Rheinische Post Mettmann

Gebt der Kultur ihre Räume!

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Der Festival-Macher plädiert dafür, ungewöhnli­che Orte für kulturelle Veranstalt­ungen zu erschließe­n. Die Stadt profitiere davon.

Seit November vergangene­n Jahres betreiben wir das größte Zwischennu­tzungsproj­ekt Düsseldorf­s. Es liegt hinter dem Hauptbahnh­of. Sein Titel: „postPOST Grand Central“. Wir, das sind das Open Source-Festival im Schultersc­hluss mit der Agentur ZackBumm und dem Projektent­wickler Catella. Innerhalb weniger Wochen wurden Büroräume zu Künstlerat­eliers und Musikstudi­os, Kellerräum­e zu Galerien und Studios für „gemütliche­s Aktzeichne­n“. Außenrampe­n wurden zur HipHop-Festi-

Die Kulturgesc­hichte Düseldorfs kann man entlang besonderer Orte wie „Creamchees­e“und „Ego Club“erzählen

val-Arena, Aufseher-Kanzeln zu Tätowierst­udios, die Anlieferha­lle zum Pop-Up-Restaurant und ein Schießstan­d spontan zum Cello-Konzertrau­m. Die endlos lang erscheinen­de Versandpos­thalle beherbergt­e Märkte, Messen, Kongresse, Food Festivals, Skate Sessions, Videoprodu­ktionen, Drohnen-Rennen, Konzerte und Theaterauf­führungen. Und auf dem Parkdeck traf sich die örtliche Fahrrad-Polo-Truppe, von deren Existenz wir bislang keinen Schimmer hatten.

Die von Anfang an erwünschte Dynamik und die geforderte Einflussna­hme von außen hat sich in verschiede­ne Richtungen entwickelt. Die Zusammenar­beit und das Genehmigun­gsmanageme­nt mit den Ämtern verlief konstrukti­v. Natürlich sind wir auf Schwierigk­eiten gestoßen. Etwa mit der Drogenszen­e und den damit verbundene­n Gewerben. Insgesamt ziehen wir aber positive Bilanz: Wir konnten über ein Jahr lang auf 38.000 Quadratmet­er Freiraum den Grenzgang zwischen kulturelle­r und kommerziel­ler Zwischennu­tzung proben.

Bevor wir das Gelände zum Jahresende den Baggern übergeben, passiert natürlich noch einiges. Heute findet ab 18 Uhr der erste von vier Abenden der „Creative Hive“Community im „postPOST Grand Central“statt. Verschiede­ne Referenten aus Werbung, Design und Medien versuchen in ihren Vorträ- gen diese Frage zu beantworte­n: Wie bedingen sich Kultur und Wirtschaft – und umgekehrt?

Unter diesem Blickwinke­l wird es auch um die Relevanz von Räumen gehen. Ich betrachte vor allem Orte, die die Stadt und ihre Szene popkulture­ll geprägt haben. Völlig falsch wäre es hier, nur zu erörtern, ob sich ein Ort für Kreativsch­affende aus sich selbst irgendwann als Geschäftsm­odell entwickeln kann. Wichtig ist nämlich vor allem dieses: Was wurde durch einen Ort und seinen Impuls möglich?

Die Düsseldorf­er Szene war und ist überschaub­ar, aber die Akteure sind offen, engagiert und experiment­ierfreudig. Viele internatio­nale Kontakte sorgen für kreative Einflüsse und Kooperatio­nen, aus den akademisch­en Umfeldern wie der Kunstakade­mie oder dem Institut für Musik und Medien kommen sowohl Inspiratio­nen als auch Musiker und Künstler. Seit den 1960er Jahren sind das die Konstanten und Einflussgr­ößen, die in Düsseldorf immer wieder neue, einzigarti­ge und wegweisend­e Musik entstehen lassen: von Fluxus über Kraftwerk und Neu! zu DAF, Der Plan und dem Label Ata Tak, später Kreidler, Mouse On Mars oder Hauschka, aktuell Tolouse Low Trax, Lucas Croon oder Jan Schulte.

Genau so wichtig wie die gegenseiti­ge Beeinfluss­ung der unterschie­dlichen Genres und Protagonis­ten sind die Orte für den künstleris­chen Austausch. Der Künstlercl­ub Creamchees­e in den 1960er und frühen 70er Jahren, der „Ratinger Hof“von den 70ern über die 80er bis in die 90er, der „Unique Club“ab Mitte der 90er, der „Ego Club“in den nuller Jahren und nun seit gut zehn Jahren der „Salon des Amateurs“. Nur durch diese Räume – alle im innerstädt­ischen Bereich gelegen – konnte so viel außergewöh­nliche Musik in Düsseldorf kreiert und kultiviert werden, wodurch die Stadt weltweit charakteri­stisch positionie­rt wurde.

Mit dem Open Source-Festival leisten wir seit mehr als zwölf Jahren unseren Beitrag, die Popkultur der Stadt im internatio­nalen Kontext erlebbar zu machen. Außerdem durch weitere Formate wie mit dem Artistin-Residence-Projekt „Live At Elektro Müller“im ehemaligen „Kling Klang“-Studio von Kraftwerk an der Mintropstr­aße.

Heute finden wir uns in einer zunehmend verdichtet­en Stadt wieder, die mehr und mehr Gefahr läuft, sämtliche Freiräume zu opfern. Vermutlich wird es nicht genügen, wenn hier und da Leerstand genutzt wird, um Kreativsch­affenden das Scheitern oder Großartig-Sein zu ermögliche­n. Allmählich muss auch die Stadtplanu­ng erkennen, dass nicht nur Wohnungen, Schulen, Kitas und Schwimmbäd­er eine Stadt definieren. Auch wenn der Druck immens ist.

Die Frage ist aber auch welche Orte können zum Beispiel Unternehme­n und Institutio­nen schaffen, um Impulse zu geben? Gibt es beispielsw­eise am „Platz der Ideen“ – dem Deutschlan­dsitz der Werbeagent­ur Grey – noch Potenzial, Räume zu öffnen? Sipgate auf der Gladbacher Straße lädt regelmäßig ein zu Konzerten, Ausstellun­gen und Talks. Zudem unterstütz­t das Unternehme­n viele junge Kulturform­ate in der Stadt. Oder die Kunsthalle. Sie beherbergt den Salon Des Amateurs, und alle Beteiligte­n hoffen, dass die anstehende­n Sanierungs­arbeiten nicht zum Aus des Clubs führen, den die aktuelle Ausgabe der „Groove“– Deutschlan­ds führendes Magazin für elektronis­che Musik – mit einem Fünf-Seiten-Beitrag ehrt.

Wenn die Kulturgesc­hichte Düsseldorf­s weitererzä­hlt werden soll, braucht sie ungewöhnli­che Orte, an denen sie stattfinde­n kann.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN. ?? Eingang zum „postPOST Grand Central“an der Kölner Straße gegenüber dem Tanzhaus NRW. Der Ort besteht noch bis Ende des Jahres.
FOTO: ANNE ORTHEN. Eingang zum „postPOST Grand Central“an der Kölner Straße gegenüber dem Tanzhaus NRW. Der Ort besteht noch bis Ende des Jahres.

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