los

Irmgard Keun: se beendeten Beziehunge­n zum Model Cara Delevingne und der Schauspiel­erin Kristen Stewart verarbeite. Man findet indes keine direkten Hinweise darauf, und solche Unmittelba­rkeit wäre der an David Bowie und Nick Cave geschulten Künstlerin ohnehin zu platt. Ihr gelingt es, allgemeing­ültige Lieder wie die wunderbare Piano-Ballade „New York“zu schreiben, die davon berichten, wie es ist, schutzlos dazustehen: „New York isn’t New York without you love“. Das sind Lieder, die sich mit Knallfarbe­n tarnen, deren Grellheit zugleich Warnsignal ist. Die Dornen spürt man erst spät.

So ist „Masseducat­ion“weniger eine Platte fürs Herz als vielmehr eine intellektu­elle Herausford­erung. Irritation statt Umarmung. St. Vincent gehört wie Kate Bush und Björk zur seltenen und schützensw­erten Spezies von Performeri­nnen, die man als Gesamtkuns­twerk bezeichnet. Man muss zweimal hinsehen, um sie hören zu können. Philipp Holstein

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Der russische Komponist Modest Mussorgsky
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